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Aus der Coronakrise lernen

Die Kosten für eine gesellschaftsübergreifende digitale Transformation Deutschlands belaufen sich auf eine Billion Euro. Doch wichtiger ist, wie das Geld eingesetzt wird.

Kai Lucks01.07.2020

Zunächst zum Wettbewerb: Wenn China wirklich die genannten 300 Milliarden Dollar allein für die Forschung bei künstlicher Intelligenz einsetzt, und wenn die einschlägige US-Industrie Gleiches auf die Waage legt, dann kann Europa (rechnerisch) mit den angesetzten 20 Milliarden Euro nur noch weiter zurückfallen. Das Problem ist aber nicht die Bereitstellung von Geld allein, sondern die Fähigkeit, dies richtig auszugeben. So drängt sich die Frage auf, ob die von der Bundesregierung geplanten 100 neuen Professorenstellen überhaupt adäquat besetzt werden können. Angesichts des eklatanten IT-Personalmangels fehlen etwa 100.000 Informatiker wegen mangelhafter Attraktivität für führende Wissenschaftler aus den USA. Ihre Honorarvorstellungen liegen regelmäßig weit über unseren Besoldungsrahmen.

Genaue Zielorientierung ist nötig

Das KI-Forschungsprogramm der Bundesregierung ist kritisch zu hinterfragen, inwiefern nämlich konventionelle Denkstrukturen zugrunde liegen, etwa (1) die vorwiegende Förderung etablierter Institute, (2) eher „isolierte“ Forschungsprojekte ohne adäquate Vernetzungen der einzelnen Programme untereinander und (3) schwach ausgeprägte Wirkungsorientierung. Damit riskieren wir Redundanzen, Vernachlässigung von Synergien und Priorisierungen unter den offenen Wissensfeldern. In toto täte eine genauere Zielorientierung gut. Maßstäbe dazu liefern etwa führende Spieler in den USA, China, Japan, Südkorea und Israel. Das Ergebnis könnte auch auf mehr internationale Verbünde hinauslaufen.

Wesentliche Entwicklungsausgaben liegen bei Konzernen, der mittelständischen Wirtschaft und Start-ups. Hier werden die eigentlichen, für die Wirtschaft entscheidenden umsetzungsorientierten Forschungen betrieben. Auch hier bedarf es stärkerer Vernetzung. Das Zusammenwirken zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups ist durch Unterschiede bei Zielen, Motivationen und Verhaltensweisen belastet. Auch Regularien erschweren die gemeinsame Arbeit. Die Technologie selbst ist weniger das Problem.

Zum Umbau gehören auch die digital getriebenen Aktivitäten der Infrastruktur (digitale Netze, Energieversorgung, Wasserwirtschaft, Entsorgung, Landwirtschaft und viele mehr), die Mobilität (vor allem Elektromobilität, autonomes Fahren, Intermodalität), die Restrukturierung von Verwaltung und Regierung und nicht zuletzt der gesamtgesellschaftliche kulturelle Umbau, angefangen bei der Ausbildung – „von der Kita bis ins hohe Alter“.

Deutschland krankt an breiter Technikangst (die Amerikaner sprechen sogar von „the German Angst“), an Über-Administration und verkrusteten Strukturen. Es mangelt an Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft, Verwaltung, Forschung, Ausbildung und Regierung. Unser Rückstand gegenüber den USA und China resultiert nicht nur aus ihrem Fortschrittsdruck, sondern auch aus den vorgenannten Implosionskräften. Wenn wir diese nicht überwinden, dann laufen Ausgaben für Transformationsprogramme ins Leere.

Zurück zum Geld. Der Größenordnung nach geht es um eine Billion Euro, die Deutschland im EU-Verbund über zehn Jahre zu schultern hat. Einzurechnen sind rund 100 Milliarden Euro, die die deutsche Autoindustrie bereits budgetierte. Hinzu kommen Ausgaben in vergleichbarer Größe jeweils für Grundlagenforschung und Entwicklung, für Verwaltung und Regierung sowie für Programme zur Ausbildung und zum Wandel von Verhaltensweisen. Ausgaben für die digitalnahen Anteile der oben genannten Infrastrukturen sind mit 500 Milliarden Euro anzusetzen.

Wir kommen nicht daran vorbei, uns alles genauer anzusehen. Es geht nicht primär um die Summe der Ausgaben, sondern vielmehr darum, unsere Ressourcen an der richtigen Stelle einzusetzen. Dazu gehört eine klare Orientierung an den Besten dieser Welt, ein Benchmarking, wie es die Industrie kennt, nun aber auch für die Verwaltung, Regierungstätigkeiten und gesellschaftliche Verhaltensnormen.

Corona gibt einen kurzen Ausblick in die Zukunft

Die aktuelle Coronakrise sollten wir auch als Chance begreifen: Homeoffice, distant Learning, Web-Meetings, Internet-Kauf, Online-Dienste sind nicht nur als unvollständige Substitute für Direktkontakte zu begreifen. Sie lehren uns auch, wie wir Ressourcen und Zeit sparen können, wie wir die Umwelt weniger belasten, Verwaltungsprozesse vereinfachen können und vieles mehr. Der aktuelle Handlungsdruck zwingt uns, viel Neues auszuprobieren und mit ihm vertraut zu werden.

Die Welt „nach Corona“ wird eine andere sein, vielleicht bringt sie endlich die Öffnung für die digitale Transformation, gegen die wir Deutsche uns so lange gewehrt haben. Vielleicht gelingt es uns damit, ein freiheitlich-rechtliches Modell einer „Industriegesellschaft 5.0“ zu entwickeln, das sich erfolgreich gegen die „Digitaldiktatur“ Chinas und das „Digital-Kartell“ der USA behauptet.

Kai Lucks

Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks, RC Gauting-Würmtal, ist Gründer und Vorsitzender des Bundesverbandes Mergers & Acquisitions e. V. Er war 35 Jahre bei Siemens und seinen Joint Ventures im Medizin- und Energiebereich tätig und war später in der Zentrale für die Kooperationen des Konzerns, für die konzernweiten Strategieprojekte, M&A-Strategien und -Integrationen verantwortlich.

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