Entscheider
"Die Energiewende darf nicht in Gefahr geraten"
Bei der Neuausrichtung der Energieversorgung beschwört Andreas Schell, Vorstandsvorsitzender von EnBW, die Solidargemeinschaft und verweist auf die gemeinsame Verantwortung.
Kaum eine Branche stand in den vergangenen zwei Jahren vor so großen Herausforderungen wie die der Energieversorger. EnBW hat mit Andreas Schell an der Spitze eine Neuausrichtung eingeleitet, dessen Umsetzung Jahre in Anspruch nehmen wird. Das eingeschlagene Tempo ist beachtlich, doch es warten noch einige Stolpersteine.
Sehr geehrter Herr Schell, mitten im Ukraine-Krieg wurden Sie Vorstandsvorsitzender von EnBW. Was war die größte Herausforderung, die gleich auf Sie wartete?
Die größte Herausforderung war es, mitten in der Krise während des Winters 2022 bei einem Energieversorger anzufangen. Für mich war es nicht nur ein Start in einem neuen Unternehmen, sondern zugleich der Start in einer neuen Branche. Die Gasspeicher waren damals zu 98 Prozent gefüllt, wie jetzt auch, aber damals wussten wir noch nicht, wie kommen wir durch den Winter. Wir haben damals über rotierende Abschaltungen im Strombereich gesprochen. Wir haben über Szenarien im Falle einer Gasmangellage gesprochen. Erinnern Sie sich, wir haben in Deutschland darüber diskutiert, wie priorisieren wir im Ernstfall.
Inwieweit wurde auch bei Ihnen über die Abhängigkeit von russischem Gas diskutiert?
Mehr als 50 Prozent unseres Gases hatten wir aus Russland bezogen. Wir mussten so schnell wie möglich diese Abhängigkeit beenden und alternative Quellen diversifizieren. Durch das Zusammenspiel von Politik, Gesellschaft und Unternehmen wurde eine echte Energiekrise in Deutschland vermieden. Und durch die Situation haben sich weitere Chancen ergeben. Plötzlich haben wir darüber gesprochen, dass Energiepolitik zugleich Sicherheitspolitik ist. Erneuerbare Energien wurden zu Freiheitsenergien, die Energiewende rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Auf die veränderte Gesamtlage aufgrund des Ukrainekrieges hat Ihr Unternehmen schnell reagiert. Die EnBW hat ihren Anteil an Erneuerbaren Energien in wenigen Jahren von 19 auf über 40 Prozent gesteigert. Wie wird der künftige Energiemix bei EnBW aussehen?
Wir müssen weiter daran arbeiten, den Energiemix schnell zu verändern. Der Anteil Erneuerbarer Energien muss weiter ausgebaut werden. Wir sprechen diesbezüglich von drei wesentlichen Energiequellen: Wind im Offshore-Bereich, Wind im Onshore-Bereich und Photovoltaik. Regional betrachtet ist die Gewichtung natürlich unterschiedlich. Hier bei uns im Süden sind die Windverhältnisse nicht so gut wie im Norden. Ein wichtiger Beitrag wird die Windenergie sein, die wir in der Nordsee gewinnen. Wir sprechen da vom Offshore-Anteil. Dort können wir aus den Windturbinen 3500 bis 4000 Stunden Volllast bekommen. Das bedeutet für uns als Unternehmen, dass wir für die Investition, die wir dort tätigen, fast die Grundlast zurückbekommen.
Grundlast ist die konstant benötigte elektrische Leistung in einem Versorgungsgebiet.
Richtig.
Sie treiben gemeinsam mit bp zwei Offshore-Windparks in der Irischen See voran und haben den Zuschlag für einen 2,9 GW starken Windpark vor der schottischen Küste erhalten. Was kostet EnBW diese Neuausrichtung?
Wir werden in dieser Dekade für das gesamte Unternehmen etwa 50 Milliarden Euro investieren. Das ist für ein Unternehmen wie EnBW ein beachtlicher Betrag. Wir reinvestieren unsere Gewinne nahezu komplett in die Energiewende. Das Geld fließt jedoch nicht ausschließlich in den Ausbau Erneuerbarer Energien. Das darf auch nicht nur dort investiert werden.
Warum nicht?
Wir betrachten sechs Themenbereiche. Der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren Energien ist der erste davon. Wir brauchen in Deutschland im Onshore-Bereich immer noch sechs bis sieben Jahre vom Start eines Projektes bis hin zur Installation der Windturbinen. Die Genehmigungsprozesse dauern zu lange, auch, weil viele Genehmigungsbehörden personell und technisch nicht ausreichend ausgestattet sind. .
Wie realistisch ist es, dass künftig aus sechs Jahren Realisierungszeit zwei oder drei Jahre werden?
Um insgesamt Beschleunigung zu erreichen haben wir von EnBW in Baden-Württemberg ein Modellprojekt initiiert, bei dem wir gemeinsam mit Genehmigungsbehörden den Prozess mit all seinen einzelnen Schritten analysieren.
Wie lautet das Ergebnis?
Wir sind noch nicht fertig mit der Analyse. Aber ich möchte Ihnen ein Beispiel präsentieren. Wir haben eine Freiflächen-PV-Anlage in 18Monaten genehmigt bekommen. Da haben alle an einem Strang gezogen. Die Genehmigungsbehörde, die Projektleiter und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Das zeigt uns, was möglich ist. Wenn wir in der Gesellschaft einen Konsens schaffen, haben es anschließend die Genehmigungsbehörden einfacher.
Kommen wir zu weiteren Themenbereichen.
Wir brauchen in Deutschland ein System von Kraftwerken, die wir dann flexibel anfahren können, wenn die Erneuerbaren Energien zu wenig Strom produzieren. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es Dunkelflauten, also das gleichzeitige Auftreten von Dunkelheit und Windflaute, gibt. Für diese Zeiten brauchen wir Gaskraftwerke, die wir in den 2030er Jahren dann mit Wasserstoff betreiben. Dann sind sie auch CO2-frei.
Sie planen ja bereits den Bau neuer Gaskraftwerke.
Es ist sogar schon der Baubeginn erfolgt. Wir sprechen hier von drei großen Gas- und Dampfturbinenanlagen in Heilbronn, Stuttgart-Münster sowie Altbach/Deizisau. Das sind derzeit drei Kohlekraftwerk-Standorte - dort bauen wir jetzt die modernen Gasturbinenanlagen. Außerdem werden Gasleitungen gelegt, die später Wasserstoff durchleiten können. Die Turbinen können schon jetzt 20 bis 30 Prozent Wasserstoff aufnehmen. Wir denken somit heute schon an den späteren Betrieb mit Wasserstoff.
Leitungen sind ein gutes Stichwort. Wir brauchen neue Stromtrassen, um den im Norden produzierten Strom in den Süden zu transportieren. Wieso kommen wir da nicht voran?
Das ist der dritte große Themenbereich und hier haben wir endlich den Durchbruch geschafft: Im August startete der Baubeginn des größten Einzelprojektes, der Stromtrasse Suedlink. Wir sprechen hier von einer Übertragungskapazität von insgesamt vier Gigawatt . Zum Vergleich: Das ist die Leistungs von vier großen Kraftwerkblöcken. Damit zusammen hängt der Umbau der Verteilnetze, der vierte wichtige Themenbereich. Das sind die Netze, die die Energie von den großen Hochspannungsnetzen zu den Konsumenten leiten. Sie müssen künftig größere eingespeiste Strommengen von PV-Anlagen und Windkraftparks transportieren. Das macht denUmbau erforderlich.
Bleiben noch zwei Themenbereiche übrig.
Wir müssen die Kundenschnittstelle digitalisieren. Stichwort ist hier der Smart-Meter. Das ist ein digitaler Zähler, der Daten über Stromerzeugung und -verbrauch sicher verschlüsselt an den Netzbetreiber senden kann. Interessant ist dies zum Beispiel für Haushalte, die eine PV-Anlage auf dem Dach und eine Speicherbatterie im Keller haben. Der Smart-Meter versteht und misst, wann mehr Strom produziert als verbraucht wird, und wann die PV-Anlage Strom ins Netz einspeisen kann. Künftig wird es dank der Smart Meter auch möglich sein, Kunden flexible Tarife anzubieten.
Zu guter Letzt bleibt noch die Transformation der Gaswirtschaft hin zur Wasserwirtschaft als letzter großer Themenbereich.
Ich möchte bei einzelnen Themenbereichen nochmal ins Detail gehen. Sie fordern schnellere Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen. In Baden-Württemberg haben die Landratsämter 2022 gerade einmal 41 neue Windkraftanlagen genehmigt. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen sind es 141 Anlagen, Niedersachsen gar 196 Anlagen. Gebaut wurden 2022 in Ihrem Bundesland gerade einmal neun neue Windkraftanlagen. Was haben die Badener und Schwaben gegen die Windkraft?
Es ist allen Beteiligten klar, dass wir auch hier das Tempo erhöhen müssen. Das ist Konsens. Wir werden in Baden-Württemberg beim Bau neuen Anlagen einen erheblichen Sprung machen.
Glauben Sie nicht, dass der Konsens sich spätestens dann erledigt hat, wenn es heißt, vor ihrer Haustür wird demnächst ein Windrad stehen?
Das von Ihnen beschriebene Problem ist kein typisch süddeutsches Problem. Damit haben wir in ganz Deutschland zu kämpfen. Meine Erfahrung ist, wenn wir mit den Menschen in den Dialog treten, also auf Bürgerbeteiligung setzen, ist ein Konsens viel wahrscheinlicher. Wir haben eine App entwickelt, bei der wir mithilfe von Augmented Reality geplante Windräder in eine Landschaft setzen können. So können Anwohner sehen, wie es später mal aussehen wird. Damit gelingt es uns, Sorgen zu nehmen. Es hilft auch, wenn Bürgerinnen und Bürger direkt von den Anlagen profitieren – beispielsweise, weil sie am Ertrag finanziell beteiligt werden. Grundsätzlich hat sich die Stimmung gegenüber den Erneuerbaren aber verbessert – spätestens seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine wissen alle, dass wir sie brauchen.
Es reicht ein Blick auf die Zahlen und sie stellen fest, Baden-Württemberg hat erheblichen Nachholbedarf.
Bei Windenergie mag das sein, aber das ist nur ein Themenbereich von mehreren, die ich beschrieben habe. Der Bau von Stromtrassen etwa ist ein in ganz Deutschland komplexes Thema.
Die Stromtrasse Suedlink etwa zeigt ja an anderer Stelle, wie klein die Bereitschaft der Bevölkerung ist, einen wesentlichen Baustein der Energiewende mitzutragen, wenn die Trasse vor der eigenen Haustür verlaufen soll.
Die Grundstückseigentümer, die am Wege liegen, müssen ein Stück Land von circa 50 Meter Breite zur Verfügung stellen. Dafür erhalten sie einen finanziellen Ausgleich und bringen die Energiewende voran – aus meiner Sicht eine gute Lösung.
Wir tun gerade so, als wäre der Süden Deutschlands der einzige Profiteur. Wir haben nun mal historisch bedingt energieintensive Industrie im Süden, die über 150 Jahre gewachsen ist. Zudem gab es Zeiten in der Geschichte unseres Landes, wo der Süden das Land mit Energie versorgt hat. Wir leben in einer Solidargemeinschaft – Energiewende und Klimaschutz sind unser aller Herausforderungen. Das sollten wir nicht vergessen. Wir haben an dieser Stelle eine gemeinsame Verantwortung, die Transformation des Energiesystems zu meistern.
In Norddeutschland beklagen sich die Menschen, dass sie die höchsten Stromkosten zu tragen haben, obwohl sie in Sachen Erneuerbarer Energien spitze sind. Verstehen Sie diesbezüglich den Unmut von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther?
Die Energiewende ist ein Gemeinschaftsprojekt. Wir müssen daran arbeiten, dass die Vorteile und Lasten einigermaßen gleich verteilt sind, sonst löst das gesellschaftliche Spannungen aus. Schleswig-Holstein hat nicht höhere Stromkosten, sondern höhere Verteilnetzkosten. Wie können wir diese gerecht umlegen? Das ist für mich eine legitime Diskussion. Eine Frage bei Rotary lautet: Ist es fair für alle Beteiligten? Diese Frage muss man stellen. Wir dürfen aber bei der Beantwortung der Frage nicht zu viel Zeit verlieren. Die Energiewende darf nicht in Gefahr geraten.
Das wäre fatal, denn der Strombedarf wird bis 2030 um fast die Hälfte höher liegen als in diesem Jahr, wie Sie selbst prognostizieren.
Das ist richtig. Wir gehen von 650 Terrawattstunden im Jahr 2030 aus. Das wird das Resultat der zunehmenden Elektrifizierung in unserer Gesellschaft sein. Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen, die elektrisch betrieben werden, sind da etwas als Ursachen zu nennen.. Deswegen brauchen wir den schnellen Ausbau der Netze, um diese Strommenge auch transportieren zu können. Wir müssen uns eingestehen, dass wir die vergangenen 20 Jahre nicht genug getan haben, um unsere Infrastruktur darauf vorzubereiten. Deshalb gibt es nun in kurzer Zeit viel zu tun.
In einem Interview mit der Wirtschaftswoche haben Sie vor einem zu mächtigen Staat bei der Energieversorgung gewarnt. Was bereitet Ihnen so große Sorgen?
Ich habe gesagt, wir brauchen einen Plan, aber keine Planwirtschaft. Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir in funktionierende Märkte eingreifen. Der Wettbewerb auf dem Markt hat niedrige Stromkosten garantiert. Wir müssen nun aufpassen, dass wir mit den Erfahrungen von 2022 nicht in einen Habitus geraten, permanent in die Märkte eingreifen zu wollen. Aber wir brauchen einen Plan.
Wie bewerten Sie das Gebäudeenergiegesetz, welches ab dem 1. Januar in Kraft tritt?
Wir waren vor dem Gebäudeenergiegesetz eines der letzten Länder, was den Einbau von Ölheizungen noch gestattet hat. Das passt nicht zum Anspruch, den wir als viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt haben sollten. Die Kommunikation und die Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz haben dazu geführt, dass etwa die Technologie der Wärmepumpe in Verruf geraten ist. Wir werden in großen Städten über Themen wie Fernwärme nachdenken. Es wird auch weiter gasbetriebene Heizungen geben. Wir werden nicht überall Wasserstoff zur gleichen Zeit verfügbar haben.
Die Strompreise sind nach einem zwischenzeitlichen Hoch, bedingt durch den Ukraine-Krieg, wieder gefallen. Derzeit kostet eine Kilowattstunde Strom laut Daten des Vergleichsportals Verivox im Mittel 30 Cent für Neukunden. Bemerken Sie, dass viele jetzt den Anbieter wechseln?
Das sehe ich bei unseren Zahlen nicht. Was die Strom- und Gaspreise angeht, haben wir den Anspruch, bei Preisanpassungen im unteren Drittel zu liegen. Wir haben es geschafft, unsere 5,5 Millionen Kundinnen und Kunden in schwierigen Zeiten sicher zu versorgen. Wir haben niemanden fallen gelassen. Wir haben sogar mehr als 100.000 Kunden aufgenommen, dessen Versorger das Geschäft aufgegeben haben. Unsere Kunden schätzen die Stabilität der EnBW. Deshalb ist auch wenig Wechselbereitschaft erkennbar. Dennoch müssen wir uns weiter mit dem Thema Strompreise beschäftigen und dafür Sorge tragen, dass sie sich in die richtige Richtung entwickeln.
Ist diese Verlässlichkeit von EnBW der Grund, warum Sie immer wieder Testsieger bei der Kundenzufriedenheit in Umfragen sind?
Ich denke, das spielt eine große Rolle. Unsere Kundinnen und Kunden fühlen sich gut betreut. Ich habe selbst Anfang des Jahres mal einen Tag im Callcenter verbracht und habe an einem Fall mitgewirkt. Mich hat interessiert, wie wir mit Kunden umgehen, die ein Problem haben. Bei 5,5 Millionen Kunden ist schon mal eine Abrechnung fehlerhaft oder Kunden können eine Rechnung nicht gleich bezahlen. In solchen Fällen kann sich ein verlässlicher Partner bewähren.
Sie plädieren selbst für flexible Strompreise. Ein Kunde, der sein E-Auto zu jeder Zeit voll aufladen will, soll einen höheren Tarif bezahlen. Ist das noch ferne Fantasie oder schon in Kürze Realität?
Nun müssen wir uns über die Formulierung „in Kürze“ unterhalten. Ichbin überzeugt dass , das Realität wird. Ich gehe davon aus, dass wir in 2025 in der Lage sein werden, so etwas anzubieten. Technisch möglich ist das schon jetzt. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind gegeben. Es wird aber nur funktionieren, wenn der Smart Meter zum Roll-out kommt. Wenn ich Windenergie oder Photovoltaik während des Tages übrighabe, wir sprechen von Stromüberschuss, und ich in der Zeit eine Wärmepumpe in Betrieb habe oder mein E-Auto auflade, dann können dafür in dieser Zeit niedrigere Handelspreise angeboten werden. Das muss das Ziel sein.
Haben Sie selbst eine Solaranlage auf dem Dach und eine Wärmepumpe eingebaut?
Ich kann beides mit Ja beantworten. Das Ganze ist so automatisiert, dass das E-Auto dann geladen wird, wenn Stromüberschuss von der PV-Anlage vorhanden ist.
Vorbildlich.
Das macht auch Spaß sich mit dieser Technologie zu beschäftigen. Das betrifft auch die Wärmepumpe. Das muss ich hier mal ansprechen. Wir haben ein gutes Verhältnis zwischen der eingesetzten Primärenergie, dem elektrischen Strom, und der Wärme, die ich generiere. Das lohnt sich auch kaufmännisch.
Sie haben mehrere Jahre in den USA gelebt und gearbeitet. Was können wir von den US-Amerikanern lernen?
Ich war früher bei Daimler-Chrysler beschäftigt. Ich kann mich noch gut an das Vorbereitungsseminar vor der Ausreise erinnern. Der Coach, der uns auf die Reise in die USA vorbereitete, sagte uns, Geschäfte in den USA und Deutschland zu machen, sei vergleichbar mit dem Unterschied zwischen American Football und Fußball. Mit taktischen Spielzügen plane ich beim Fußball gleich zu Spielbeginn, wie ich ein Tor erzielen will. Beim American Football wird ein Pass geworfen. Wenn dieser von einem Mitspieler gefangen wird, rückt das Team entsprechend vor und ein neuer Spielzug wird gestartet. Hat das aber nicht funktioniert, überlegt sich man eine neue Herangehensweise. So ähnlich habe ich die USA erlebt. Dort lässt man sich trotz Rückschlägen nicht von einem Ziel abbringen. Auch Krisen werden als etwas Positives wahrgenommen, die einem die Chance zu Korrekturen bieten. Das Land ist geprägt von einem großen Optimismus in der Breite. Ich habe 2008 erlebt, was das Land erreichen kann, wenn es aus einer Krise kommt. Der zweite prägende Aspekt war für mich der persönliche Umgang miteinander. Menschen zählen viel in den USA. Das Thema Diversität war da schon viel früher auf der Tagesordnung. Ich habe Vieles aus meiner Zeit in den USA mitgebracht. Ich bin jetzt im Vorteil, das Beste aus beiden Welten kombinieren zu können.
Was schätzen Sie an der rotarischen Gemeinschaft?
Mit Ihrer Frage haben Sie es schon auf den Punkt gebracht. Sie sprechen von einer Gemeinschaft. Genauso erlebe ich die Rotarier. Ich bin gerne bei Rotary, weil ich auf Menschen mit unterschiedlichen Werdegängen aus unterschiedlichen Generationen treffe. Trotz großer Diversität an Meinungen schaffen wir es, als Club sehr eng zusammen zu bleiben. Das ist ein großartiges Modell, wie wir in unserer Gesellschaft insgesamt miteinander umgehen sollten. Ich erlebe im Moment leider gerade das Gegenteil. Wir polarisieren. Wir treiben auseinander, anstatt auszuhalten, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Ein Thema, was mir sehr wichtig ist: In unserer Gesellschaft haben Hass und Gewalt keinen Platz. Bei uns Rotariern wird das heute schon gelebt. Es würde uns guttun, wenn wir mehr davon nach außen tragen.
Den Respekt, den man sich bei Rotary entgegenbringt, der fehlt ein stückweit in unserer Gesellschaft.
Das sehe ich so. Wir müssen lernen, unterschiedliche Meinungen und Haltungen auszuhalten. Wir müssen lernen, offen miteinander zu diskutieren, ohne, dass wir den Respekt und die Wertschätzung füreinander verlieren.
Zur Person
Andreas Schell, RC Friedrichshafen-Lindau, ist seit 2022 Vorstandsvorsitzender von EnBW. Zuvor war er in gleicher Position bei der RollsRoyce Power Systems AG tätig. Schell hat Maschinenbau und Elektrotechnik sowie in den USA Business & Administration studiert.