Rotary Entscheider
„Die Menschen brauchen einen Anker“
Jedes zweite Foto wird mittlerweile mit dem Smartphone aufgenommen. Über die Folgen für das Cewe-Geschäft spricht Vorstandschef Christian Friege.
Nach unserer schriftlichen Terminanfrage griff Christian Friege höchstpersönlich zum Telefon, um seiner Bröckedde-Begeisterung Ausdruck zu verleihen, und ermöglichte einen ungewöhnlich zeitnahen Termin. Das ist nicht selbstverständlich: Die Cewe-Gruppe ist Europas führender Fotoservice- und Onlinedruck-Anbieter. Das Unternehmen aus Oldenburg setzte im abgelaufenen Geschäftsjahr 727,3 Millionen Euro um (plus ein Prozent) und erwirtschaftete ein Ebit von 79,7 Millionen Euro, plus 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Cewe Stiftung & Co. KGaA beschäftigt rund 4000 Mitarbeiter und die Cewe-Aktie ist im SDAX notiert.
Herr Friege, Sie singen seit vielen Jahren im Kirchenchor, heute in St. Lamberti in Oldenburg. Was fasziniert Sie daran?
Ich mache Musik und singe, seit ich denken kann. Bevor ich Buchstaben lesen konnte, habe ich Noten gelesen. Das ist für mich eine wichtige Freizeitbeschäftigung, bei der ich in eine andere Welt abtauche. Ein Chor ist dann wirklich gut, wenn sich alle gemeinsam aufeinander einstimmen, um Musik zur Aufführung zu bringen. Außerdem bin ich seit jeher ein großer Johann-Sebastian-Bach-Fan.
Worin besteht für Sie die Faszination der Fotografie?
Ich bin ein durchschnittlicher Fotograf, aber vor langer Zeit, noch vor meiner Konfirmation, habe ich mir mühsam das Geld für eine Spiegelreflexkamera zusammengespart – eine Pentax MX mit Leuchtdioden. Mit ihr habe ich viele Jahre fotografiert, vor allem auf Reisen. An der Reisefotografie fasziniert mich bis heute, dass man Dinge erleben, dokumentieren und immer wieder neu erleben kann. Und ehe Sie alles für eine Dia-Show aufgebaut haben, haben Sie doch viel schneller ein Cewe-Fotobuch zur Hand genommen.
Was haben Sie zuletzt fotografiert und dann zu einem Fotobuch gemacht?
Das war die Wanderreise oberhalb des Vierwaldstättersees, die meine Frau und ich im letzten Sommer mit zwei befreu deten Ehepaaren unternommen haben.
Was fotografieren die Menschen am liebsten – normalerweise und in Zeiten des Lockdowns?
Die meisten Menschen fotografieren, wenn sie verreisen. Grundsätzlich werden vor allem die positiven Momente des Lebens festgehalten. Während der Coronazeit zeigte sich interessanterweise, dass auch fotografiert wurde, um in Verbindung zu bleiben. Statt eines persönlichen Besuches wurden Bilder oder Fotobücher verschickt – mit Bildern der Familie, der Kinder, des Gartens oder des Hobbys.
Was sagt das über die Menschen aus?
Ich glaube, dass viele Menschen in Coronazeiten nach persönlichen Begegnungen lechzen. Wir haben zwar gelernt, wie wir remote arbeiten können, aber mit jedem Tag wird die Sehnsucht nach Dreidimensionalität größer. So erklärt es sich aber auch, dass die kleinen Momente fürs Fotografieren wichtiger werden.
Fotografiert wird immer dann, wenn Menschen zusammenkommen. Solche Anlässe gab es lange Zeit kaum: Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Reisen sind ausgefallen. Wie hat sich das Geschäft während der Pandemie insgesamt entwickelt?
Corona ist in manchen Bereichen richtig schlecht für uns gelaufen, etwa für unseren Offsetdruck. Im Lockdown braucht eben niemand Visitenkarten, Veranstaltungsplakate und neue Speisekarten. Wir haben europaweit über 100 Fotofachgeschäfte und betreiben dort und in den Läden unserer Handelspartner 20.000 Cewe-Fotostationen. Aber diese Geschäfte waren lange geschlossen. Andererseits haben wir neue Kommunikationsmöglichkeiten gehabt, etwa durch „La Petite Attention“, kleine Grußkarten unserer Tochter Cheerz in Frankreich, und die Menschen haben im Lockdown mehr Fotoprodukte bestellt, zum Beispiel auch Foto-Puzzles oder ein Cewe-Fotobuch von länger zurückliegenden Reisen. Darüber hinaus hatten wir ein sehr starkes Weihnachtsgeschäft. Viele Menschen haben ja nicht viel machen können, aber mit ihren Fotos konnten sie eben doch etwas machen – vor allem die Verbindung zu Verwandten und Freunden aufrechterhalten.
Cewe ist fast überall in Europa aktiv, warum nicht darüber hinaus?
Wir machen das ganz bewusst. Wir sehen noch sehr viel Potenzial im Europageschäft. Vor anderthalb Jahren haben wir die Firma Whitewall übernommen, mit der wir Wandbilder in Galerie-Qualität herstellen. Mit Whitewall sind wir erstmals weltweit tätig.
Was unterscheidet deutsche Kunden von rumänischen und portugiesische von norwegischen?
Eher wenig. Fotografiert werden in allen Ländern die persönlichen Highlights: Reisen, Hochzeiten, Geburten und Kinder. In Polen ist der Großmutter- und Großvatertag ein ganz wichtiges Ereignis. In Tschechien werden häufig Fotobücher bestellt, die ein ganzes Leben zusammenfassen. Das sehe ich dort sehr viel häufiger, als wenn ich durch die Produktion für Deutschland, Belgien oder Frankreich gehe.
Das Fotobuch ist Ihr Kernprodukt. Wie hat es sich während der Pandemie verändert?
Ein Cewe-Fotobuch der Urlauber, die im Sommer letzten Jahres an der Ostsee waren, fällt vergleichsweise dünner aus als ein Fotobuch derer, die in anderen Jahren Fernreisen unternommen haben. Das haben wir aber durch starke Verkäufe anderer Fotoprodukte auffangen können. Insgesamt konnte das starke Geschäft im Fotofinishing die Rückgänge im kommerziellen Onlinedruck und im Einzelhandel kompensieren, sodass wir ein wirklich gutes Jahresergebnis erzielt haben.
Mehr als 50 Prozent aller Fotos werden heute mit Smartphones aufgenommen. Wie reagieren Sie darauf, wie wollen Sie wachsen?
Vorab: Das vierte Quartal ist bei uns traditionell das stärkste. Daher befragen wir im Januar unsere Kunden, wie zufrieden sie im Weihnachtsgeschäft mit uns waren – und 2021 waren die Ergebnisse noch besser als im Vorjahr. Die Kundenzufriedenheit ist der wichtigste Wachstumstreiber. Der zweite Faktor ist in der Tat das Mobiltelefon. Kein anderes Unternehmen verkauft in Europa so viele Fotoprodukte direkt über das Smartphone wie wir. Das liegt auch an unseren Tochterfirmen Cheerz und DeinDesign aus Bad Kreuznach. Mit DeinDesign kann man Handyhüllen selbst gestalten. Wir haben viel investiert, um den Kunden das Handling und die Bestellung mobil so einfach wie möglich zu machen. Dazu legen wir einen Schwerpunkt auf künstliche Intelligenz: Vor zwei Jahren haben wir den MAIC (Mobile & Artificial Intelligence Campus) an zwei Oldenburger Standorten ins Leben gerufen. Ein Beispiel: Die Cewe-App erstellt Ihnen automatisch einen Vorschlag für Ihr Fotobuch von Ihrem letzten Ereignis, bei dem Sie mehrere Fotos gemacht haben. Viele Kunden bestellen auf diese Weise ein ziemlich perfektes Produkt mit nur wenigen Klicks, andere tauschen noch einzelne Bilder aus.
Wohin wird die Entwicklung gehen?
Die Grenzen des Smartphones sind noch lange nicht erreicht. Wir veranstalten normalerweise einmal im Jahr hier in Oldenburg Innovationstage, wo wir uns mit Hunderten unserer Mitarbeiter zu Zukunftsthemen austauschen. Im Februar haben von unseren 4000 Mitarbeitern mehr als 1000 über das Internet am erstmals digitalen Innovationstag teilgenommen. In einem vierstündigen Meeting haben wir neue Vorschläge und Innovationen präsentiert und gemeinsam darüber abgestimmt.
Welche Herausforderungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?
Nach den Erfahrungen von Corona ist die allererste Herausforderung: Planungssicherheit zurückgewinnen. Die zweite betrifft die sich ständig verändernden technologischen Rahmenbedingungen – an die werden wir uns immer wieder anpassen müssen. Was aber immer gelten wird, ist, dass Menschen einen Anker brauchen und Erinnerungen an positive Erlebnisse. Sie brauchen nicht nur Bits und Bytes, sondern auch etwas zum Anfassen. Und das ist dann ein Cewe-Fotobuch.
Was bedeutet Ihnen Rotary?
Für mich bedeutet Rotary Verbindung und Purpose (dt.: Zweck). Ich sehe mein Engagement auch als Verpflichtung, denn es ging mir in meinem Leben immer gut.
Was gefällt Ihnen an Rotary besonders gut, und was könnte besser sein?
Ich habe in der Pandemie gemerkt, wie sehr mir das Miteinander mit den rotarischen Freunden fehlt. Und ich würde mir wünschen, dass wir viel mehr junge und viel mehr weibliche Mitglieder aufnehmen.
Das Gespräch führte Björn Lange.