Rotary Entscheider
„Es wird weitere Durchbrüche geben“
Sartorius-Chef Joachim Kreuzburg über die Bekämpfung von Krebs, Demenz und Diabetes und die Abhängigkeit von China bei der Herstellung von Generika
Jahr für Jahr wächst der Umsatz der Sartorius AG zweistellig, was alle fünf Jahre zu seiner Verdoppelung führt. In den vergangenen sechs Jahren ist die Aktie des Göttinger Medizintechnikunternehmens von 23 auf 341 Euro geklettert. Der Konzern beliefert Forschungslabore und Pharmaunternehmen mit dem, was sie brauchen, um Medikamente herzustellen. Vorstandschef Joachim Kreuzburg gibt sich optimistisch, den Trend nachhaltig konservieren zu können.
Herr Kreuzburg, rund 160 Unternehmen und Institutionen forschen an einem Coronaimpfstoff – und die Hälfte davon kauft bei Ihnen. Klingt nach Krisengewinner!
Würden Sie Biontech als Krisengewinner bezeichnen?
Ja.
Nein. Das ist ein Unternehmen, das zur Krisenbewältigung beiträgt. Das machen wir auch. Sicher sind wir bei der Mehrzahl der Impfstoffprojekte involviert, aber wir sind auch schon vor der Krise stark gewachsen. Das Wachstum von 26 Prozent in diesem Jahr erreichen wir zu fünf bis sechs Prozent durch Akquisitionen, zu 20 Prozent ist es organisch. Und von diesen 20 Prozent sind zwei Drittel völlig unabhängig von der Coronapandemie.
Welches sind Ihre wahren Wachstumstreiber?
Das sind seit vielen Jahren Therapeutika, Originalpräparate und teilweise auch Biosimilars gegen Krebs, Diabetes, HIV, Demenz und andere Indikationen. Wir helfen unseren Kunden, mit innovativen Technologien Medikamente kostengünstig zu entwickeln und herzustellen. Dadurch schaffen wir ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 15 Prozent pro Jahr.
Wie hat sich Ihr Geschäft in den vergangenen Monaten verändert?
Zu Beginn der Pandemie in Europa und den USA stand die Sicherstellung der Lieferketten im Vordergrund, um den Bedarf unserer Kunden zu decken. Unsere Produkte, Zellkulturen und Biopharmazeutika, wurden gebraucht, um weiterhin zuverlässig Medikamente herstellen zu können. Noch wichtiger war aber die Sicherstellung der Gesundheit unserer Mitarbeiter. Von unseren weltweit rund 10.000 Kollegen arbeiten einige in der Logistik und in der Produktion – die konnten wir nicht einfach ins Homeoffice schicken. Gleichzeitig haben wir an nahezu allen Standorten die Produktionskapazitäten erhöht und 24/7-Schichten eingeführt, um den gestiegenen Bedarf zu decken. Das ist uns glücklicherweise bisher gut gelungen.
In Ihren Bioreaktoren werden in einem komplexen und teuren Verfahren aus lebenden Zellen Biopharmazeutika hergestellt. Wie funktioniert das?
In einem Bioreaktor werden in einem Nährmedium Mikroorganismen, vornehmlich Zellen, produziert. Wenn alle Parameter stimmen, zum Beispiel die Sauerstoffzufuhr, der pH-Wert, die Temperatur, die Art und Weise, wie das Medium gerührt wird, vermehren sich die Zellen. Nach ein bis zwei Wochen ist die Zelldichte so hoch, dass die Zellen geerntet werden können. Nur ein kleiner Teil davon wird dann durch Filtration und andere Aufreinigungsschritte als Wirkstoff nutzbar gemacht und schließlich in Ampullen abgefüllt. Ein typischer Bioreaktor fasst 2000 Liter – daraus entsteht oft nur rund ein Liter Wirkstoff.
Arbeiten Sie auch an Zelllinien für Coronaimpfstoffe?
Ja, solche Zelllinien haben wir im Angebot.
Die Produktion von Biopharmazeutika ist im Vergleich zu anderen Technologien noch jung. Wie wahrscheinlich sind Durchbrüche bei der Bekämpfung von Krankheiten und was muss dafür passieren?
Bei Krebs und Diabetes hat sich die Biopharmazie als entscheidender Zweig der Pharmaindustrie durchgesetzt.
Bei Krebs ist schon viel erreicht worden, aber es geht hoffentlich noch viel weiter. Bei Alzheimer stehen die Durchbrüche noch aus. Aber die Produkte in der Pipeline einiger Hersteller sind wirklich sehr vielversprechend. So gab es in der vergangenen Dekade beispielsweise etwa doppelt so viele Zulassungen wie in der davor. Neue Wirkmechanismen zur Bekämpfung von Krankheiten zeigen, wie dynamisch und innovativ Forschung und Industrie sind.
Wo erwarten Sie am schnellsten nennenswerte Fortschritte?
Die Krebsbekämpfung ist ein Kontinuum, bei dem es weitere Durchbrüche geben wird. Bei Demenz kann ich mir auch einen Durchbruch vorstellen, aber zum jetzigen Zeitpunkt weiß niemand, wann er kommen wird.
Sartorius ist in den vergangenen 15 Jahren sehr schnell gewachsen, auch durch Übernahmen anderer Unternehmen. Firmen, die so schnell wachsen, laufen oft Gefahr, vom eigenen Erfolg eingeholt zu werden, in dem sie zum Beispiel nicht mehr genügend Fachkräfte finden.
Das ist eine unserer größten Herausforderungen. Wir haben in den vergangenen Jahren durchschnittlich netto
700 neue Stellen pro Jahr geschaffen, das entspricht jährlich rund 1000 Neueinstellungen. Viele Menschen begeistern sich für das, wofür wir stehen, nämlich bei der Entwicklung neuer Medikamente und deren effizienter Herstellung zu helfen. Durch unsere Größe werden wir auch immer sichtbarer für gut qualifizierte Fachkräfte. Ein anderer Faktor, der immer wichtiger wird: Viele Mitarbeiter wollen ab einem gewissen Alter oft ihren privaten Lebensmittelpunkt nicht mehr verändern. Darum ermöglichen wir bereits lange sehr flexible Arbeitszeit- und Homeoffice-Modelle. Und schließlich sind wir attraktiv, weil wir unseren Mitarbeitern viel Gestaltungsspielraum geben. Trotz unserer Größe kann jeder Einzelne bei uns viel bewegen.
Ihr Vertrag wurde gerade bis 2025 verlängert und Sie planen, bis dahin den Umsatz auf vier Milliarden Euro zu verdoppeln. Worin begründet sich Ihr Optimismus?
Vor neun Jahren haben wir uns das Ziel gesetzt, den Umsatz alle fünf Jahre zu verdoppeln. Das haben wir bisher
gut erreicht und wir sind davon überzeugt, dass wir das fortsetzen können. Der Markt bietet noch viel Wachstumspotenzial, denn der Bedarf an Medikamenten wird weiter langfristig steigen. Die wichtigsten Faktoren sind die wachsende Weltbevölkerung, demografische Trends, bei weitem nicht nur in Europa, sondern zum Beispiel auch in China, der erfreulicherweise zunehmende Zugang von immer mehr Menschen zu medizinischer Versorgung und schließlich und ganz entscheidend die großen Innovationspotenziale in diesem Feld. Bei allem Optimismus bezüglich der Chancen gilt für uns als Unternehmen aber: Wir müssen hungrig bleiben und uns immer wieder in Frage stellen. Wir müssen innovativ bleiben, offen für Neues und gucken, welche Firmen spannende Technologien haben, sodass sie möglicherweise für eine Übernahme interessant sind.
Viele Wirkstoffe, die in Europa verschrieben werden, stammen aus Asien. Was sagen Sie denen, die befürchten, dass Europa bei Biopharmazeutika und Biosimilars in eine Abhängigkeit gerät?
Wir leben in einer vernetzten Weltwirtschaft, die insofern vielfältige wechselseitige Abhängigkeiten schafft. Ohne Mängel und Defizite zu verkennen kann man doch feststellen, dass ein Großteil der enormen weltweiten Wohlstandszuwächse ohne diese weltweite Vernetzung nicht erreicht worden wäre. Die Bewältigung der aktuellen Pandemiekrise ist dafür übrigens ein Beispiel: Die Lieferketten haben auch unter hohem Stress funktioniert und die Durchbrüche bei der Impfstoffentwicklung und Produktion basieren fast ausnahmslos auf internationaler Zusammenarbeit.
Wie abhängig ist Europa von Asien auf dem Gebiet der Generika? Während der ersten Welle der Pandemie kostete eine Packung Paracetamol nicht mehr 1,95 Euro, sondern das doppelte.
Viele Generika werden in großen Mengen und zu niedrigen Kosten in China und Indien produziert – nicht zuletzt aufgrund des enormen Kostendrucks im Gesundheitssystem. Ich bezweifle, dass außer in wenigen Ausnahmefällen ein Aufbau einer solchen Produktion in Deutschland Vorteile brächte.
Halten Sie es für sinnvoll, Teile der Produktion von Generika nach Deutschland zurückzuholen? Ist es nicht realistischer, Lagerbestände aufzubauen?
Ich halte in der Tat den Aufbau von Lagerbeständen für sinnvoller. Das können Bestände von Generika sein, aber auch Bestände von Schutzbekleidung. Das ist leichter lösbar, als ganze Industrien quasi zu renationalisieren. Stattdessen sollten wir uns noch stärker als bisher auf Innovationen im Bereich der Life Science und Biopharmazie fokussieren.
Was bedeutet Ihnen Rotary?
Eine starke internationale Gemeinschaft engagierter Menschen. Leider lässt meine berufliche Einbindung mir kaum Zeit für eine aktive Teilnahme.
Was schätzen Sie an Rotary und was könnte besser sein?
Ich schätze die Internationalität und das große soziale Engagement, würde mir aber wünschen, dass die gesellschaftliche Vielfalt bei Rotary deutlicher abgebildet wird.
Das Gespräch führte Björn Lange.