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Viele Menschen fragen sich, ob und wann man am besten am Kapitalmarkt investieren sollte. Die Antworten lauten: Ja und jetzt

Matthias von Arnim27.09.2024

Soll man jetzt investieren? Die Antwort darauf lautet: Nein, man sollte nicht, sondern man muss! Denn wer nicht investiert, kann keinen Gewinn erzielen, ist der Inflation schutzlos ausgeliefert und gehört damit zu den Verlierern. Warum ist das so? Unser ganzes Wirtschaftssystem ist auf Schulden aufgebaut. Das klingt erst einmal nicht gut, ist aber eine gute Grundlage für alles. Denn die Geldmenge wächst, weil Konsumenten und Unternehmen sich verschulden. Banken verleihen Geld, das sie nicht haben. So wächst die Geldmenge. Und so funktioniert Geldschöpfung – und nicht etwa, indem Notenbanken Geld drucken, wie manch einer meint.

Damit die Schuldner in der Lage sind, ihre Zinsen zu bezahlen und irgendwann ihre Schulden zu begleichen, muss die Wirtschaft wachsen. Überspitzt könnte man also sagen, dass wir alle ständig versuchen, einen riesigen Schuldenberg abzutragen, der niemals ganz eben sein darf. Dieser Berg ist mal kleiner und mal größer, je nachdem, ob Unternehmen und Konsumenten mehr oder weniger Kredite aufnehmen. Je höher die Zinsen sind, desto schwerer ist die Arbeit, den Schuldenberg abzutragen. Denn Konsumenten müssen mehr verdienen oder ihre Ausgaben einschränken, um ihre Kredite zu bedienen und zu tilgen. Unternehmen müssen höhere Gewinne erzielen und/oder weniger investieren. Investieren sie weniger, bedeutet dies einen Rückgang der Kreditvolumina und damit eine Schrumpfung der Geldmenge. Eine geringere Geldmenge bedeutet weniger Umsatz, weniger Gewinn und letztlich weniger Wirtschaftsleistung.

Billiges Geld, hohe Inflation

Wirtschaft ist also eine Art Rattenrennen, bei dem die Notenbanken durch die Festlegung der Leitzinsen das Tempo bestimmen. Der einzige Ausweg, damit das System nicht kollabiert, ist ein positives Wirtschaftswachstum.

Und dies bei einem Zinssatz, der ausreichend viele Investitionen zulässt – aber gleichzeitig auch nicht zu niedrig sein darf. Denn dann fließt erfahrungsgemäß zu viel Geld in Investitionen, die nicht wachstumsfördernd sind. Man hat dies in den zurückliegenden Jahren der Nullzinspolitik gesehen. Unternehmen, die eigentlich nicht profitabel waren, konnten sich mithilfe von billigen Krediten über Wasser halten. Als die Zinsen stiegen, gerieten viele davon zu Recht in Schwierigkeiten.

Zudem heizt billiges Geld in der Regel die Inflation an. Denn wenn die Menge an Dienstleistungen und die Produktion von Waren langsamer als die Geldmenge wächst, steigen die Preise. Dafür gibt es historische Belege. Ein sehr eindrückliches Beispiel lieferte das spanische Kolonialreich in Südamerika, das über mehr als ein Vierteljahrhundert hinweg das Königreich Spanien in Europa mit Gold geradezu überschwemmte. Der neue Reichtum sorgte nicht etwa für eine Belebung der spanischen Wirtschaft, sondern für höhere Ausgaben in den Bereichen Konsum und Militär. Man importierte teure Waren und Dienstleitungen aus ganz Europa. Die eigene Wirtschaft profitierte kaum vom Goldregen. Im Gegenteil. Handwerker und Bürger hatten mit der hohen Inflation zu kämpfen.

Die Nachwehen der Pandemie

Aber man muss nicht mehrere Jahrhunderte zurückblicken, um ähnliche Phänomene zu entdecken: Als durch die Coronakrise weltweite Lieferketten zusammenbrachen und die Produktion von Waren gestört wurde, herrschte in der Folge ebenfalls ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage von Waren und Dienstleistungen. Die Preise stiegen letztlich, weil eine zu große Nachfrage nach Waren und eine große Geldmenge – aufgepumpt durch eine weltweit exorbitant gewachsene Staatsverschuldung – auf ein zu geringes Angebot trafen. Die Nachwirkungen spüren wir noch heute. Denn die Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks gingen im Jahr 2022 gegen die deutlich anziehende Inflation mit einer drastischen Erhöhung der Leitzinsen vor, um die Geldmenge zu schrumpfen. Die Nebenwirkung war eine nachlassende Wirtschaftsdynamik in Europa. In den USA sorgten schuldenfinanzierte staatliche Konjunkturprogramme dafür, dass die US-Wirtschaft nicht so sehr an Schwung verlor wie die Wirtschaft in Europa. Der Preis dafür ist heute eine stark gestiegene US-Staatsverschuldung und eine größere Gefahr dafür, dass das Thema Inflation dort schneller wieder zurückkehrt.

Die Beispiele zeigen, wie essenziell die Zinspolitik der Notenbanken für den gesamten Wirtschaftskreislauf ist. Sie gibt das Tempo vor. Für den Konsum, die Herstellung von Vorprodukten und Waren, für Investitionen in Immobilien, Sachwerte und viele andere Dinge.

Auswirkungen auf die Börse

Die Notenbanken können aufs Gaspedal treten oder auf die Bremse. Je nachdem, welche weitere Zinsentwicklung die Mehrheit der Kapitalmarktteilnehmer erwartet, steigen oder sinken die Bewertungen von Unternehmen an der Börse. Das hat einen einfachen Grund: Müssen Unternehmen höhere Zinsen für ihre neuen Kredite zahlen, mindern die zu erwartenden höheren Zinskosten die zukünftigen Netto-Gewinne. Die Folge ist, dass professionelle Marktteilnehmer bei steigenden Zinsen ihre Bewertungen der Unternehmen um die höheren Zinskosten reduzieren und die Kurse der Firmen deshalb an der Börse sinken. Als die Notenbanken im Jahr 2022 die Zinsschraube innerhalb kurzer Zeit heftig anzogen, war das gut zu beobachten.

Der Wind dreht sich

Aktuell sehen wir eine neue Situation. Nahezu alle Marktteilnehmer gehen derzeit davon aus, dass die Notenbanken die Leitzinsen in diesem und im kommenden Jahr senken werden. Diskutiert wird nur noch über das Tempo und wie tief die Zinsen fallen werden. Aus Sicht von Anlegern ist dies eine geradezu ideale Konstellation. Denn die Bewertungskorrekturen für Unternehmen finden natürlich auch umgekehrt und im Positiven statt: Sinken die Zinsen, werden die zukünftigen Gewinne der Firmen höher bewertet. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Kurse vieler Unternehmen langfristig weiter steigen werden, zwischenzeitliche Korrekturen natürlich immer inklusive. Was Aktien betrifft, ist es sowieso immer eine gute Idee, regelmäßig zu investieren. Aktuell aber erst recht.

Auch für die Investition in Anleihen ist jetzt eine gute Zeit. Denn so hohe Renditen, wie sie derzeit zu erzielen sind, wird es schon in einigen Monaten oder Jahren nicht mehr geben. Denn wenn die Notenbanken die Leitzinsen senken, steigen die Kurse der bereits emittierten Anleihen. Dabei gilt die Faustregel: Je länger die restliche Laufzeit einer Anleihe ist, desto stärker wirken sich Leitzinsveränderungen auf ihren Kurs aus. Das lässt sich schön am Beispiel von 100-jährigen Staatsanleihen illustrieren. In den Niedrigzinsjahren wurden einige davon mit einem Zinssatz von unter zwei Prozent emittiert. Die Gläubiger sind zum Teil Staaten mit sehr guter Bonität, die sich damals preiswert neu verschuldet haben. Als die Zinsen im Jahr 2022 schnell stiegen, sanken die Kurse dieser Anleihen teilweise deutlich unter 100 Prozent. Für Anleger, die diese Anleihen dann bereits im Depot hatten, war das nicht besonders schön. Aus Sicht neuer Anleihekäufer jedoch stieg die Rendite dieser Anleihen durch den Kursverlust auf das neue, höhere Zinsniveau. Kauft man heute diese Anleihen, profitiert man als Anleger gleich doppelt: nämlich von aktuell immer noch hohen Renditen und von der Chance auf weitere Kurssteigerungen. Also gilt auch hier: Anleihen spielen eine wichtige Rolle in Wertpapierportfolios. Jetzt erst recht.

Sinkende Zinsen wirken sich grundsätzlich auch positiv auf andere Anlageklassen aus. Zum Beispiel auf Sachwerte. Damit sind Immobilien und Firmenbeteiligungen, aber auch guter Wein, edler Whiskey, Kunst- und Sammlerobjekte gemeint. Also Dinge zum Anfassen. Manchmal auch zum Trinken. Oder auch zum Fahren – ein sehr spezielles Thema. Zwar verlieren die meisten Automobile schon kurz nach ihrem Kauf an Wert. Doch das gilt nicht für alle Marken und Modelle. Oldtimer und Autos aus dem gehobenen Luxussegment spielen in einer ganz eigenen Liga. Der Grund: Ihre Zahl ist begrenzt. Entweder weil sie nur in limitierter Zahl oder gar nicht mehr produziert werden. In einem Szenario sinkender Zinsen trifft hier ein begrenztes Angebot auf eine tendenziell steigende Geldmenge. Folge: Die Preise steigen. Oldtimer und hochpreisige Fahrzeuge eignen sich deshalb vergleichsweise gut als Geldanlage mit Inflationsausgleich.

Jetzt besser kein Gold kaufen

Aus einem ähnlichen Grund gilt Gold als sogenannte Krisenwährung. Gold ist heute so teuer wie niemals zuvor. Doch es sind nicht die Weltkrisen an sich, die viele Menschen erschrecken und zum Kauf von Gold bewegen. Stattdessen spielen eher das Zinsniveau und die Geldmenge eine wichtige Rolle. Gold wirft keine Zinsen ab. Deshalb ist der Kauf von Gold umso attraktiver, je geringer die Renditen möglicher Anlagealternativen sind. Dies sind in erster Linie Anleihen. Sinkende Leitzinsen sind deshalb auch ein Preistreiber für Gold. Es schadet also nicht, auch Gold im Depot zu haben. Doch sollte man jetzt tatsächlich Gold kaufen? Eher nein. Als Anlageklasse zum langfristigen Vermögensaufbau taugt Gold erfahrungsgemäß nicht. Anders als etwa Oldtimer oder Wein wird Gold nicht im Laufe der Jahre wertvoller, je älter es wird.

Fazit: Zwar taugt nicht jede Anlageklasse gleich gut zum Vermögensaufbau. Doch in Aktien und Anleihen zu investieren, ist grundsätzlich eine gute Idee. Und ganz besonders jetzt. 

Matthias von Arnim
Matthias von Arnim ist freier Wirtschaftsjournalist. Schwerpunkt seiner Arbeit sind Artikel über Aktien, Fonds und derivative Finanzprodukte. Seine Artikel erschienen unter anderem in der „Zeit“, im „Handelsblatt“, in der „Rheinischen Post“ und in der „Süddeutschen Zeitung“.

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