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Rotary Entscheider

„Jetzt oder nie!“

Rotary Entscheider - „Jetzt oder nie!“
Produktion am Stammwerk in Stein: Zwei Milliarden Bunt- und Bleistifte spucken die Faber-Castell-Maschinen weltweit pro Jahr aus. © Matthias Merz

Daniel Rogger, Vorstandschef von Faber-Castell, über den wachsenden Markt in China, Familienstreit und seinen schottischen Traum.

01.03.2020

In Stein an der Nürnberger Stadtgrenze sitzt eine der ältesten Familiendynastien Deutschlands und eines der am besten gehüteten Geheimnisse deutscher Unternehmensgeschichte. Rund zwei Milliarden Blei- und Buntstifte produzieren die über den ganzen Globus verteilten Werke von Faber-Castell pro Jahr. Vorstandsvorsitzender Daniel Rogger dirigiert 7800 Mitarbeiter, die einen Jahresumsatz von zuletzt 587 Millionen Euro erwirtschafteten. Am fränkischen Stammsitz, einem imposanten Industriebau aus der Wendezeit zum 20. Jahrhundert mit zahlreichen Farbtupfern an Fenstern, Türen und in Treppenhäusern, arbeiten rund 800 Menschen.

Herr Rogger, wie laufen die Geschäfte?

Wir behaupten uns gut in einem herausfordernden Umfeld. Als ich vor drei Jahren meine Stelle antrat, hatten wir im Geschäftsjahr 2016/17 mit einem Umsatz von 667 Millionen Euro das beste Geschäftsjahr unserer Geschichte. Das lag an einem Trend, der aus Amerika zu uns kam: Erwachsene beschäftigten sich wieder mit Malbüchern, um Stress abzubauen. Das hat der Branche bis zu 20 Prozent mehr Umsatz beschert. Aber so schnell der Trend kam, so schnell ging er wieder. Im abgelaufenen Geschäftsjahr lag der Umsatz bei 587 Millionen Euro, wobei wir währungsbereinigt ein kleines Wachstum gegenüber dem Vorjahr erzielen konnten. Damit sind wir heute auf einem höheren Niveau als vor dem Malbuchtrend.

Sie haben das Geschäft neu ausgerichtet und Asien ins Visier genommen. War das der richtige Schritt?

Absolut. Der asiatische Markt war in unserem Portfolio unterrepräsentiert mit etwa 25 Prozent. Mit Blick auf die Demografie war das zu wenig. Wir waren zwar stark in Malaysia und Indonesien, aber in China waren wir schwach vertreten. Also haben wir unsere chinesische Tochtergesellschaft restrukturiert und sind mit der Entwicklung sehr zufrieden. Der wachsende chinesische Konsumentenmarkt vertraut Produkten made in Germany. Seit zwei Jahren wachsen wir dort zweistellig.

Wo liegen die anderen wichtigen Märkte für Faber-Castell?

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Daniel Rogger wird Faber-Castell verlassen und nach Schottland auswandern. © Matthias Merz

Lateinamerika ist mit 40 Prozent unser größter Markt, der größte Einzelmarkt ist Brasilien. Dort haben wir hohe Wachstumsraten, die wir aber durch die Währungskurse wieder verlieren. Auch in Argentinien, Chile und Peru gibt es durch politische und wirtschaftliche Probleme makroökonomische Schwierigkeiten, ebenso in der Türkei. Europa und Afrika mit zusammen 35 Prozent bilden den zweitgrößten Markt. Auch in Deutschland wachsen wir, vor allem im Schulgeschäft und im Kunstsegment. Viele Babyboomer interessieren sich in ihrem Ruhestand wieder mehr für Kunst. Sie wollen sich künstlerisch ausdrücken und besuchen grafische Kurse.

Produziert wird vor allem in Brasilien und Indonesien, wo Faber-Castell riesige Waldbestände besitzt. Verwendet das Unternehmen Regenwaldholz zur Herstellung der Stifte?

Nein, das Waldgebiet in Brasilien ist Tausende Kilometer vom Regenwald entfernt. Vor 30 Jahren haben wir den Wald dort aufgeforstet. Ich sage immer: Ein Bleistift entsteht nicht in Minuten, sondern in 20 Jahren – vom Setzling des Baumes über die Holzernte bis zum Verbraucher. Übrigens wollen wir an unseren asiatischen Produktionsstätten unseren Strom nach und nach selbst produzieren, vor allem durch Photovoltaikanlagen. Nachhaltigkeit ist für uns oberste Priorität, wir produzieren bereits heute als Einziger in der Branche CO2-neutral.

Worin liegen die Chancen der Firma?

Wir haben eine unglaubliche Geschichte. Was wir tun, tun wir seit 260 Jahren. Der Konsument möchte eine authentische Geschichte, und die bieten wir. Unsere zweite große Chance ist, dass wir in einigen Regionen noch ein enormes Wachstumspotenzial haben – etwa in China und in afrikanischen Ländern. Und wir glauben, dass uns Menschen weiterhin die Kreativität von der künstlichen Intelligenz unterscheiden wird – darum haben wir auch keine Angst vor der Digitalisierung. Dazu passt, dass wir nicht nur Stifte verkaufen, sondern Kreativität fördern wollen. Wir trainieren Tausende deutsche Lehrkräfte im Umgang mit unseren Produkten, um diese erlebbar zu machen. In Brasilien haben wir einen Testlauf gestartet und kooperieren mit zahlreichen Schulen.

Im September vergangenen Jahres strahlte die ARD den Film „Ottilie von Faber-Castell“ aus. Er erzählt die Geschichte der jungen Gräfin, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Leitung des Traditionshauses von ihrem Großvater übernimmt, dann aber von ihrem Ehemann Alexander Graf zu Castell-Rüdenhausen aus dem Unternehmen gedrängt wird. Es geht um Macht und Intrigen. Hat der Film der Firma genützt oder geschadet?

Schwer zu sagen, das war ja eine fiktive Erzählung. Wir als Unternehmen waren ja gar nicht involviert. Der Film wurde zum Großteil in Tschechien gedreht und nicht hier am Schloss, was möglich gewesen wäre. Also, da gab es keine extremen Reaktionen.

Aber wie im Film verstricken sich auch heute die achte und neunte Generation am Stammsitz in Kabale und Liebe. Handelsblatt, Süddeutsche und Manager Magazin beschreiben einen Streit um Macht und Rang. Auf der einen Seite Mary von Faber-Castell, die Witwe des 2016 verstorbenen Graf Anton Wolfgang Lothar Andreas mit ihren drei Töchtern, auf der anderen Seite Charles von Faber-Castell, Graf Anton Wolfgangs Sohn aus erster Ehe.

Ich weiß nicht, was hinter den Kulissen in der Eigentümerfamilie läuft. Ich spüre jedenfalls nichts von diesen Geschichten. Alles, was ich spüre, ist ein reger Austausch mit den Stakeholdern. Der ist Voraussetzung für schnelle Entscheidungen. Ich halte ohnehin nichts von Allein- gängen. Wenn es vorangehen soll, geht es nur gemeinsam.

Wie sind denn die Besitzverhältnisse?

Die drei Töchter von Gräfin Mary, Katharina, Sarah und Victoria, sowie Charles halten jeweils 22,5 Prozent der Anteile. Die restlichen zehn Prozent verteilen sich auf drei weitere Aktionäre im Familienkreis.

Sie sind 2017 als erster familienfremder Chef seit 257 Jahren ins Unternehmen eingestiegen. Wie funktioniert das im Vorstand an der Seite von Gräfin Mary? Immerhin berichten Unternehmenskenner, dass sie im Vorstand als Platzhalterin für ihre Töchter fungiert.

Für Faber-Castell war das neu, für mich nicht. Ich bin nicht zum ersten Mal erster Fremdvorstand in einem Familienunternehmen. Daher kenne ich die Sorgen und Hoffnungen der Eigentümerfamilie. Umso wichtiger ist ein konstruktiver Dialog, in dem nicht immer alle derselben Meinung sind. China ist ein klassisches Beispiel: Da waren große Veränderungen notwendig, und jetzt sehen alle, dass die Entscheidungen richtig waren. Ich habe ja mit meiner Einstellung einen großen Vertrauensvorschuss erhalten und habe versucht, das Vertrauen zurückzugeben. Das ist doch toll!

Und trotzdem werden Sie das Unternehmen zum 31. Mai verlassen. Wurde Ihr Vertrag nicht verlängert oder wollten Sie ihn nicht verlängern?

Ich habe im Mai letzten Jahres die bewusste Entscheidung getroffen, dass ich noch einmal etwas ganz anderes machen möchte. Es war also keine Entscheidung gegen Faber-Castell, denn ich finde diese Aufgabe sehr spannend. Aber meine Frau und ich wollen nun endlich wieder mehr Zeit zusammen verbringen. Und da unsere Kinder nun beide studieren, haben wir uns dazu entschieden, unsere Träume jetzt zu verwirklichen: Wir gehen nach Schottland.

Was machen Sie in Schottland?

Wir werden ab dem Frühling 2021 an der Westküste, irgendwo zwischen Inverary und Oban, ein Guesthouse betreiben, mit zehn bis zwölf Zimmern und einer Gastronomie mit Frühstück und Abendessen. Wir werden ein bestehendes Haus übernehmen.

Ist das eine Flucht aus Stein?

Nein, wir lieben das Meer. Wir haben 13 Jahre lang in Hongkong gelebt und brauchen die Weite des Meeres. Wir lieben die schottische Landschaft, die Menschen, die alte Kultur und die raue Natur der Westküste. Eine unserer ersten Reisen hatte uns vor 25 Jahren nach Schottland geführt. Davon habe ich seit meiner späten Jugend immer geträumt. Eigentlich wollte ich schon mit 40 so weit sein, aber jetzt geh’ ich den Schritt halt mit 52. Jetzt oder nie!

Wird Ihnen das auf Dauer nicht zu langweilig?

Ich glaube nicht. Ich schaue nicht zurück, sondern nur nach vorn. Wir werden entscheiden, ob das Geschäft sechs oder neun Monate im Jahr läuft. Uns ist klar: Von April bis September werden wir sieben Tage die Woche ackern müssen. Es gibt einige Anfragen von Unternehmen, ob ich Aufsichtsratsposten übernehmen möchte. Ich überlege noch, ob ich zwei oder drei Mandate annehme. Immerhin habe ich 20 Jahre Erfahrung als Geschäftsführer. Mir wird schon nicht langweilig. Wir haben ja in Schottland auch viel vor. Wir werden auf eine regionale Küche und Nachhaltigkeit setzen mit viel Fisch, Meeresfrüchten und Fleisch von Hochlandrindern.

Werden Sie der rotarischen Welt erhalten bleiben?

Natürlich. Ich werde mir einen netten Club in Schottland suchen und mich dort 15 Jahre engagieren. Und dann schauen wir, was noch kommt.


Das Gespräch führte Björn Lange.