Rotary Entscheider
Keine Angst vor Robotern
Der Aufschwung nach der Pandemie sei die große Chance für Innovation durch Digitalisierung, sagt Österreichs Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck. Sie setzt dabei auch auf mehr Roboter in der Industrie
Als Ministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, wie es genau heißt, will sie die Rückkehr zur Normalität nach Corona zu einem Modernisierungsschub nutzen. Margarete Schramböck beantwortet die Fragen zu ihrem Mantra für mehr digitale Automation rotarisch locker, aber inhaltlich routiniert und tough.
Die Wirtschaft hat sich im heurigen Sommer erstaunlich schnell erholt. Waren Sie auch, wie die meisten, im Frühjahr 2020 pessimistisch, dass die Pandemie die Wirtschaft langfristig ganz massiv beschädigen würde?
Ich habe immer gehofft, dass die Krise eine V-Form hat, also dass man nach dem schnellen Einbruch auch wieder schnell herauskommt, denn die österreichischen Unternehmen waren und sind ja gesund, ob Leitbetriebe, Mittelstand oder Familienbetriebe. Das war ein Stresstest, den die Unternehmen gut bestanden haben.
Es waren also alle zu pessimistisch?
Nein, was die generelle Wirt schaftssituation betrifft, nicht. Ich war aber zuver sicht lich, dass die Nachfrage schnell wieder anspringt, wenn wir das zu überbrücken helfen. Aufgabe der Politik war es, Arbeitsplätze durch Kurzarbeit zu retten, Betriebe nach Möglichkeit offen zu halten, und dass die, die behördlich schließen mussten, den Verlust ersetzt bekommen.
Es wurden Milliarden an Coronahilfen ausbezahlt. Müsste man das angesichts des rasanten Aufschwungs nicht schnell wieder beenden?
Das sehe ich nicht so. Wir haben in Summe 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt und 39,8 Milliarden wurden bisher abgerufen. Es ist wichtig, dass wir da unsere Zusagen einhalten. Viele Unternehmen haben sich mit der Investitionsprämie, die wir geben, herausinvestiert, andere sind noch mittendrin.
Jetzt ist es an manchen Stellen schon überhitzt.
Ja, die Nachfrage nach manchen Rohstoffen und Produkten ist so rasch angestiegen, dass die Wertschöpfungsketten das nicht schaffen, aber ich bin zuversichtlich, dass sich das bis Ende des Jahres legen wird.
Viele haben zu Anfang der Pandemie gemeint, die Weltwirtschaft würde sich komplett neu organisieren, mit kurzen Lieferketten und ohne Abhängigkeit von Fernost. Geändert hat sich aber kaum etwas, oder?
In Europa hat sich schon etwas geändert. Wir haben erkannt, dass die Resilienz des Standortes ein wesentliches Thema ist. Wir schauen jetzt: Welche Produktionsstufen können wir selbst abdecken, was kann innerhalb Europas geschehen und wo sind wir stark abhängig? Eines davon ist der Bereich Halbleiter, da müssen wir mehr in Europa produzieren.
Die Erkenntnis ist klar, aber die Unternehmen müssen das auch tun, und da muss es zumindest eine Spur billiger sein, als es aus Fernost zu beziehen.
Da hilft nur die Transformation der Produktionsprozesse in Richtung Digitalisierung und Automatisierung. Europa und Österreich sollen nicht mit billigeren Löhnen konkurrieren, wir können und werden das auch nicht. Wir müssen durch mehr Innovation konkurrieren und dadurch Arbeitsplätze wieder zurückholen. Ein Beispiel: Novartis (Schweizer Pharmakonzern, Anm.) hat Anfang 2020 in Erwägung gezogen, die Penicillinproduktion in Kundl in Tirol einzustellen und nach Asien zu verlagern. Wir sind draufgekommen, dass das in Kundl die letzte Penicillinproduktion der gesamten westlichen Welt ist, nicht nur in der EU, auch in den USA gibt es keine mehr. Wir wären da zu 100 Prozent von Asien, China und Indien abhängig. Ich bin dann schnell mit dem Management in Kontakt getreten und Regierung und Land Tirol haben gemeinsam 50 Millionen aufgestellt – als Unterstützung der Modernisierung. Das Unternehmen investiert damit kräftig, sodass sogar noch mehr in Kundl produziert werden kann. Die Produktion wird innovativer sein als vorher und der Standort ist über Jahrzehnte gesichert. Wir müssen also einzelne Branchen und Betriebe besonders unterstützen, wenn das von öffentlichem Interesse ist. Und da habe ich auch eine klare Forderung an die Europäische Kommission. Die EU fördert richtigerweise Forschung und Entwicklung, aber das auch in Produktionsprozesse zu verwandeln, da gibt es noch kein geeignetes Instrument. Das muss Europa noch tun.
Die Digitalisierung ist also ein Schlüssel zur Modernisierung, aber das ist ja ein Prozess, der lange dauert. Bis in Europa eine Chipproduktion aufgebaut wäre, die ähnlich leistungsfähig ist, wie die aus Fernost, dauert das viele Jahre.
Na ja, Anfang 2018 hat Infineon (deutscher Halbleitererzeuger, Anm.) überlegt, wo eine neue Chipproduktion gebaut werden soll. Da ist Sabine Herlitschka (Vorstandsvorsitzende von Infineon in Villach, Anm.) zu mir gekommen und hat gesagt, die Entscheidung fällt im Mai, und ich habe ihr Unterstützung zugesagt. Zunächst konnten die Europäer verhindern, dass das in Asien passiert, dann war das Rennen zwischen Deutschland und Österreich, und das haben wir gewonnen. Heuer im September wurde das neue Werk eröffnet, jetzt wird auf weltweit höchstem Standard in Kärnten produziert. Also das hat drei Jahre gedauert.
Aber der weltweite Engpass an Mikrochips wird damit nicht gleich behoben sein.
Aber das trägt dazu bei, und so etwas brauchen wir mehr.
Trotzdem macht die Digitalisierung der Bevölkerung oft auch Angst. Roboter nehmen uns die Arbeitsplätze weg, der Onlinehandel hat heuer um 20 Prozent zugenommen, was den stationären Handel nicht freut. Wie kann man erreichen, dass Digitalisierung nicht als Bedrohung empfunden wird?
Wir müssen alle auf diese Reise mitnehmen und den Nutzen herausarbeiten. Beim Thema Gesundheit geht das schon ganz gut. Da finden Operationen schon ganz normal in Kombination von einem Arzt und einem Roboter statt, die künstliche Intelligenz hilft dem Arzt beim Analysieren der Bilder, Krebs zu erkennen und so weiter. Hinter steigender Lebenserwartung steckt also auch Digitalisierung. Oder schauen wir auf die Schulen. In den Lockdown-Zeiten hat uns die Digitaltechnik geholfen – bei allen Problemen, die Strukturen aufrechtzuerhalten. Wir müssen es jetzt schaffen, die Angst zu nehmen: über Bildung und Training, auch in Kleinbetrieben.
Bei einer verstärkten Automatisierung der Wirtschaft, für die Sie ja plädieren, waren immer schon deren Auswirkungen auf das Steuer- und Sozialsystem ein Thema. Schon in den 1980er Jahren hat Sozialminister Alfred Dallinger (SPÖ) eine Wertschöpfungsabgabe gefordert, also eine Besteuerung der Produktionsleistung statt der menschlichen Arbeit. Die ÖVP hat das damals als „Maschinensteuer“ abgelehnt. Wird das mit zunehmender Digitalisierung nicht doch wieder zur Absicherung des Sozialsystems ein Thema?
Das war damals falsch und wäre heute auch falsch, denn je höher die Anzahl der Industrieroboter in einer Volkswirtschaft, desto geringer die Arbeitslosigkeit, und nicht umgekehrt. Zum Beispiel hat Griechenland wenig Roboter, aber eine hohe Arbeitslosigkeit, Österreich liegt im guten oberen Mittelfeld. Automatisierung kann Arbeitsplätze wieder zurückholen, das ist die Chance für Europa, in smarten, kleinen Einheiten hier zu produzieren. Der Firma Gießwein zum Beispiel ist es, als die Übergabe an die nächste Generation anstand, nicht gut gegangen. Die haben Filzpantoffel erzeugt. Heute produziert Gießwein 12.000 Paar Sneaker am Tag. Die Innovation war ein neues Produkt in Kombination mit Tradition und mit Automatisierung. Bei denen im Lager fetzen die kleinen Roboter hin und her, aber die haben mehr Beschäftigte – in der Qualitätskontrolle, im Vertrieb und so weiter – als je zuvor.
Jede Veränderung hat immer Gewinner und Verlierer. Wer werden die Verlierer sein?
Wir haben eine soziale Marktwirtschaft, wir müssen alle mitnehmen, auch die Älteren. Ich finde es nicht okay, wenn wir einen Fachkräftemangel haben, und gut ausgebildete Leute über 50 werden nicht einmal mehr zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Der hohe Bedarf an Fachkräften lässt aber Unternehmen schon umdenken.
Bekommt bei der Digitalisierung die rotarische Frage „Wird es dem Wohl aller dienen?“ eine besondere Bedeutung?
Absolut! Da möchte ich auch die Rotarier aufrufen – das sind ja oft Entscheidungsträger –, dass sie bei Personalfragen genauer hinschauen, dass da die Älteren mit ihrer Erfahrung nicht unterschätzt werden. Kann man in der Politik generell mit rotarischen Leitlinien agieren? Allen gleich zu dienen, wird in wenigen Funktionen möglich sein. Aber man kann schon mit den Überzeugungen, die man ja mit Rotary teilt, einiges bewegen.
Das Gespräch führte Hubert Nowak.
Zur Person
Dr. Margarete Schramböck, RC Wien-Graben, studierte Betriebswirtschaft sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien und Lyon. Sie war tätig in verschiedenen Telekommunikationsunternehmen, ab 2016 CEO der A1 Telekom Austria. Von 2018 bis 2019 war sie und ist seit 2020 wieder Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (ÖVP).