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Titelthema Dezember 2022

Partnerschaft und Rivalität

Titelthema Dezember 2022 - Partnerschaft und Rivalität
© llustration: Pete Reynolds

China ist der bedeutendste und zugleich schwierigste Handelspartner für Deutschland - das Land zwingt zum Balanceakt zwischen Werten und Handel. Wir haben Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft um ihre pointierte Einschätzung gebeten.

01.12.2022

Angela Titzrath (CEO Hamburger Hafen und Logistik AG):

Eine Minderheitsbeteiligung eines chinesischen Unternehmens am kleinsten Container Terminal im Hamburger Hafen, Tollerort, hat für Aufregung gesorgt. Mit teilweise irreführenden Verallgemeinerungen („Der Hamburger

Hafen wird an China verkauft“) wurde versucht, eine wirtschaftlich sinnvolle Kooperation zwischen der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und ihrem langjährigen Geschäftspartner COSCO und deren Tochterunternehmen CSPL zu verhindern. Seit 40 Jahren fertigt die HHLA chinesische Schiffe ab. Die Zahl der umzuschlagenden Container nahm in der Weise zu, wie sich deutsch-chinesischen Handels-beziehungen entwickelten. Beide Länder haben von dieser Zusammenarbeit profitiert und sind heute aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke zentrale Akteure im vernetzten globalen Handel. Wir verschließen die Augen nicht vor Menschenrechtsverletzungen - egal in welchem Land übrigens. Und nach den Erfahrungen mit Russland ist es richtig, Abhängigkeiten zu identifizieren und zu diversifizieren. Das heißt aber nicht, sich von China abzukoppeln oder eine Blockbildung zu fördern. Im eigenen Interesse müssen wir vielmehr auf der langjährigen Handelsbeziehung aufbauen, auch um globale Probleme gemeinsam zu lösen. Die Lösung der großen Menschheitsfragen, angefangen beim Klimaschutz, kann ohne China nicht gelingen. Annäherung durch Handel bleibt ein bewährtes Instrument.

Die Zusammenarbeit zwischen HHLA und COSCO schafft keine einseitigen Abhängigkeiten. Weder der Hamburger Hafen noch die HHLA oder der Container Terminal Tollerort werden an China verkauft. Die HHLA bleibt ein eigenständiges, börsennotiertes Unternehmen. Die Kooperation mit CSPL stärkt die Lieferketten, sichert Arbeitsplätze und fördert Wertschöpfung in Deutschland. Eine reibungslos funktionierende Logistik ist Grundvoraussetzung für weltweite Handelsströme und Wohlstand. Fortschritt und Sicherheit gibt es nur auf der Grundlage von Zusammenarbeit, gemeinsamer Ziele und Interessen.

Friedrich Merz (CDU-Vorsitzender und Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag):
Die langen und wechselhaften Beziehungen zwischen China und Deutschland wurden in den letzten Jahren dominiert von wirtschaftlichen Interessen. Erwartungen eines „Wandel durch Handel“ sind nicht erfüllt worden,

CDU-Vorsitzender Friedrich Merz
Regeln der Reziprozität sollten stärker Beachtung finden, sagt der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz © CDU/Tobias Koch

im Gegenteil: China nutzt bilaterale und multilaterale Beziehungen, um damit seine politische, ökonomische und militärische Vormachtstellung systematisch auszubauen. China hat sich mit seinem Beitritt zur WTO zu weitreichenden Marktöffnungen verpflichtet, insbesondere zu den Prinzipien der Gegenseitigkeit und der Nichtdiskriminierung. Die reinen Zahlen der wechselseitigen Direktinvestitionen täuschen darüber hinweg, dass diese Grundsätze von China bis heute nicht eingehalten werden. Deshalb sollten die Regeln der Reziprozität künftig stärker Beachtung finden: Wir erlauben nur die Investitionen bei uns, die umgekehrt auch in China rechtssicher möglich sind. Die eigentliche Herausforderung aber liegt in der sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf die zukünftige politische Ordnung der Welt. Die Gespräche mit China müssen jenseits von Angebot und Nachfrage auf die globalen politischen Themen ausgerichtet werden.

Anton Hofreiter (Grünen-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss):
Die aktuelle Energiekrise zeigt eindrücklich, welche fatalen Folgen aus der Abhängigkeit von einem autoritären, heute diktatorischen Regime wie Russland resultieren können. Mit Blick auf China dürfen wir die Fehler, die

wir im Umgang mit Russland gemacht haben, nicht wiederholen. Denn auch China hat sich unter Xi Jinping zu einer nationalistischen Diktatur entwickelt. Aus diesem Grund müssen wir unsere Abhängigkeiten von China reduzieren, indem wir unsere Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren und bestimmte Produktionen wieder nach Europa rückverlagern. Wir dürfen künftig auch nicht zulassen, dass China sich in unsere kritische Infrastruktur einkauft – das ist in unserem vitalen Sicherheitsinteresse. Gleichzeitig müssen wir mit China aber auch im Gespräch bleiben, um beim Klimaschutz voranzukommen. Insgesamt muss diese neue China-Strategie in eine europäisch koordinierte Chinapolitik eingebettet sein. Auf diese Weise stärken wir unsere Resilienz und Souveränität als EU.

Michael Müller (SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss):
Unter der Führung von Xi Jinping hat die Volksrepublik China sich dramatisch verändert. Entsprechend muss auch unser Umgang mit China neuausgerichtet werden. Grundlage der China-Strategie wird es sein, das

Michael Müller, SPD-Bundestagsabgeordneter
Warnt vor einem kaum kalkulierbaren Risiko:
Michael Müller © Bundestag

Verhältnis zur Volksrepublik entlang der drei Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und systemische Rivalität neu zu formulieren. Ein zentraler Punkt ist die Reduzierung der einseitigen Abhängigkeiten. Die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit China birgen ein kaum kalkulierbares Risiko. Deswegen ist es wichtig, Lieferketten zu diversifizieren und alternative Absatzmärkte zu erschließen. Bei chinesischen Investitionen in Deutschland, insbesondere in Schlüsselindustrien und kritische Infrastruktur muss genauesten überprüft werden, ob sie strategisch wichtige Bereiche umfassen. Gleichzeitig müssen Kooperationen mit China, die im beidseitigen Interesse liegen, weiterhin angestrebt werden. Denn ohne Austausch und Dialog wird es nicht möglich sein, drängende globale Herausforderungen zu begegnen.

Martin Brudermüller (CEO BASF):
Die aktuelle Energiekrise zeigt eindrücklich, welche fatalen Folgen aus der Abhängigkeit von einem autoritären, heute diktatorischen Regime wie Russland resultieren können. Mit Blick auf China dürfen wir die Fehler, die wir

im Umgang mit Russland gemacht haben, nicht wiederholen. Denn auch China hat sich unter Xi Jinping zu einer nationalistischen Diktatur entwickelt. Aus diesem Grund müssen wir unsere Abhängigkeiten von China reduzieren, indem wir unsere Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren und bestimmte Produktionen wieder nach Europa rückverlagern. Wir dürfen künftig auch nicht zulassen, dass China sich in unsere kritische Infrastruktur einkauft – das ist in unserem vitalen Sicherheitsinteresse. Gleichzeitig müssen wir mit China aber auch im Gespräch bleiben, um beim Klimaschutz voranzukommen. Insgesamt muss diese neue China-Strategie in eine europäisch koordinierte Chinapolitik eingebettet sein. Auf diese Weise stärken wir unsere Resilienz und Souveränität als EU.

Norbert Röttgen (CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss):
Deutschland hat sich selbstverschuldet in Abhängigkeit gebracht. Unsere Sicherheit kommt aus den USA, unser Gas kam aus Russland. Die Risiken dieser Abhängigkeiten, wenngleich ganz verschiedener Natur, wurden viel zu

Die Reise des Bundeskanzlers samt Wirtschaftsdelegation nach China sendete ein fatales Signal, sagt Norbert Röttgen. © Tobias Koch

lange ausgeblendet. Sie hätten eine Abkehr von der Bequemlichkeit verlangt, in der sich die deutsche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eingerichtet haben. Man sollte meinen, dass wir in Folge des russischen Angriffskriegs, in dem Gas zur Waffe wurde, unsere Lektion gelernt hätten. Bezogen auf die bedeutendste Abhängigkeit, nämlich die unserer Wirtschaft von China, ist das leider immer noch nicht der Fall.

Als der Bundeskanzler vor kurzem nach China reiste, wurde er von einer beachtlichen Wirtschaftsdelegation begleitet. Das Zeichen war fatal, weil er damit der deutschen Industrie, China und der Welt signalisierte, alles laufe weiter wie bisher. Schon jetzt sind strategisch wichtige Teile der deutschen Wirtschaft massiv überinvestiert im chinesischen Markt. Anstatt ihre Investments zu reduzieren, steigern sie diese sogar noch weiter. 

Das ist ein enormes Problem, weil es Deutschland als Volkswirtschaft und als Land angreifbar macht. Sollte es zu einem chinesischen Angriff auf Taiwan kommen, würden Deutschland und Europa gemeinsam mit den USA weitreichende Sanktionen gegen China verhängen (müssen). Das Problem dabei: China hat bereits heute ein vernichtendes Vergeltungspotenzial gegenüber Deutschland und würde davon zielgerichtet Gebrauch machen. Teilen der deutschen Volkswirtschaft würden die chinesischen Gegensanktionen aktuell das Genick brechen.

Aufgrund dessen hat China schon jetzt erheblichen Einfluss auf die deutsche Politik. Das zeigt der Verkauf von Terminalanteilen im Hamburger Hafen an das chinesische Staatsunternehmen Cosco. Mithilfe des Bundeskanzlers wurde diese Entscheidung gegen das ablehnende Votum von sechs Bundesministern durchgedrückt. Cosco ist nun wichtigster Kunde und Anteilseigner zugleich, womit eine weitere Einflussmöglichkeit für China in Deutschland geschaffen wurde. 

Die Bundesregierung hat eine strategische Neuausrichtung der deutschen China-Politik versprochen. Dabei geht es nicht um die die Einstellung von Handel mit China, was keiner fordert, sondern vielmehr um eine Diversifizierung deutscher Investments und die Erschließung neuer Wachstumsfelder. Es darf hier nicht beim Alten bleiben. Sonst werden wir erleben, dass die Folgen der Energieabhängigkeit von Russland nur ein Bruchteil der Folgen unserer Abhängigkeit von China sind.

Ole von Beust (Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg a. D.):
Was ist der Sinn von Außenpolitik? Für Deutschland geht es seit den bitteren Lehren des letzten Jahrhunderts zumindest nicht mehr um Machtpolitik. Geht es um die weltweite Durchsetzung moralischer Werte? Den

Eindruck könnte man in der jetzigen Diskussion gewinnen. Aber ist das hilfreich – wo ist die Grenze, zu welchem Preis? Konsequent betrachtet hieße das, dass man mit den meisten afrikanischen, arabischen und einem Teil asiatischer Länder und all den Staaten, in denen die Todesstrafe verhängt wird, nicht mehr handeln dürfte. Man wäre sehr moralisch, aber auch ziemlich allein. Der Maßstab sollte daher sein, deutsche, auch – und gerade – ökonomische Interessen im Blick zu haben. Das gilt auch für China. Abhängigkeit nein, aber Handel ja. Und eine 24,9-prozentige Beteiligung einer chinesischen Reederei am Betrieb eines Terminals, der wiederum 13 Prozent des Umsatzes des Hamburger Hafens ausmacht, führt nicht zur Abhängigkeit von China. Es sei das falsche Symbol, heißt es. Aber mit Symbolik sichere und schaffe ich weder Arbeitsplätze noch Wachstum.

Hildegard Müller (Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie):
Internationaler Handel ist eine entscheidende Säule für die deutsche Automobilindustrie: Über 70 Prozent der Arbeitsplätze hängen am Export, jedes dritte Auto weltweit wird derzeit in China verkauft. Das sichert in

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA)
Internationaler Handel sei entscheidend für die Automobilwirtschaft, erklärt Hildegard Müller, Präsidenten des VDA © VDA

Deutschland eine große Zahl von Arbeitsplätzen – und gibt den Unternehmen die finanzielle Möglichkeit zu Forschung und Entwicklung und zum Umbau der Werke in Richtung Klimaneutralität.

Ohne Frage müssen wir auf die geopolitischen Veränderungen in der Welt reagieren. Eine grundsätzliche Abkoppelung von China wäre dabei allerdings geostrategisch und wirtschaftlich falsch. Die Antwort auf die Krisen unserer Zeit kann und darf keine Abkehr von der Globalisierung und der internationalen Kooperation sein. Wir brauchen mehr Gespräche zwischen Ländern und Regionen und wir brauchen jetzt mehr Rohstoff-, mehr Energie und mehr Handels- und Investitionsabkommen, um uns resilienter und diversifizierter aufzustellen. Insgesamt müssen wir mit China im Gespräch bleiben - und dabei klar und immer wieder Herausforderungen beim Namen nennen: Die Themen Menschenrechte und Nachhaltigkeit, aber auch faire Marktzugangsbedingungen, sind dabei von entscheidender Bedeutung.

Siegfried Russwurm (Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie):
Für den Umgang mit China ist ein Dreiklang sinnvoll: eine Balance zwischen Kooperation in globalen Fragen wie der Dekarbonisierung oder der Pandemiebekämpfung, fairem Wettbewerb auf allen Märkten und der inhaltlichen

Auseinandersetzung zu politischen und gesellschaftlichen Unterschieden.

Der Russland-Ukraine-Krieg zeigt uns Europäern, dass wir im Umgang mit Autokratien mit unterschiedlichsten Risiken und Szenarien umgehen müssen. Wertschöpfungsstrukturen ändern sich ständig – doch es gibt einen großen Unterschied zwischen geordneter Transformation und schockartiger Disruption, die soziale Verwerfungen und große Schäden verursachen kann. Dazu darf es nicht kommen. Handel und Investitionen sichern Stabilität und Wohlstand. Politisch und wirtschaftlich ist eine Entkopplung weder wünschenswert noch sinnvoll, auch wenn sich China immer mehr zum systematischen Wettbewerber entwickelt. Es ist im Interesse Deutschlands, dass unsere Industrie weiter mit China wirtschaftlich kooperiert.

Nils Schmid (SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss):
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und seine Folgen stehen aktuell im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Klar ist aber auch, dass China für uns langfristig die größte außenpolitische

Nils Schmid, Bundestagsabgeordneter
Ökonomische Interessen standen im Vordergrund der China-Politik zu Zeiten von Kanzlerin Angela Merkel, sagt Nils Schmid von der SPD © Susie Knoll

Herausforderung darstellt.

Während der Kanzlerschaft Angela Merkels war der Blick nach Fernost überwiegend geprägt von ökonomischen Interessen und der Hoffnung, dass der wirtschaftlichen Öffnung in China eine gesellschaftlich-politische folgen könnte, was zumindest vorläufig widerlegt ist. Heute sehen wir ein China, das sich immer repressiver nach innen und aggressiver nach außen verhält, wie die jüngsten Drohgebärden gegenüber Taiwan zeigen. Zudem will China die internationale Ordnung nach seinen eigenen Vorstellungen umbauen. Dem müssen wir unsere Werte und Interessen entgegensetzen.

China bleibt für uns Partner, Wettbewerber und Systemrivale, auch wenn die beiden letztgenannten Dimensionen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wir brauchen die Kooperation mit China bei der Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit, etwa beim Klimaschutz. Und wir wollen China stärker in die Rüstungskontrolle einbinden. Klar ist auch, dass wir kein Decoupling von China wollen. Ich halte es aber für problematisch, dass einige Großunternehmen noch immer zu stark auf den chinesischen Markt setzen. Wir brauchen eine kluge Diversifizierung unserer wirtschaftlichen Beziehungen im Indo-Pazifik. Dazu tragen auch weitere Handelsabkommen mit anderen Ländern Asiens bei.

Der Bundeskanzler hat bereits früh wichtige Weichen gestellt: Seine erste Reise in die Region ging nach Japan. Daraufhin folgten Regierungskonsultationen mit Indien. Und in Peking traf Olaf Scholz den richtigen Ton und sprach auch die schwierigen Themen Menschrechte, Taiwan und Südchinesisches Meer an.

Johann Fuhrmann (Leiter des Auslandbüros China, Konrad-Adenauer-Stiftung):
Putins Angriffskrieg hat gezeigt, dass wir die Spielregeln im Umgang mit autoritären Staaten überarbeiten müssen. Es gilt, Abhängigkeiten systematisch zu überprüfen. Das Ifo-Institut wirbt insbesondere dafür, dass

Deutschland und die EU sich verstärkt um Freihandelsabkommen bemühen, um die Diversifizierungsbestrebungen der Unternehmen politisch zu unterstützen. Das Ende Juni geschlossene EU-Abkommen mit Neuseeland kann nur der Anfang sein. Freihandelsabkommen mit gleichgesinnten Nationen wie den USA zu schließen, sollte Ziel deutscher und europäischer Bemühungen sein. Darüber hinaus gilt es, die Allianzen mit unseren Wertepartnern zu stärken, etwa den demokratischen Mitgliedern der BRICS-Gruppe — Brasilien, Indien und Südafrika. Und: Das Sicherheitsabkommen zwischen China und den Salomonen im Südpazifik sollte uns als Beispiel dafür dienen, dass der Konkurrenzkampf um strategische Allianzen bereits im vollen Gange ist. Den Wettbewerb um unsere Werte werden wir mit weniger Naivität, noch mehr Dialog und einer gehörigen Portion Härte führen müssen.

Martin Wansleben (Hauptgeschäftsführer DIHK):
China ist einer der wichtigsten Handelspartner für die deutsche Wirtschaft, aber auch ein schwieriger. Deutsche Unternehmen sehen dort weiterhin viele Chancen, aber zunehmend auch Risiken und wachsende

Wansleben, DIHK
China ist ein wichtiger wie schwieriger Handelspartner, sagt Martin Wansleben von der DIHK © DIHK

Herausforderungen. Die Zahl der in China tätigen Ausländer hat sich seit dem Frühjahr 2020 halbiert. Reisebeschränkungen und immer wiederkehrende Lockdowns führen dazu, dass nur etwa die Hälfte der deutschen Unternehmen in den nächsten zwei Jahren mehr vor Ort investieren wollen. Das hängt damit zusammen, dass die meisten dort tätigen Unternehmen vor allem für den chinesischen Markt produzieren.  Ein Drittel plant allerdings wegen der Risiken auch die Diversifizierung seiner Lieferketten von China weg. Der zunehmende Protektionismus in der Volksrepublik ist ein Problem. Das Land setzt selbst eher auf Abschottung, will aber überall in der Welt mehr mitmischen – auch bei uns in Deutschland. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Bundesregierung und die EU in Verhandlungen mit China für wechselseitig gleiche Regeln, also Reziprozität, einsetzen.

Jürgen Matthies (IW Köln):
Die Bundesregierung arbeitet an ihrer China-Strategie in Zeiten da China uns nicht wohlgesonnen ist. Sei es mit Blick auf die geopolitische Polarisierung, den Bruch von Handelsregeln oder auf Wettbewerbsverzerrungen und

forcierten Technologietransfer. Angesichts eines drohenden Konflikts um Taiwan geht es für Deutschland vor allem darum, klare Abhängigkeiten von China zu reduzieren, um nicht erpressbar zu sein. Solche Abhängigkeiten bestehen vor allem bei einigen kritischen Gütern wie manchen Rohstoffen, Seltenen Erden und Solarmodulen. Hier müssen deutsche Wirtschaft und Politik so schnell wie möglich umsteuern. Zudem sind einige große deutsche Firmen stark abhängig vom Absatz auf dem chinesischen Markt. Zunehmend wird aber in China für China und für die Welt produziert, statt diese Märkte mit Exporten aus Deutschland zu bedienen. Auch die neueste Forschung findet immer mehr in China statt. Perspektivisch stellt sich daher die Frage, ob dies dem Standort Deutschland noch nutzt. Ausgeschlossen werden sollte auf jeden Fall, dass im Falle einer Taiwan-Invasion deutsche Firmen mit großem China-Exposure vom deutschen Steuerzahler gerettet werden wollen, obwohl die Risiken zunehmend offensichtlich werden.

Jens Hildebrandt (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China):
Deutsche Unternehmen sind das Rückgrat der deutsch-chinesischen Beziehungen. Dort wo kritische Abhängigkeiten im Laufe der Jahre entstanden sind, müssen diese mit Augenmaß reduziert werden. Gleichzeitig

Jens Hildebrandt
Handel sichert in beiden Ländern den Bevölkerungswohlstand, sagt Jens Hildebrandt von der Deutschen Handelskammer in China © AHK

sichern Handel und Investition gegenseitigen Bevölkerungswohlstand. Weil China auch in der nahen Zukunft ein entscheidender globaler Wachstumsmarkt und Innovationstreiber bleiben wird, wünschen sich deutsche Unternehmen ein ausbalanciertes Verhältnis mit der asiatischen Großmacht. Im Rahmen der China-Strategie sollte eine aktive und gut austarierte wirtschaftliche Kooperation mit wirksamen Dialogformaten und politischer Flankierung anvisiert werden, bei der das Prinzip der Reziprozität im Mittelpunkt steht. Diese dient nicht nur zur Unterstützung deutscher Unternehmen in China, sondern ist auch in ihrer Rolle als Türöffner für die Beeinflussung der Politikformulierung vor Ort zentral. Eine Abkopplung oder Abwendung von China wäre für deutsche Unternehmen vor Ort ein Worst-Case-Szenario.

Reinhard Bütikofer (Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China im EU-Parlament):
Eine kaum mehr bestrittene Einsicht aus unserer Erfahrung mit der imperialistischen Politik Putins lautet: Wir dürfen autoritären Mächten kein wirtschaftliches Erpressungspotential gegen uns einräumen. Diese Erkenntnis

muss auch gegenüber China gelten, dessen totalitärer Diktator Xi zunehmend aggressiv auftritt. China hat schon mehrfach wirtschaftliche Abhängigkeit zur Waffe gemacht. Die EU hat seit 2016 neue Handelsschutzinstrumente geschaffen, um gegen unfairen Wettbewerb vorgehen zu können. Dazu gehört investment screening zum Schutz sensibler Infrastruktur. Die Beispiele 5G/Huawei und COSCO/Hamburg zeigen, dass wir da vorsichtiger werden müssen. Auch das neue Instrument gegen unfaire Subventionen aus Drittstaaten hat große Bedeutung. Die Politik kann aber nicht alles alleine tun. Die Wirtschaft hat Mitverantwortung. Immer mehr Chinageschäft ist nicht mehr immer besser. Es ist Umdenken nötig. Da ist der Mittelstand oder etwa der BDI schon weiter als manche Großunternehmen.

Hans-Peter Friedrich (Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe im Bundestag):
Das Spiel der globalen Kräfte der letzten Jahre wird zunehmend durch die Verteidigung der amerikanischen Weltmachtposition der USA gegenüber China bestimmt. Aber auch das Erstarken Zentralasiens und des

Hans-Peter Friedrich
Deutschland muss eingebettet im europäischen Kontext sich seiner Interssen bewusst sein, fordert Hans-Peter Friedrich von der CSU © Hans-Peter Friedrich

südostasiatischen Raums und der Krieg Russlands in Europa bestimmen ein weltpolitisches Gesamtbild, in dem wir unsere Beziehungen unter anderem gegenüber China in eine neue Balance bringen müssen. Wichtig ist dabei zunächst, dass sich Deutschland, eingebettet in einen europäischen Kontext, über die eigenen ökonomischen und politischen Interessen im Klaren wird. Deutschland und Europa müssen im Konzert der Weltmächte eine eigene Rolle spielen. Dabei muss uns klar sein, dass die USA und Europa trotz unserer historischen Bindungen und der Wertegemeinschaft keine identischen geopolitischen Interessen haben. Europa trägt hingegen zusammen mit vielen anderen Mächten Verantwortung auf dem europäisch-asiatischen Doppelkontinent. Dies muss eine künftige China-Strategie widerspiegeln. 

Zum einen müssen wir unsere Sicherheitsinteressen klar definieren und konsequent verfolgen. Zum anderen geht es darum, einseitige Abhängigkeiten, sowohl in Hinblick auf Rohstoffmärkte als auch Absatzmärkte zu reduzieren. Trotzdem wird China bis auf Weiteres unser wichtigster Handelspartner bleiben und deswegen ist es in unserem Interesse, faire Wettbewerbsbedingungen und offene Marktzugänge in China einzufordern und durchzusetzen. Selbstverständlich sind dabei unsere Werte, wie z.B. die Menschenrechte, nicht verhandelbar. Anzuerkennen ist auch, dass China nicht nur Wettbewerber ist, sondern als starker Wirtschaftspartner unverzichtbar ist beim Kampf gegen die globalen Herausforderungen, wie Klimawandel und weltweiter Hunger.