Titelthema
Wer ernährt die Welt?
Der industrielle Anbau und der globale Handel von Nahrungsmitteln nimmt Kleinbauern die Existenz – ein großes Problem für die Entwicklungsländer
Mehr als sieben Milliarden Menschen leben auf der Welt. 2050 könnten es mehr als neun Milliarden sein. Sie alle müssen ernährt werden. Doch woher sollen die Nahrungsmittel kommen? Wer wird sie handeln? Wer macht die Regeln? Wer wird die wachsenden Megastädte des globalen Südens ernähren? Wer wird die Welt im 21. Jahrhundert versorgen?
Die Mehrzahl der Menschen zwischen Köln und Kapstadt, New York und New Delhi wird heute noch von Kleinbauern, genauer gesagt von Kleinbäuerinnen, ernährt. Sie leben auf Höfen von weniger als zwei Hektar Größe (in Deutschland liegt der Durchschnitt bei 60 Hektar), aber sie produzieren mehr als 70 Prozent der Nahrung weltweit. Das meiste Farmland bewirtschaften jedoch große Betriebe mit mehr als 50 Hektar. Obwohl diese nur ein Prozent der Farmer ausmachen, bearbeiten sie 65 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche der Welt.
Die industrielle Landwirtschaft, die das Agrarsystem in den Industrie- und Schwellenländern prägt, trägt deutlich weniger zur Welternährung bei als die Kleinbauern des globalen Südens. Sie sorgt jedoch mit hohem Einsatz von Energie, Wasser, Dünger und Hochleistungspflanzen für Überschüsse, die exportiert werden können. Dies allerdings zu einem hohen Preis. Er reicht vom großflächigen Verlust der Bodenfruchtbarkeit, der Überdüngung der Gewässer und Meere bis zur Beschleunigung des Klimawandels.
Abhängigkeit von Agrareinfuhren
Beim Export von Nahrungsmitteln nehmen die USA, gefolgt von den Niederlanden, Deutschland und Brasilien, die Führungsrolle ein. Auch bei den Importen liegen die USA weit vorn, gefolgt von China, Deutschland, Japan und Großbritannien. Entscheidend für die Sicherheit der Ernährung ist der Grad, in dem ein Land sich selbst versorgen kann.
Die Welternährungsorganisation FAO kommt zu dem Schluss, dass dieser Grad an Ernährungssicherheit in den letzten Jahrzehnten in Teilen der Welt dramatisch gesunken ist. Dies trifft für die reichen Ölstaaten und Japan zu, wo die Selbstversorgung in den letzten 40 Jahren von 80 auf 40 Prozent gesunken ist. Aber auch in Südkorea, China und Indien sinkt dieser Wert. Grund dafür sind unter anderem die steigende Bevölkerung, der Verlust von Ackerflächen und Wasserreserven sowie die veränderten Ernährungsgewohnheiten: Mehr Fleisch, mehr Fastfood, weniger traditionelle Ernährung.
Ausgeglichen wird dieses Defizit durch den Welthandel. Er liegt heute in den Händen von nur noch vier großen Unternehmen: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Dreyfus kontrollieren etwa 75 Prozent des weltweiten Getreidehandels. Und ihre Geschäfte wachsen gut. Während in den 1980er Jahren erst 15 Prozent der Nahrungsmittel international gehandelt wurden, waren es 2009 schon 23 Prozent der Welterzeugung. Die wachsende Abhängigkeit von Agrareinfuhren aus bestimmten Ländern, Beispiele sind Reis aus Thailand und Weizen aus Frankreich, gefährdet zunehmend die Ernährungssicherheit afrikanischer Staaten, weil sie immer größere Teile ihres Volkseinkommens für Getreideeinfuhren ausgeben müssen. 16 Prozent der Weltbevölkerung könnten ohne Importe nicht überleben.
Den Hunger bekämpfen
Rund 800 Millionen Menschen hungern weltweit. 1,5 Milliarden leiden unter Mangel an bestimmten Nährstoffen, Vitaminen und Mineralien. Afrika ist das Zentrum des Welthungers. Der allerdings kommt nicht von ungefähr. Bürgerkriege und politische Unruhen haben in vielen Staaten die Landwirtschaft zerstört, die Menschen zur Flucht getrieben. Hinzu kommt, dass die Gelder der Industrieländer für die Entwicklung der Landwirtschaft in Afrika in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zusammengekürzt wurden. Mit der Folge, dass ein gut funktionierendes System aus Landwirtschaftsschulen, Beratung der Bauern und Agraruniversitäten in sich zusammen brach und damit jedes Wachstum auf den Lande erstarb. In dieser ohnehin schon desolaten Lage kommen nun immer stärker die Auswirkungen des Klimawandels quasi als Brandbeschleuniger hinzu. Die derzeitige Dürren im Süden und mittleren Afrika kommen nicht überraschend, sie wurden schon vor Jahren vom Weltklimarat IPCC vorhergesagt. Er geht davon aus, dass in Zukunft immer mehr Ernten wegen Dürren und Hitzewellen ausfallen werden, bis zu 40 Prozent lautet seine Prognose, wenn keine drastischen Schritte im Kampf gegen die Treibhausgase unternommen werden.
Gegen diesen Trend setzt die Weltgemeinschaft das Ziel bis zum Jahr 2030, den Hunger auszurotten. Mit einer „Zero Hunger“-Politik sollen besonders die Kleinbauern in die Lage versetzt werden, mehr und bessere Lebensmittel zu produzieren. Denn ihre Ernten liegen bisher weit unter dem Niveau der Industrieländer. Doch der Weg dahin ist umstritten. Die Industrieländer favorisieren ihr eigenes Rezept. Das zielt darauf ab, über Hochleistungssaatgut, Agrarchemie, Kunstdünger und einem hohen Einsatz an Kapital und Energie große Ernten einzufahren. Die Welternährungsorganisation FAO schlägt vor, dass die Bauern selbst eine Strategie finden sollen, die an ihren Traditionen und Erfahrungen anknüpft und mit wenig Kapital, Energie, Dünger, aber dafür heimischen Pflanzen arbeitet.
Armut in den Megacities
Die Entscheidung liegt bei den Entwicklungsländern und ihren Regierungen. Doch die ist nicht unabhängig von den Industrieländern und ihren Interessen an neuen Märkten und wirtschaftlicher Zusammenarbeit. In zwölf afrikanischen Ländern versucht die sogenannte „New Alliance for Food Security and Nutrition“, das industrielle Konzept der landwirtschaftlichen Entwicklung durchzusetzen. Ein Konzept, das auf großflächige Strukturen nach dem Vorbild der Industrieländer setzt und darauf, dass die Kleinbauern eine Existenz außerhalb der Landwirtschaft finden.
Dieser Strukturwandel stößt in Afrika jedoch auf erhebliche Probleme, da es in vielen Ländern außerhalb der Landwirtschaft kaum Arbeitsplätze gibt und die Mehrheit der Bevölkerung auf ihre bäuerlichen Existenzen angewiesen ist. Bisher gibt es keine Einigung über den richtigen Entwicklungspfad. Den Verfechtern einer neuen grünen Revolution für Afrika stehen die Warner gegenüber, die im Abbau ländlicher Arbeitsplätze einen Grund für zukünftige Fluchtursachen sehen. Einigkeit besteht nur darin, dass der wichtigste Schlüssel zur Entwicklung und im Kampf gegen Armut und Hunger in der Ausbildung der Jugend liegt. Insbesondere die Bildungschancen für Mädchen und Frauen und ihr Zugang zu Landbesitz und Kapital entscheiden über Wohlstand und Wachstum.
Der weltweite Agrarhandel wird durch die Welthandelsorganisation WTO geregelt. Sie steht für den weiteren Abbau von Handelshemmnissen, insbesondere nationalen Zöllen. Doch gegen ihre Politik der Liberalisierung, die vor allem von den Industriestaaten und Agrarexportländern unterstützt wird, erhebt sich auf Seiten der Entwicklungsländer Widerstand, da diese ihre Kleinlandwirtschaft gegen den Wettbewerb mit den Industrieländern schützen wollen. Sie hoffen, dadurch den Aufbau einer eigenen Ernährungswirtschaft anzutreiben.
Dieser Interessengegensatz konnte bisher nicht ausgeräumt werden. Die Europäische Union ebenso wie die USA und Kanada setzen nun nicht mehr auf ein multilaterales Agrarhandels-Abkommen, sondern auf zweiseitige Handelsverträge mit einzelnen Entwicklungsländern. Die Sonderstellung der heimischen Landwirtschaft ist jedoch auch darin umstritten. Die Agrarexportinteressen der Industrieländer genießen weiterhin Priorität.
Bis zum Jahr 2100 werden wahrscheinlich mehr als elf Milliarden Menschen weltweit zu ernähren sein. Obwohl in Asien der größte Teil der Menschheit lebt, wird der Zuwachs auf dem afrikanischen Kontinent am größten sein, dort vor allem in den rasant wachsenden Städten. 27 sogenannte Megacities werden bis 2050 weltweit neu entstehen, davon 21 im globalen Süden. Sie werden rund 70 Prozent der Weltbevölkerung beherbergen. Die Mehrheit notdürftig in Wellblech- und Pappunterkünften und in Armut. Ob diese Menschen in Zukunft durch eine eigene urbane Landwirtschaft ernährt werden können, oder ob sie von den globalen Nahrungsmittelströmen abhängig sein werden, ist offen.