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Rotary Entscheider

„Wir können uns auf eine gute Zukunft freuen“

Rotary Entscheider - „Wir können uns auf eine gute Zukunft freuen“
Ingrid Hengster kam 1987 nach Deutschland, fremdelte zunächst mit Frankfurt, fühlt sich heute in der Main-Metropole aber zu Hause. © Selina Pfrüner/Laif

Als Vorstandsmitglied der KfW-Bank verantwortet Ingrid Hengster die Verteilung der Coronamilliarden. Ein Gespräch über ein Rekordjahr in der Jahrhundertkrise.

01.03.2021

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bezeichnet sich selbst als Krisenmanagerin der Bundesregierung. Die Oberkrisenmanagerin ist Ingrid Hengster, denn sie verantwortet das Inlandsgeschäft, dem das Sonderprogramm „Corona-Hilfen für Unternehmen in Deutschland“ zugeordnet ist. Knapp 46 Milliarden Euro schüttete die Staatsbank im vergangenen Jahr an Fördergeldern zur Bewältigung der Coronakrise aus, insgesamt belief sich das Fördervolumen auf 135,3 Milliarden Euro. Weltweit ist die KfW an über 80 Standorten vertreten und beschäftigt mehr als 6700 Menschen.

Frau Dr. Hengster, wird es nach der Pandemie mehr größere Konzerne und weniger kleine Unternehmen geben?

Davon gehe ich nicht aus, es wird weiterhin große globale Konzerne, mittelständische Unternehmen und viele wachsende Start-ups geben. Der deutsche Mittelstand ist bislang verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen, was vor allem an der guten Arbeit der vergangenen Jahre lag, in denen hohe Eigenkapitalquoten aufgebaut und gute Umsatzrenditen erwirtschaftet wurden. Ich bin davon überzeugt, dass wir nach der Pandemie diese Unternehmensvielfalt sehen werden. Alle mussten und müssen sich den teilweise dramatischen Herausforderungen stellen und ihr Geschäft an den großen Themen der Zukunft ausrichten und in Nachhaltigkeit, Innovation und die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle investieren.

Wie hat sich ihr Bereich durch Corona im vergangenen Jahr verändert?

Das gesamte Inlandsgeschäft hat sich 2020 auf 106,4 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Allein in den Corona-Hilfsprogrammen haben wir 46 Milliarden Euro an Fördergeldern zugesagt, davon wurden aber nur 32 Milliarden Euro in Anspruch genommen. Den Unternehmen geht es besser als erwartet, einige haben die Kredite als Vorsorge und als Liquiditätsabsicherung genommen. Der zweite Treiber waren die Programme „Energieeffizient Bauen und Sanieren“, denn viele Menschen hatten 2020 genutzt, um Häuser zu bauen oder zu sanieren. Allein in dem Bereich haben wir 30 Milliarden Euro zugesagt. Der Rest des Fördervolumens teilt sich auf Geschäftsbereiche wie Gründung, Start-up-Förderung über Kredite und Fondsfinanzierung der KfW Capital, Kommunalförderung und Bildungsförderung auf. Aber auch diese haben angezogen. Es war damit ein absolutes Ausnahmejahr für das Inlandsgeschäft, aber auch für die gesamte KfW-Bankengruppe.

Zurück zu den Coronahilfen. Die Branchen Kreuzfahrt und Luftfahrt wurden mit 8,1, beziehungsweise 4,8 Milliarden Euro, unterstützt. Unternehmen welcher Branchen stellen bei Ihnen besonders häufig Anträge?

97 Prozent des Fördervolumens in den KfW-Coronaprogrammen kommen kleinen und mittleren Unternehmen zugute. Der Median der Förderung lag im vergangenen Jahr bei 105.000 Euro. Der Mittelstand ist mit 2,7 Millionen Unternehmen am stärksten von der Krise betroffen. Hervorheben muss man das verarbeitende Gewerbe, den Handel, den Dienstleistungsbereich, Hotellerie und Tourismus, eben alle, die nicht öffnen durften oder unterbrochene Lieferketten zu beklagen hatten.

Und doch hört und liest man immer wieder, dass die Hilfen nicht oder viel zu spät ankommen.

Für uns ist entscheidend, was uns unsere Kunden melden, und die bestätigen, dass sie die Coronahilfskredite sehr schnell bekommen haben. Das war nur möglich, weil alle an einem Strang gezogen haben, die Bundesregierung, die Finanzierungspartner, die Verbände und die Aufsichtsbehörden. Ein Image formt sich oft aus Einzelfällen, und ich kann nur für unsere Kunden sprechen, die außerordentlich zufrieden sind. Gefördert wurden vor allem Betriebe, die sehr stark betroffen waren, drei Viertel von ihnen meldeten Existenzängste. Diese Betriebe kamen zu uns, weil sie keine anderen Geldquellen hatten, und das Fördergeld verwendeten sie, um laufende Zahlungsverpflichtungen zu bedienen.

In Deutschland werden Kreditanträge über die Hausbanken, beziehungsweise Sparkassen und Genossenschaften, gestellt. Andere Länder haben gute Erfahrungen mit Finanzierungsplatformen durch Fintechs gemacht. Könnten Fintechs als Vermittler nicht auch hierzulande noch manchen Prozess beschleunigen?

Es gibt eine perfekt eingespielte Infrastruktur zwischen den Banken und der KfW. Wir arbeiten sehr gut und hoch automatisiert zusammen. In vielen Programmen kommen die Zusagen in der Regel sehr schnell, noch während der Kunde in seiner Hausbank sitzt. In diesen Bereichen sehe ich da überhaupt keinen Anlass, irgendetwas zu verändern. Wir sind auch für neue Finanzierungspartner offen und arbeiten schon mit vielen Fintechs in unterschiedlichen Feldern zusammen: Etwa in der Immobilienfinanzierung, die zu circa 30 Prozent über digitale Finanzierungsplattformen abgewickelt wird. Im gewerblichen Bereich entwickeln sich ebenso digitale Spieler. Im kommunalen Bereich kooperieren wir auch mit einigen Plattformen, beobachten aber, dass die Kämmerer heute noch die traditionellen Wege bevorzugen.

Einige ernst zu nehmende Ökonomen befürchten eine nie dagewesene Insolvenzwelle im Laufe dieses Jahres. Werden im Moment Tausende Unternehmen durch KfW-Kredite künstlich am Leben gehalten?

Man muss das gut beobachten. Aber anders als in der Finanzkrise vor zehn Jahren ist der Mittelstand gut vorbereitet in diese Krise gegangen. 2008/2009 gab es tatsächlich einen signifikanten Anstieg an Insolvenzen. Derzeit sehen wir dafür keine Anzeichen, wobei natürlich die Dauer der Pandemie und die Impferfolge entscheidend sein werden. Und wenn die Hilfen einmal ausgelaufen sind, werden wir natürlich Insolvenzen erleben, aber längst nicht in dem Ausmaß, wie zu Beginn befürchtet wurde.

Wie meinen Sie das?

In der Krise haben viele Unternehmen ihr Geschäft in Windeseile digitalisiert, darüber hinaus Homeoffice ermöglicht und insgesamt eine sehr starke Anpassungsfähigkeit gezeigt. Das ist zwar nur die Grundlage, um im Geschäft zu bleiben. Aber wir hören, dass der Mittelstand nun weiter in digitale Prozesse, Künstliche Intelligenz und Automatisierung investieren will, um zukunftsfähig zu sein. Auch dafür bieten wir die passenden Förderprogramme an.

Nicht allen Branchen hilft ein höherer Grad der Digitalisierung. Werden Innenstädte und Szeneviertel veröden, weil haufenweise gastronomische Betriebe schließen müssen?

Das muss man zum Thema machen. Der Wandel der Innenstädte hat aber lange vorher begonnen, unter anderem mit dem Onlinehandel. Ich glaube an die Innenstädte, weil Menschen Orte brauchen, an denen sie zusammenkommen. Darum muss man eine gute Mischung aus Gastronomie, Gewerbe, Handel und Kultur schaffen. Darunter fallen auch Sportangebote, Straßenkunst, Theater und Kinos. Ich glaube, wenn wir uns die Entwicklung bewusst machen und gemeinsam gegensteuern, haben die Städte eine Zukunft.

Ist Kultur systemrelevant?

Als Österreicherin habe ich eine ganz besondere Einstellung zur Kultur und finde sie lebenswichtig. Erst jetzt in der Krise merken wir, wie sehr sie uns fehlt – nicht nur den Kulturschaffenden, sondern auch den Konsumenten. Es beeindruckt mich, wie kreativ die Szene ihr Publikum in der Krise erreicht. Aber natürlich ersetzt das nicht den echten Auftritt vor Publikum – und auch nicht die Einnahmen.

Wenn angeschlagene Unternehmen heute keine jungen Menschen ausbilden, werden uns diese in einigen Jahren als Fachkräfte fehlen. Wie lange werden wir die Nachwehen der Pandemie noch spüren?

Diese Frage beschäftigt viele Menschen. Ich höre aus dem Mittelstand, dass nicht am Personal gespart wird. Die allermeisten Betriebe haben versucht, ihre Mitarbeiter zu halten, um für die Zeit nach der Krise stark zu sein. Ich glaube nicht, dass weniger ausgebildet wird. Wie lange aber die Nachwirkungen zu spüren sein werden, kann jetzt noch niemand sagen. Das hängt wohl vor allem von unser aller Verhalten ab: Werden wir etwa schnell wieder reisen oder uns zurückhalten? Auch wenn es ein Allgemeinplatz ist, glaube ich doch, dass die Krise auch viele gute Seiten hat. Sie regt zum Nachdenken an und hat viele Schwachstellen, aber auch Stärken aufgezeigt. Wer hätte denn zum Beispiel gedacht, dass wir in Deutschland so starke Unternehmen im Bereich der Biotechnologie haben? Wir haben eine sehr hohe Innovationsfähigkeit, die mir Mut macht. Das ist eine Jahrhundertkrise und Deutschland hat sie aus meiner Sicht bislang hervorragend bewältigt. Wenn erst einmal der Großteil der Menschen geimpft ist, können wir uns auf die Zukunft freuen, und viele Unternehmen werden bessere Chancen haben als zuvor. Ich spüre auch eine große Begeisterung der Menschen für das Neue, das bringt junge Unternehmen und zukunftsweisende Geschäftsmodelle mit sich, die sich viele von uns heute in der Krise noch gar nicht vorstellen können.

Was bedeutet Ihnen Rotary?

Rotary bietet mir eine tolle Möglichkeit, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen – momentan auch digital. Ich finde das spannend, und es macht mir viel Freude, gemeinsam große Projekte zu unterstützen. Eine wunderbare Plattform, um Gutes zu tun. Die rotarische Idee ist sicher zukunftsfähig.

Und was könnte besser sein?

Wer etwas verändern will, muss sich selbst mehr einbringen. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin auch viele Menschen dazu bewegen können, sich bei Rotary zu engagieren.

Das Gespräch führte Björn Lange.