Entscheider
"Wir sollten aufhören, das Auto zu verteufeln"
Die Frage, wie wir uns in Zukunft fortbewegen wollen, gehört zu den drängendsten unserer Zeit. Die Antworten kennt Harry Wagner.
"Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung." So hat es Kaiser Wilhelm II. vor über 100 Jahren gesagt und sich damit zum Gespött der Nachwelt gemacht. Heute hoffen Klimaaktivisten, dass er damit nachträglich doch noch richtig liegt. Der Verbrenner gilt als antiquiert und doch gibt es derzeit in Deutschland 49 Millionen Pkw – so viele wie nie und die allermeisten sind Verbrenner. Global sind es mehr als 1,6 Milliarden Autos, Tendenz steigend. Rotary-Magazin-Chefredakteur Björn Lange befragte Mobilitätsexperte Prof. Dr. Harry Wagner:
Herr Wagner, wie steht es denn nun um das Auto?
Das Auto ist heute noch unser Fortewegungsmittel Nummer eins und macht im Modalsplit etwa 50 Prozent aus. Der Grund für die steigenden Pkw-Zahlen ist, dass unsere Mobilitätsbedürfnisse kontinuierlich steigen.
Die allermeisten Autos werden nur 45 Minuten am Tag bewegt, stehen sonst nur herum und nehmen in Städten Platz weg. Autokritiker sagen, das Auto sei undemokratisch und es brauche eine neue Flächengerechtigkeit. Aber Sie sagten gerade, dass wir das Auto brauchen.
Ich wehre mich gegen dogmatische Aussagen. Unsere Bedürfnisse müssen befriedigt werden, und zwar möglichst kostengünstig, flexibel und bequem, und da fällt bei vielen Menschen die Wahl halt aufs Auto. Hier in Ingolstadt viel öfter als etwa in Berlin, wo der ÖPNV einen viel höheren Anteil im Modalsplit hat. Natürlich sollten wir den nachhaltigeren Weg wählen, aber dieser muss dann eben auch funktionieren. Wir sollten aufhören, das Auto zu verteufeln und lieber alle zusammen daran arbeiten, Lösungen in den Markt zu bringen, die den Menschen echte Alternativen zum Auto bieten. Dann wird sich alles andere von selbst regeln. Das braucht ein Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Die Wissenschaft entwickelt Lösungen, die Politik schafft den Rahmen, die Wirtschaft bringt’s in den Markt und die Gesellschaft wird es akzeptieren, wenn sie überzeugt ist.
70 Prozent der Deutschen leben in ländlichen Strukturen, denen kann man doch nicht den Diesel wegnehmen. Das wäre dogmatisch. Was also heißt das für diese Regionen?
Genau. Auf dem Land, wo die Anbindung viel schlechter ist als in der Stadt, brauchen die Menschen Alternativen, sonst werden sie das Auto nutzen.
Wie könnten Lösungen aussehen, um die Mobilitätslücke in die nächste Stadt zu schließen?
Je nach Entfernung in die Stadt braucht es einen Mix aus Sharing-Angeboten. E-Scooter für kurze Strecken, Rufbusse und On-Demand-Shuttles. Mehr und direkte Busse, mehr Bahnen aufs Land. Auch das Fahrrad ist ein gutes, intelligentes, nachhaltiges und gesundes Verkehrsmittel, aber dafür braucht es eine gute Infrastruktur an sicheren Fahrradwegen. Es ist die Kombination und alles muss immer orts- und situationsspezifisch betrachtet werden. Nur: Die Mobilitätswende kostet Geld, es muss viel mehr investiert werden.
In Österreich wird pro Kopf deutlich mehr in nachhaltige Mobilitätskonzepte investiert als in Deutschland.
Ja, wir müssten in Deutschland viel mehr in eine klimagerechte Mobilitätswende investieren. Österreich geht mit solchen Fragen viel stringenter um. Wenn man sich mal anschaut, wie schnell da die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Inntal-Autobahn eingeführt wurde. Und die Österreicher sind auch rigoros bei der Blockabfertigung. Die machen vieles konsequenter, bei uns gibt es einen Nachholbedarf.
Wie steht es eigentlich um die Elektromobilität? Apple hat den Spaß daran verloren und ist vorerst ausgestiegen. Es gibt eine Schrumpfung in den Produktionszahlen.
Auch die Zulassungszahlen sind im Vergleich zum Vorjahr signifikant rückläufig. Jetzt mal ganz emotionsfrei: E-Mobilität ist eine neue Technologie, und neue Technologien brauchen immer Vertrauen. Ich denke, die Politik muss sie den Kunden schmackhaft machen. Ich halte es immer noch für eine fatal falsche Entscheidung, die Subventionen zu streichen. Die Wissenschaft muss daran arbeiten, dass die Batteriereichweiten größer werden, die Wirtschaft marktrelevante Modelle bauen und die Gesellschaft muss sie wollen. Und weil Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft nicht gleichermaßen zusammenwirken, stagniert das Thema.
In Deutschland gibt es derzeit etwa 1,5 Millionen E-Autos, bis 2030 sollen es 15 Millionen sein. Kann das überhaupt klappen oder kam das Verbrenner-Aus zu früh?
Tja, das Verbrenner-Aus war auch wieder so eine dogmatische Sache. Wenn man das klüger angegangen wäre, hätte man gar kein Verbrenner-Aus beschließen müssen. Bei besseren Konditionen für E-Autos hätte der Markt das von ganz allein geregelt. Und kann das klappen? Ja, aber dafür brauchen wir eine bessere Ladeinfrastruktur, bessere Reichweiten, Subventionen und die Kunden, die mitziehen wollen.
Kann man Lkw überhaupt elektrifizieren? Die klassischen Diesel-Lkw soll es in Europa ja auch nur noch bis 2045 geben.
Möglich ist das schon. Es gibt ja erste Lkw und Linienbusse, die elektrisch fahren. Die werden halt anders genutzt, weil sie immer mal wieder laden müssen. Auch hier wird es den Technologiewandel geben, aber hier ist es noch extremer: Der, der das Produkt kauft, und der, der es fährt, sind unterschiedliche Personen. Der Spediteur wird immer seinen Blick auf die total cost of ownership haben. Er wird wirtschaftlich entscheiden. Bei einem privaten Pkw können wir subjektiver und emotionaler entscheiden.
Welche Rolle spielt KI in der Mobilität der Zukunft?
Der große Ansatzpunkt ist die Optimierung der Verkehrssicherheit.
Wie muss man diesen Markt regulieren? Wer haftet wofür?
Ich bin kein Jurist, aber die Haftung ist für die Hersteller ein Riesenthema. Wer haftet denn bei einem Unfall in einem autonomen Fahrzeug, der Fahrer, der ja nicht gefahren ist, oder der Hersteller? Da muss rechtlich und regulatorisch viel passieren, wenn wir die Hersteller dazu ermuntern wollen, Mobilität durch KI sicherer zu machen. Kameras sehen einfach mehr als wir Menschen. Es wird sicher weiterhin Unfälle geben, aber weniger als bisher. Diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen, nur weil der regulatorische Rahmen fehlt.
Wie steht es ums autonome Fahren? Die einen wollen sich auf Kameras verlassen, dazu gehört Tesla, andere arbeiten mit einer ausgeklügelten Sensorik – etwa mit Radar und Ultraschalltechnologie.
Autonomes Fahren basiert auf Informationen. Das Auto braucht dazu Kartenmaterial, auch Informationen aus dem Umfeld, die mit Hilfe von Sensorik generiert werden. Hierzu zählen Kameras, Radar, Ultraschall und lasergestützte Systeme wie "Lidar". Tesla hat lange auf Lidar verzichtet, Volkswagen hat von Anfang an mit Lidar gearbeitet. Ich glaube, wenn wir über Level 3 und 4 des autonomen Fahrens reden, dann braucht es alles an Sensorik, was möglich ist, in Kombination.
Beim automatisierten Fahren ist in Level 2 noch der Fahrer verantwortlich, wie ist das in Level 3 und 4 geregelt?
Beim Fahren in Level 3 kann das Auto schon übernehmen, aber ich muss als Fahrer jederzeit in der Lage sein, einzugreifen. Das ist klar geregelt. Bei einem Unfall ist die Haftung beim Fahrer. Das ändert sich bei Level 4. Da hab ich die Möglichkeit, mich vom Fahrgeschehen abzuwenden, zu arbeiten oder Karten zu spielen. Wenn das System an seine Grenzen gerät, stellt es sich selbst ab und meldet: Ich kann hier nicht weiterfahren. Zwischen Level 3 und 4 ist es nochmal ein Riesensprung, weil die Haftungsfrage im Falle eines Unfalls zum Tragen kommt.
Wer vertritt in dieser Innovationsrallye eigentlich den gesunden Menschenverstand? Kommt diese Rolle dem Kunden zu?
Ist das nicht bei jedem Produkt so? Schauen Sie aufs Smartphone. Das Produkt hat das Bedürfnis geweckt. Wenn der Mensch den Nutzen sieht und der rechtliche Rahmen abgesichert ist, wird er das Produkt kaufen.
Was ist Ihre Philosophie für das Fahren in der Zukunft?
Meine Wunschvorstellung wäre, dass mir die Deutsche Bahn eine Karte anbietet, mit der ich all ihre Angebote nutzen kann: alle Züge, Car-Sharing, Bike-Sharing, Flugtaxen, sofern die einmal kommen, und den ganzen ÖPNV. Das kostet dann etwas mehr, aber damit bin ich mobil – und zwar immer so, wie ich es gerade brauche. Für lange Strecken den Zug, für die Stadt den ÖPNV oder das Rad, für kleine Strecken dazwischen auch mal das Auto. Die DB ist der umfänglichste Mobilitätsdienstleister, den wir in Deutschland haben. Die forschen auch an Drohnen. Und ich will mit dieser Karte auch nach Österreich fahren können. Was ich dort vom Mobilitätsangebot nutze, rechnet die Deutsche Bahn mit der ÖBB ab – wie bei meinem Handyvertrag. EU-Roaming für Mobilität, das wär’s.
Thema Sicherheit: Wie schützt man eigentlich ein Auto, das durch online-basierte Systeme gesteuert wird? Das darf ja nicht gehackt werden.
Das ist ein Riesenthema. Es soll ja keiner ins System eingreifen können und das Fahrzeug autonom gegen eine Wand steuern. Das ist noch nicht gelöst, da gibt es noch viel Forschungs- und Absicherungsbedarf. Es ist halt ein Unterschied, ob jemand auf meinen PC zugreift, oder auf mein Auto. Die Autohersteller haben kein Best-Practice-Beispiel für ihre IT-Architektur. Die Smartphones von Apple taugen nicht als Vergleich. Das ist beim Auto eine ganz andere Nummer, da geht es um Echtzeitverfügbarkeit. Ein Bremssystem muss funktionieren – immer! Im Deutschen sprechen wir immer nur von "Sicherheit", aber im Englischen von "safety" und "security"! Safety ist, dass der Airbag funktioniert, aber security will sicherstellen, dass ein Fahrzeug vor Eingriffen ins IT-System geschützt ist.
Welche Rolle spielen Flugtaxen bei der Verkehrswende? Ist es realistisch, dass sie bis 2026 über unseren Städten kreisen?
Möglich ist das schon, denn es ist weitaus weniger komplex, Flugtaxen autonom fliegen zu lassen, als ein Auto in der Stadt fahren zu lassen. Denn dort oben in der Luft gibt es keine Ampeln, keine Zebrastreifen, keine Fahrräder, da ist einfach weniger los. Ich glaube trotzdem nicht an 2026 im Serienmodus, es wird noch etwas länger dauern. Ich glaube auch nicht, dass wir in Deutschland großen Bedarf daran haben. Im Vergleich zu Tokyo, Mexiko-Stadt und Sao Paolo ist sogar Berlin noch klein. Ich sehe Einsatzmöglichkeiten für solche Passagierdrohnen eher in solchen Megacitys. Es kann aber kein Massenbeförderungsmittel sein, sondern funktioniert bei gezielten Anwendungen. Wenn man sich heute einen Helikopter mietet, kostet die Flugstunde 2500 bis 4000 Euro. Bei einer Drohne könnte es eine Flugstunde ab 250 Euro geben. Wenn ich dann mit meiner Frau von Ingolstadt zum Flughafen fliegen möchte, dauert das etwa 20 Minuten und kostet zwischen 80 und 100 Euro. Wenn man vergleicht, was zwei Zugtickets kosten oder eine Autofahrt mit den Parkgebühren, dann kommen wir in einen Bereich, wo so etwas gesellschaftlich akzeptabel wird.
Was bedeutet Ihnen Rotary?
In zwei Worten ausgedrückt: guter Zweck. Der Hauptgrund für meine Mitgliedschaft ist, dass wir gute Dinge machen. Natürlich lernt man auch tolle Leute kennen und genießt die Gemeinschaft und das Netzwerk, aber alles ist dem guten Zweck untergeordnet.
Das Gespräch führte Björn Lange.
Prof. Dr. Harry Wagner (RC Ingolstadt-Kreuztor) ist Studiengangleiter Automotive and Mobility Management an der Technischen Hochschule Ingolstadt und Mitgründer der Future Mobility Solutions GmbH. Er forscht zu Mobilitätslösungen der Zukunft.