https://rotary.de/wissenschaft/des-koenigs-vergessene-residenz-a-859.html
Das Königsberger Schloss war lange von allen guten Geistern verlassen - nun diskutieren die Russen über seinen Wiederaufbau

Des Königs vergessene Residenz

Wulf D. Wagner

Wulf D. Wagner04.01.2012

Friedrich der Große hatte an seiner zweiten Haupt- und Residenzstadt, an Königsberg, kein größeres Interesse. Als er bei seinem Regierungsantritt 1740 nach (Ost-)Preußen kam, huldigten zwar – wie bei seinen Vorgängern – die Stände im festlich geschmückten Hof des Königsberger Schlosses. Aber der König wohnte nicht in den herrschaftlichen Gemächern, sondern in jenem Barockpalais, das schon sein Vater Friedrich Wilhelm I. für seine Auf.enthalte in der Stadt am Pregel erworben hatte.

Seit ihrer Gründung 1255 war die Burg Königsberg – nach der Umwandlung des geistlichen Deutschordensstaates in ein säkulares Herzogtum (1525) zum Renaissanceschloss umgebaut – Sitz der Landesverwaltung sowie Hauptstadt und Residenz der Hochmeister des Deutschen Ordens (seit 1457) und Herzöge in Preußen (seit 1525). Manch ein Vorfahre Friedrichs II. hatte für längere Zeit hier gelebt, z.B. der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (Rgzt. 1640–1688), der Raumausstattungen im Stil des niederländischen Frühbarocks hatte ausführen lassen, oder Friedrich I. (Rgzt. 1688–1713), der sich als bis dato Kurfürst Friedrich III. hier 1701 zum König in Preußen krönte und den barocken Neu.bau des Ostflügels in Auftrag gab. Doch der sparsame Friedrich Wilhelm I. (Rgzt. 1713–1740) stopp.te bei seinem Regierungsantritt den Umbau und übergab einst herrschaftliche Räume der Landesregierung und -justiz. Unter Friedrich dem Großen verlor das Schloss weiter an Glanz: Die hohen Renaissancegiebel des Westflügels wurden abgebrochen, die Einrichtung des Großen Kurfürsten aber auch die der Herzöge des 16. Jahrhunderts ging weitgehend verloren – durch Verkauf, Verwahrlosung und Diebstahl, darunter Gemälde von Lucas Cranach und Albrecht Dürer.

Nichtsdestotrotz war das Königsberger Schloss aufgrund seiner langen Geschichte – es war fast 200 Jahre älter als das Berliner Schloss – ein herausragen.des Bauwerk im Nordosten Europas, das historisch bedeutsamste Schloss zwischen Berlin und St. Petersburg. Mehr als in seiner architektonischen Form, die nach dem Baustopp 1713 nicht mehr an die der Schlösser zu Berlin und Potsdam oder St. Petersburg heranreichte, liegt seine Bedeutung in den (geistes-) geschichtlichen Begegnungen. Nicht nur alle preußischen Könige, sondern zahlreiche Lebensläufe bekannter Persönlichkeiten verbinden es mit den wichtigsten Daten der preußischen und europäischen Geschichte; in seinen Mauern begegnen wir Kant, Kleist, Eichendorff, Königin Luise, Napoleon, Gneisenau, Scharnhorst, Freiherr vom Stein, Schinkel und Stüler, und kurz vor dem Untergang Thomas Mann. Aufgrund seiner Lage war das Schloss in vielerlei Hinsicht auch mit der russischen Geschichte verbunden. Für Peter den Großen war es die erste Station auf seiner ersten Reise nach Europa 1697; während der russischen Besetzung Ostpreußens im Siebenjährigen Kriege diente es dem russischen Gouverneur als Amtssitz, er ließ einige Schlossräume neu ausstatten; die kleine preußische Prinzessin Charlotte, die während der napoleonischen Herrschaft hier 1806–1809 aufwuchs, heiratete 1817 den Zaren Nikolaus I. (Rgzt. 1825–1855); und nicht zuletzt war das Schloss immer Reisestation der russischen Herrscher auf dem Wege von Petersburg nach Berlin.

WIEDERAUFBAUGEDANKEN

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Königsberg mit einem Teil Ostpreußens von der Sowjetunion annektiert und 1946 in Kaliningrad umbenannt. 1969, als im Westen die Erinnerung an Preußens Osten langsam verblasste, wurden die immer noch imposanten Ruinen des im Kriege schwer getroffenen Schlosses gesprengt.
Aufgrund seiner vielfältigen Bedeutung, vor allem auch aufgrund seiner zentralen Lage in der heute leeren Stadtmitte, gibt es seit Jahren Gedanken, Entwürfe und erste Modelle zu einem Wiederaufbau des Königsberger Schlosses – von russischer Seite.

Allerdings ist der Wiederaufbau historischer Bau.werke immer ein idealistischer Trauerakt. Denn das Original mit seinen lebendigen Spuren der Vergangenheit bleibt verloren. Dennoch wird – wie in Dresden, Warschau, Vilnius oder Berlin – auch am Pregel das Wagnis zur Rekonstruktion längst eingegangen. So bekam der Königsberger Dom nicht nur ein neues Dach – selbst die Epitaphe der preußischen Herzöge werden mittlerweile rekonstruiert. Die zahlreichen Diskussionen in Königsberg (Kaliningrad) verdeutlichen die Suche der neuen russischen Bewohner nach einer dem Ort eigenen Identität. Das Schloss war zwar nie russisch, aber doch ein Ort kultureller Verbundenheit zwischen Preußen und Russland, die als Basis für seinen Wiederaufbau reiches Erbe zu Genüge birgt. Aus einem großen Idealismus heraus haben russische Architekten erste Entwürfe vorgelegt. Der umfassende Planbestand in Berliner und Potsdamer Archiven ermöglicht eine genauere Vorarbeit, die durch intensivere Diskussionen zu zahlreichen Details dieses großen und sehr komplexen Gebäudes begleitet werden müssten. Noch sind Entscheidungen in Königsberg (Kaliningrad) – und Moskau – nicht gefallen, aber als imaginäres Wahrzeichen erlebt das Schloss vor Ort schon jetzt auf Postkarten und Flaschen, in Kunstwerken, Werbung und Literatur seine ganz reale Auferstehung.
Wulf D. Wagner
Dr. Wulf D. Wagner ist Architekturhistoriker mit Schwerpunkt Schlösser und Herrenhäuser in Ostpreußen. 2008 und 2011 erschien eine zweibändige Geschichte des Königberger Schlosses. Zuletzt veröffentlichte er u.a. „Das Rittergut Truntlack 1446-1945: 499 Jahre Geschichte eines ostpreußischen Gutes“ (Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, 2014).