Rotary Aktuell
Eine unbequeme Geschichte
Zur diesjährigen International Convention in Hamburg legte die Forschungsinitiative „Rotary in Deutschland von der Mitte der 1920er bis zur Mitte der 1950er Jahre“ ein weiteres Ergebnis ihrer Arbeit vor. Mit überwältigender Resonanz.
„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Dieses Zitat aus der Rede Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 könnte gut und gern über der Arbeit der Forschungsinitiative „Rotary in Deutschland von der Mitte der 1920er bis zur Mitte der 1950er Jahre“ stehen. Entstanden war die Initiative nach einem Beitrag im Rotary Magazin 10/2015, in dem Kurt-Jürgen Maaß dazu aufgerufen hatte, im Vorfeld der diesjährigen International Convention in Hamburg „endlich eine Studie vorzulegen, die Rotarys Vergangenheit zwischen 1933 und 1937 aufarbeitet“, denn – so Maaß weiter – „diese Zeit liegt in einer Grauzone, die sich Rotary mit seinen hehren Zielen nicht mehr leisten kann.“
In der Tat hatte es bis dato nur wenige Publikationen gegeben, die sich mit dem Verhalten Rotarys und einzelner Rotarier während des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hatten; neben einzelnen Clubchroniken und Vorträgen als überregionale Betrachtung im Grunde nur Friedrich von Wilperts „Rotary in Deutschland. Ein Auszug aus Deutschem Schicksal“. So war es möglich, dass sich die deutschen Rotarier nach 1945 vor allem als Opfer des NS-Regimes darstellen konnten; die Selbstauflösung im Jahre 1937, die zweifelsohne auf Druck des NS-Regimes erfolgt war, genügte als Beleg für diese Selbstzuschreibung.
Auf den Beitrag von Kurt-Jürgen Maaß hin bildete sich schnell ein rotarischer Expertenkreis aus Zeithistorikern, Archivaren und Autoren, zu dessen erstem Treffen im März 2016 Carl-Hans Hauptmeyer lud. Die Mitglieder des Expertenkreises, zu dem auch der Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Hermann Schäfer gehört, berichteten im Laufe der letzten Jahre mehrfach im Rotary Magazin über den Fortgang des Projekts. Ein weiterer Meilenstein war die Veröffentlichung des Manuskripts „Rotarier unterm Hakenkreuz. Anpassung und Widerstand in Stuttgart und München“ von Paul Erdmann. Derzeit liegt unter Leitung von Peter Diepold ein neuer Schwerpunkt auf einem „Digitalen Gedenkbuch“ mit Biographien und Porträts der bislang ca. 200 als „victims“ identifizierten Rotarier, die ihre Clubs aus politischen oder rassistischen Gründen nach 1933 verlassen mussten, verfolgt oder gar ermordet wurden.
Unangenehme Erkenntnisse
Rechtzeitig zur Convention in Hamburg legten die Freunde des Expertenkreises mit dem Buch „Rotary unter dem Nationalsozialismus. Lehren aus der Geschichte – für die Zukunft“ ein weiteres publizistisches „Zwischenergebnis“ (so Mitherausgeber Carl-Hans Hauptmeyer in seinem Vorwort) ihrer Arbeit vor. Auf jeweils 96 Seiten schildern die Autoren in einer deutschen und einer englischen Ausgabe übersichtsartig und zugleich komprimiert die Anfänge von Rotary in Deutschland, die Situation in der NS-Diktatur bis 1937, die Treffen der Freundeskreise danach und die Neuanfänge nach 1945. Oliver Rathkolb beschreibt zudem vergleichend die Entwicklung Rotarys zwischen 1925 und 1945 in Österreich.
Ohne Scheuklappen schildern die Autoren, wie nach hoffnungsvollen Anfängen Ende der zwanziger Jahre – als sich die Organisation in Mitteleuropa zu der von Rotary International erhofften Brückenbauerin zwischen den Nationen entwickelte – die verantwortlichen Rotarier nach 1933 schnell versuchten, sich selbst und ihre Organisation an die neuen politischen Verhältnisse anzupassen; wie sie sich bereits im Frühjahr 1933 „der nationalen Regierung zur Verfügung“ stellten und – letztlich vergeblich – versuchten, Rotary (aber oftmals auch die eigene Karriere) durch Anbiederungen an das System zu retten.
Zu einer zentralen Frage wurde 1933 schon bald der Umgang mit den jüdischen oder politisch in Ungnade gefallenen Freunden. Nur höchst selten, etwa in Mainz und Heidelberg, lösten sich die örtlichen Clubs auf, um gegenüber dem Druck des Regimes nicht nachgeben zu müssen. Oftmals jedoch wurden die jüdischen Freunde zum Austritt gedrängt oder direkt ausgeschlossen. Die Anpassung ging letztlich so weit, dass die Zeitschrift Der Rotarier vor der Schein- Reichstagswahl 1936 empfahl, die NSDAP zu wählen. Äußerst beklemmend schildern die Autoren auch die Zurückhaltung von Rotary International: Viermal besuchten RI-Präsidenten nach 1933 das nationalsozialistische Deutschland, „jedes Mal gab es ihrerseits Worte und Gesten der Wertschätzung gegenüber Land und Regierung“.
Sicherlich gilt: Wer nie in einer Diktatur gelebt und deshalb nie erfahren hat, wie schnell die persönliche Freiheit bedroht sein und die Existenz der Familie auf dem Spiel stehen kann, sollte sich hüten vor vorschnellen und erst recht vor moralisierenden Urteilen. Und doch muss man nach der Lektüre des vorliegenden Buches nüchtern feststellen, dass die nach 1945 von Rotary reklamierte Opferrolle kaum aufrechterhalten werden kann.
Informativ sind auch die Schilderungen des Neuanfangs nach 1945. Nun kehrten sich die politischen Verhältnisse um; und zum Problem wurde auf einmal die Frage nach dem Umgang mit denjenigen früheren Mitgliedern, die sich allzu willfährig dem NS-Regime angedient hatten. Zu denjenigen, die damals ihr Renommee einbrachten und sich für eine Wiederzulassung deutscher Rotary Clubs einsetzten, gehörte u.a. der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Erwähnungen wie sein Engagement gegenüber RI schon im Juni 1945 gehören zu den zahlreichen kleinen Fundstücken, die dieses Buch trotz seines knappen Umfangs zu einer reichen Fundgrube machen.
Überwältigende Resonanz
Ein wichtiges Anliegen war den Mitgliedern der Forschungsinitiative von Beginn an, nicht nur zurückzuschauen, sondern auch zu fragen, welche Lehren sich aus dem Verhalten der Rotarier nach 1933 für die Gegenwart ziehen lassen. Vor diesem Hintergrund legte der Expertenkreis zur Convention nicht nur das hier besprochene Buch vor, für dessen Präsentation er auch einen eigenen Messestand organisierte, sondern veranstaltete zudem in Hamburg eine eigene Breakout-Session zum Thema „Rotary and Dictatorship. What we may learn from history“. Sowohl mit dem Buch als auch mit der Breakout- Session stießen die Freunde auf eine unerwartet hohe Resonanz: Während der Messestand die gesamte Convention über von interessierten Besuchern „belagert“ war, fanden bei der Diskussionsrunde buchstäblich hunderte Besucher keinen Eintritt, weil die Plätze nicht ausreichten. In der Feedback-Auswertung von Rotary International wurde die Breakout-Session von vielen Besuchern gar als „beste Veranstaltung der Convention“ bezeichnet. Inzwischen sind die Erstauflagen sowohl der deutschen als auch der englischen Ausgabe nahezu ausverkauft. Zudem gab es bereits Nachfragen aus anderen Ländern an die deutschen Freunde, ob diese nicht bei ähnlichen Projekten in anderen Ländern behilflich sein könnten.
Dieser Erfolg – aber auch die von den Autoren gewählte Formulierung „Zwischen- ergebnis“ – wirft natürlich die Frage auf, wie es weitergeht. Der Expertenkreis selbst hat sich als nächstes Ziel die Vervollständigung des digitalen Gedenkbuches zur Aufgabe gesetzt. Wünschenswert wären freilich auch weitere Arbeiten wie die vorliegende; sei es in Form einer umfassenden Gesamtdarstellung zur Geschichte Rotarys in Deutschland und Österreich oder sei es in Form von Studien zu Clubs oder einzelnen Rotariern, etwa im Rahmen von Promotionsprojekten. Die Resonanz auf die Arbeit der Forschungsinitiative zeigt, dass dafür ein interessiertes Publikum vorhanden ist.
Buchtipp
Rotary unter dem Nationalsozialismus. Lehren aus der Geschichte – für die Zukunft.
96 Seiten, gebunden. Die deutsche und die englische Fassung des Buches ist zu beziehen bei ecrivir, Hansteinstr. 3, D-30419 Hannover, oder unter mail@ecrivir.de. Der Preis beträgt 10 Euro, zzgl. Versandkosten. Ab 50 Exemplaren innerhalb Deutschlands versandkostenfrei.