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Gustav Klimt und die Arbeit mit einer neuen Technologie

Fotografie als Vorlage

Alfred Weidinger30.07.2012

Gustav Klimt machte sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit dem Medium der Fotografie vertraut. Es ist bekannt, dass der spätere Meister schon während seiner Ausbildung in der k. k. Kunstgewerbeschule in Wien Porträtminiaturen nach Fotografien malte, um mit den Erträgen seine Familie zu unterstützen. Wenig später rühmte sich die von ihm, seinem Bruder Ernst und Franz Matsch 1883 gegründete Künstler-Compagnie für die besonders rasche Umsetzung von Aufträgen. Abgesehen vom jugendlichen Elan des Künstlerkollektivs war es vor allem die Verwendung von fotografischen Vorlagen, die sehr wesentlich zur zeitökonomischen Umsetzung der oftmals vielfigurigen und monumentalen Szenen beitrug.

In Wien, damals eine Hochburg für die wissenschaftliche Ergründung und Weiterentwicklung der Fotografie, war der Malerfürst Hans Makart unter den Künstlern einer der frühesten und prominentesten Anwender dieses Mediums. Da die Mitglieder der Künstler-Compagnie für Makart zu arbeiten begannen, sind den heranreifenden Künstlern die Anwendungsmöglichkeiten der Fotografie bestimmt nicht verborgen geblieben. Einerseits bot die Fotografie die Möglichkeit der nahezu perfekten Übertragung von wesentlichen Elementen des Bildmotivs, andererseits vereinfachte und beschleunigte sie bei entsprechender Anwendung den aufwändigen Entstehungsprozess und reduzierte die Kosten ganz erheblich. Diese Vorzüge waren in der Zeit der Errichtung der Ringstraßenbauten – in der die Verfügbarkeit von Künstlern aufgrund der dichten Auftragslage besonders eingeschränkt war – von erheblichem Vorteil. Aus der Notwendigkeit heraus entstanden in diesen Jahren etliche fotografische Musterbücher für Künstler.

Das Medium der Fotografie konnte der Maler vor allem beim Fotografen Karl Schuster, der ab 1892 in der Josefstädter Straße 23 im Nebenhaus von Klimts Atelier ein fotografisches Atelier betrieb, eingehend studieren und erproben. Zum engeren Freundes- und Bekanntenkreis von Gustav Klimt zählten auch die Fotografen Hugo Henneberg und Friedrich Victor Spitzer sowie der Fotokünstler Anton Josef Tr?ka. So verwundert es nicht, dass Klimt Fotografien als Vorlagen für Gemälde (wie Zeichnungen) nutzte, ihm darüber hinaus die technische Kenntnis um die Funktionsweise der Kamera und die Linse für die Komposition seiner Landschaftsgemälde sehr zugute kam und er schließlich selbst fotografierte, wenn auch nicht mit dem Anspruch eines Fotokünstlers.
Figurenbilder, Porträts und               mythologische Darstellungen
Einer der ersten Aufträge, für den Klimt eine Vielzahl von Porträtfotografien als Vorlagen heranzog, war die 1888 gemalte Bestandsaufnahme des alten Burgtheaters am Michaelerplatz in Wien. Da das Gebäude kurz vor dem Abbruch stand, sollte sein Zustand dokumentiert werden, und man beauftragte Gustav Klimt und Franz Matsch mit zwei unterschiedlichen Ansichten des voll besetzten Zuschauerraums. Klimt hatte dafür etwa 200 identifizierbare Personen zu malen, ein Vorhaben, das ohne die Verwendung von Fotografien in der kurzen vorhandenen Zeit nicht zu bewältigen gewesen wäre. Ein ähnliches Vorgehen gilt für den 1893 gemalten Innenraum des am Öreg-tó gelegenen und später abgerissenen Theaters vor dem Schloss Esterházy in Tata. Nahezu gleichzeitig mit der Fertigstellung der Darstellung des alten Burgtheaters beendete Klimt den der Künstler-Compagnie erteilten Auftrag für die malerische Ausstattung der Decken der beiden Treppenhäuser im neuen Burgtheater am Ring. Wie Christian Nebehay 1969 in seiner Klimt-Dokumentation durch Vergleiche von aus dem Nachlass von Klimt stammenden Fotos mit den gemalten Deckenbildern bereits eindrucksvoll nachgewiesen hat, wurden von Freunden und Familienmitgliedern eingenommene Posen zuerst vor der Kamera erprobt, bevor das abgelichtete Resultat in Form von Übertragungskartons auf die dafür vorgesehenen Deckenflächen übertragen wurde. Angesichts der 1890/91 für ein Treppenhaus des k. k. Kunsthistorischen Hofmuseums entstandenen überzeichneten fotorealistischen Darstellungen der personifizierten Künste ist dasselbe Vorgehen für die Genese dieser Staffeleibilder anzunehmen.

Ebenso verwendete Klimt Fotografien als Vorlagen für seine frühen Porträts, etwa für das 1890 entstandene Bildnis des Pianisten und Komponisten Joseph Pembaur d.Ä., den Klimt möglicherweise selbst niemals persönlich kennengelernt hatte, wie für das fünf Jahre später nach einer ebensolchen Aufnahme – allerdings gespiegelt – entstandene Porträt des Hofschauspielers Joseph Lewinsky in seiner Rolle als Carlos im Clavigo. Als Klimt Material aus Fotos und einer Statuette bekam, weil Lewinsky im Ausland weilte, hatte er bereits mit dem Bild begonnen. Die dreiteilige Komposition stand fest, die beiden äußeren Zonen – der Rahmen – waren fertig gestaltet, nur die mittlere Zone hatte er freigelassen, um den Burgschauspieler nach der nun geliehenen fotografischen Vorlage einzufügen.

Arbeitete Klimt bis etwa 1895 nahezu ausnahmslos in einer durchaus als fotorealistisch zu beschreibenden Manier, verunklärte er ab etwa 1898 wie bei den fotografischen Werken des Piktorialismus, malerisch den Hintergrund. Die Kleider wurden dabei in ihrer Stofflichkeit besonders herausgestellt. Die Hautpartien, wie Hände und Gesichter, wurden weiterhin nach Porträtfotografien gemalt. Das gilt für das Bildnis der Sonja Knips genauso wie für die Porträts von Marie Henneberg, Emilie Flöge, Margarethe Stonborough-Wittgenstein, Fritza Riedler, Adele Bloch-Bauer und viele andere mehr. Alle angesprochenen Gemälde vereint der spannungsvolle Dialog zwischen der fotorealistischen Ausführung von Gesicht und Händen und der damit kontrastierenden malerischen Durchbildung des Hintergrunds und der Kleidung. Klimt setzte die Möglichkeiten der Fotografie ganz gezielt als einen stilprägenden Gestaltungsfaktor ein.
Bisher weitgehend vernachlässigt wurde die Tatsache, dass Gustav Klimt den Großteil seiner Aktzeichnungen ebenso nach Aktfotografien zeichnete. Dieser Umstand entkräftet die nach wie vor gerne verbreitete These des Frauenbeobachters, der seine Modelle u.a. in ihren privatesten Momenten erlebte und diese zeichnerisch festhielt. Die Vorlagen dafür stammen vom Fotografen und Maler Otto Schmidt, der hier einen Photographischen Kunstverlag betrieb. Er veräußerte ab etwa 1880 Aktfotografien an Künstler und gab als Studienmaterial gedachte, teils großformatige Vorlagewerke heraus. Die Übereinstimmung der Boudoir-Fotografien mit den voyeuristischen Aktzeichnungen von Gustav Klimt ist frappant.

Es ist inzwischen hinlänglich nachgewiesen, dass Gustav Klimt zeitgenössische Fotografien und in Form von Postkarten reproduzierte Landschaftsaufnahmen benutzte, um seine am Attersee begonnenen und dort meist nicht vollständig fertiggestellten Landschaftsbilder in seinem Wiener Atelier zu vollenden. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist eines der wenigen Auftragswerke, das Gemälde „Litzlbergkeller“, das Klimt nach einer Abbildung der beliebten Jausenstation auf einer Korrespondenzkarte in seinem Wiener Atelier fertigstellte. Ähnlich wie die Mattscheibe eines Fotoapparats verwendete Klimt 1903 dafür einen Motivsucher aus Karton.

Klimt als Fotograf
Ein Hinweis auf Gustav Klimt als Autor von 1906/07 reproduzierten Modeaufnahmen von Emilie Flöge in Litzlberg am Attersee ist bislang das einzige Indiz, das den Künstler auch als Fotografen ausweist. Explizit betrifft es zehn solche reproduzierte Fotografien sowie weitere elf Modeaufnahmen, die im Nachlass von Emilie Flöge aufgefunden wurden. Ein Großteil der Fotografien weist Klimts charakteristisches Kompositionsprinzip auf, nämlich das Haupt der Dargestellten sehr nahe am oberen Bildrand zu positionieren oder dieses den Rand gelegentlich überschneiden zu lassen. Selbst die eingenommenen Posen von Emilie Flöge legen die Autorschaft von Klimt als Fotograf der Aufnahmen nahe.

Die Fotografie wurde gerade im Zeitalter von Klimt einer breiten Bürgerschicht zugeführt, und Wien war ein besonders guter Nährboden für die Anwendung und Weiterentwicklung dieses damals verhältnismäßig jungen Mediums. Die noch immer im Bewusstsein vieler Rezensenten verankerten Bedenken, dem Ansehen des Künstlers zu schaden, wenn man Einblick in dessen Methode gewährt, führten oftmals zu fehlgeleiteten Interpretationen. Es ist davon auszugehen, dass Klimt eine verhältnismäßig große Anzahl von Fotografien besaß, allerdings haben sich nur wenige Aufnahmen in seinem Nachlass erhalten.

Alfred Weidinger
Dr. Alfred Weidinger ist ein österreichischer Kunsthistoriker, Museumsmanager und Fotograf. Seit 1. August 2017 ist er Direktor des Museum der bildenden Künste Leipzig. Vorher war er Vizedirektor und Prokurist des Museums Österreichische Galerie Belvedere. Zuletzt erschien „Gustav Klimt - Die Biografie“ (Brandstätter Verlag, 2018). mdbk.de