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„Gebt uns unser Erbe zurück“

Titelthema - „Gebt uns unser Erbe zurück“
Kenia (20. Jahrhundert): Vigango (Plural) sind lebensgroße geschnitzte Gedenkstatuen aus Holz. Man steckte sie zur Ehrung der Toten in den Boden und überließ sie dort ihrem natürlichen Zerfall © Artokoloro/Alamy Stock Photo

Auch Kenia hat Aneignung von Land durch weiße Siedler, Ausbeutung seiner natürlichen und kulturellen Ressourcen und die Übertragung seines Erbes an europäische Institutionen wie Museen erlebt.

George Okello Abungu01.09.2021

Sowohl Kenia als Land als auch seine verschiedenen Gemeinschaften gehören zu den Klägern, die ihr Erbe zurückerhalten wollen. Verschiedenen Schätzungen zufolge befinden sich derzeit 30.000 Objekte kenianischer Herkunft in Museen im Ausland. Circa 80 Prozent davon wurden auf unethische Weise entwendet. Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass diese Zahl bei nahezu 100.000 liegt. Die wichtigsten Objekte sind religiöse, heilige Gegenstände und die menschlichen Überreste.

Wenn es um die Rückgabe von Objekten geht, die mit der Spiritualität der Menschen, ihren Vorfahren, ihrem Dasein als Gemeinschaft oder religiösen Überzeugungen verbunden sind, heißt es häufig, sie seien nicht verhandelbar. Zu den wichtigsten und berühmtesten Objekten in Kenia gehört beispielsweise der Kopf des Nandi-Führers Koitalel arap Samoei, der von den Briten betrogen und wegen seines Widerstands gegen den Kolonialismus getötet wurde. Sein Kopf und einige seiner materiellen Gegenstände wurden nach England gebracht und vor 15 Jahren teilweise zurückgegeben – aber nicht sein Kopf.


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Beim Volk der Miji Kenda an der kenianischen Küste findet man aus Holz geschnitzte menschliche Figuren, die Vigango genannt werden und als Repräsentanten verstorbener und geachteter Vorfahren verehrt werden. Diese Figuren wurden jahrelang geplündert und im Westen, auch in einigen deutschen Museen, als Stammeskunst präsentiert. In letzter Zeit und aufgrund von Restitutionsdebatten, sind viele Vigango zurückgegeben worden, vor allem aus den USA. Nach Ansicht der betroffenen Gemeinschaften handelt es sich dabei um Ahnenfiguren, die zurückgegeben werden müssen, da ihr Fehlen als schädlich für die Gesundheit und den Erfolg der Gemeinschaften angesehen wird und Unheil verursacht.

Objekte verstauben in obskuren Lagern

Viele der heiligen Gegenstände werden ausgestellt, andere einfach nur aufbewahrt. Der Thronsessel „Kiti Cha Enzi“ beispielsweise, den die Deutschen einem der kenianischen Küstenherrscher auf der Flucht vor den Briten abgenommen haben, verstaubt derzeit im Ethnologischen Museum in Berlin. Das Gleiche gilt für die Vigango, die in einigen deutschen Museen zu finden sind: Viele davon werden in obskuren Lagerräumen aufbewahrt.

Dabei wäre es doch gar kein Problem, das Erbe zu teilen. Einige dieser Kulturgüter haben an diesen neuen Orten ein Zuhause gefunden und neue Identitäten entwickelt, indem sie als Botschafter der Herkunftsländer fungieren. Niemand hat dies so beredt zum Ausdruck gebracht wie der einzige afrikanische Generaldirektor der Unesco, Amadou Moktar Mbow, der in seiner Rede vor der Generalkonferenz der Unesco-Vertragsstaaten im Jahre 1978 feststellte, dass Gemeinschaften immer bereit sind, das Wissen um ihre Schöpfung mit anderen zu teilen, und sich freuen, wenn andere Menschen die Werke ihrer Vorfahren zu schätzen wissen. Er stellte damals schon fest, dass einige der in der Vergangenheit entwendeten Kulturgüter Teil der Kulturlandschaft ihrer Wahlheimat geworden sind und es nicht angemessen wäre, ihre symbolischen Verbindungen und Wurzeln zu zerstören. Er war sich jedoch darüber im Klaren, dass Objekte zurückgegeben werden müssen, die für die Gemeinschaften eine tiefere Bedeutung und einen tieferen Sinn haben, und erklärte: „Diese Männer und Frauen, die ihres kulturellen Erbes beraubt wurden, fordern daher die Rückgabe zumindest der Kunstschätze, die ihre Kultur am besten repräsentieren, die sie als am wichtigsten empfinden und deren Fehlen ihnen am meisten Kummer bereitet.“

Gemeinsam forschen, kuratieren, ausstellen

Es gibt nicht nur den einen Standard für das Teilen kulturellen Erbes, sondern viele Ansätze. Die Museen der nördlichen Hemisphäre müssten jedoch zunächst das Eigentum der Herkunftsgemeinschaften anerkennen, um dann über mögliche Optionen zu verhandeln. Darüber hinaus sollten der Süden und der Norden endlich beginnen, gemeinsam zu forschen, zu kuratieren und gemeinsam auszustellen, um vergangene Ungerechtigkeiten zu thematisieren – inklusive der vielen Erzählungen, die Menschen aus dem Süden herabwürdigen, eine vorherrschende Arbeitspraxis der Kuratoren im Norden.

In Europa stellt sich immer wieder die Frage, ob die afrikanischen Museen überhaupt in der Lage seien, Sammlungen zu beherbergen und zu pflegen und sie gleichzeitig für den vorgesehenen Zweck zu nutzen. Viele dieser Museen wurden während der Kolonialzeit gegründet. Will man nun damit sagen, dass der afrikanische Kontinent nie gut genug war, um sich um sein Erbe zu kümmern? Ich bin einer der drei Herausgeber der neuesten Bücher über die Nationalmuseen Afrikas, sie alle zeigen, dass trotz der Herausforderungen, mit denen viele der afrikanischen Museen konfrontiert sind, die Pflege des zurückgegebenen Erbes das geringste Problem sein dürfte. Hat Europa nicht vielmehr die moralische Verantwortung, die angeblich fehlenden „Einrichtungen“ zur Verfügung zu stellen, um das Überleben der zurückgegebenen Objekte zu sichern, nachdem es sich in all den Jahren an ihnen erfreut und so viel Geld mit ihnen verdient hat?

Für Vorschriften fehlt die moralische Autorität

Sehr häufig wird mir auch die Frage gestellt, wer denn die legitimen Empfänger der zurückgegebenen Objekte eigentlich seien – alte Stammesgruppen oder neue Nationalstaaten? Und: Stünde nicht zu befürchten, dass die Objekte bereits bestehende ethnische Konflikte anheizten? In meinen Augen hat Europa nicht die moralische Autorität, den Afrikanern vorzuschreiben, wohin was gehört. Wie fänden Sie es, wenn man Ihnen Eigentum stehlen würde, Sie und Ihre Regierungssysteme zerstörte, über Generationen hinweg ausbeutete und jetzt, wo die Unrechtmäßigkeiten ans Licht kommen und einige korrigierende Maßnahmen ergriffen werden müssen, Ihnen auch noch sagt, wie Sie Ihr Haus organisieren sollen, um die zurückgegebene Beute angemessen zu erhalten?

Die Frage, wohin die Objekte gehören, ist Sache der Afrikaner und der afrikanischen Staaten. Die Afrikaner haben unabhängige Staaten, und diese müssen respektiert werden, auch wenn einige von ihnen willkürlich geschaffen wurden, um die Interessen der Kolonialmächte zu erfüllen. Die Staaten bestehen aus Gemeinschaften, und sie werden auf die Gemeinschaften hören. Tatsächlich wird der Eindruck erweckt, als befänden sich die afrikanischen Länder im Krieg mit ihrer eigenen Bevölkerung. Nein, die Sache ist ganz einfach: Gebt uns unser Erbe zurück. Und wenn wir beschließen, einiges davon in unseren heiligen Wäldern zu begraben, werden wir das einfach tun. Die Befürchtung, dass die Objekte „bestehende ethnische Konflikte anheizen werden“, ist respektlos gegenüber dem afrikanischen Kontinent. Es wird so getan, als sei Afrika der einzige Kontinent, der von ethnischen Konflikten betroffen ist. Ethnizität gibt es überall, auf allen Kontinenten, auch in Europa. Warum geschieht dort nicht dasselbe? Will jemand damit sagen, dass es in ganz Nigeria zu Konflikten kommen wird, wenn die Benin-Bronzen zurückgegeben werden? Das sind Ausreden, denen wir keinen Glauben schenken müssen.


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George Okello Abungu

Prof. Dr. George Okello Abungu ist Archäologe und war Direktor der National Museums of Kenya. 2002 gründete er Okello Abungu Heritage Consultants.