Titelthema
Im Dienste der Gemeinschaft – und doch zumeist im Stich gelassen
Während die Rückkehr des Wolfs für einen Teil der Bevölkerung reine Freude bedeutet, bringt sie den Weidetierhaltern vor allem Probleme, Ängste und Kosten.
Es war kein Schäfer, der gerufen hat: Willkommen Wolf! Die Schafhalter in Deutschland hatten und haben auch ohne die Rückkehr des Wolfes große Probleme.
Im Jahr 2005 wurden noch 2,64 Millionen Schafe im Bundesgebiet gezählt. Im Jahr 2014 nur noch 1,6 Millionen, und 2016 waren es noch 1,5 Millionen Schafe in Deutschland. Dies ist ein Rückgang der Schafhaltung um 40 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Wesentliche Ursache ist die Umstellung der Agrarförderung von der Produkt- auf die Flächenprämie. Bislang haben die Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik nachweislich nicht zu einer Stabilisierung oder gar zu einer Verbesserung der Schaf- und Ziegenhaltung geführt. Dabei trägt die Schaf- und Ziegenhaltung maßgeblich zum Artenerhalt und zur – von der Gesellschaft geforderten – naturnahen und umweltverträglichen Bewirtschaftung der Flächen bei. Kaum andere landwirtschaftlich genutzte Flächen weisen mehr Artenvielfalt auf als die in der Beweidung befindlichen Flächen.
Der Ertrag dafür ist denkbar gering. Laut betriebswirtschaftlicher Auswertungen arbeiten selbständige Schäfer zum Teil für einen Stundenlohn von unter sechs Euro.
Natürliche Landschaftspflege
Das Statistische Bundesamt nennt für 2017 9.900 Betriebe mit mehr als 20 Schafen. Davon waren 9.000 Betriebe mit einer Tierzahl von unter 500. Die Zahl der Berufsschäfer in Deutschland liegt bei ca. 1.000 Betrieben. Dies zeigt, dass viele Schafe in kleineren Beständen oder auch im Nebenerwerb gehalten werden. Gerade die Schafhaltung in kleineren Beständen leistet wertvolle Arbeit zum Erhalt der vom Aussterben bedrohten Rassen.
Schafhaltung bedeutet auch heute noch die Produktion von Lammfleisch, Milch und Wolle. Der Anteil des in Deutschland produzierten Lammfleisches am Verbrauch liegt unter 50 Prozent, d.h. mehr als 50 Prozent wird importiert. Der Wollpreis ist soweit gesunken, dass er oft nicht einmal mehr die Schurkosten für die Schafe deckt. Wolle ist nicht als landwirtschaftliches Produkt eingestuft und damit im Rahmen von EU-Absatzförderungsbeihilfen nicht förderfähig.
Schafe sorgen ressourcenschonend, artgerecht und regional für hochwertige Lebensmittel. Sie nehmen eine wichtige Aufgabe in der Landschaftspflege wahr, die weder durch andere Tierarten noch durch Maschinen in der gleichen Qualität erbracht werden können. Kleine Wiederkäuer garantieren mit ihrer speziellen Arbeitsweise Biodiversität in den unterschiedlichsten Landschaftstypen und sorgen für Erosionsschutz. Entfällt diese Art der Landschaftspflege, werden viele Pflanzen und Insektenarten aussterben. Bei der Deichpflege sorgen Schafe mit ihrem sogenannten goldenen Tritt für den Erhalt der Deiche und damit für die Sicherheit der Menschen dahinter.
Nicht zuletzt bieten die Tiere den Schäfern Arbeitsplätze in einem traditionellen Beruf, der nachhaltige Produktion im ganzheitlichen Ansatz sicherstellt – aber immer am Ende der landwirtschaftlichen Einkommensskala steht.
Im Jahr 2000 wurden erstmals wieder Welpen durch ein Wolfspaar in Deutschland aufgezogen. Das Bundesamt für Naturschutz nennt für das Monitoring-Jahr 2017/2018 bereits 73 Rudel, 30 Paare, 3 Einzeltiere. Je nach Zählung und Beobachtung kann heute von 700 bis 1.000 Wölfen in Deutschland ausgegangen werden. Für 2016 wurden 300 Übergriffe durch den Wolf mit 1.000 getöteten oder verletzten Tieren gemeldet. Von 2002 bis 2016 wurden 3.455 Tiere getötet oder verletzt, davon 86,83 Prozent Schafe. 2016 wurden im Bundesgebiet 135.140 Euro für Ausgleichszahlungen bei Schäden durch den Wolf geleistet und 1,1 Mio. Euro für Präventionsmaßnahmen durch die Bundesländer gezahlt. Darin sind die vielen zusätzlichen privaten Schutzmaßnahmen nicht enthalten.
Schutzmaßnahmen gegen den Wolf
Die Rückkehr des Wolfes bedeutet für einen Teil der Bevölkerung reine Freude, für die Weidetierhalter jedoch viele Probleme, Ängste, Arbeit und Kosten. Die Anwesenheit freilebender Wölfe stellt für die Weidetierhalter eine besondere Herausforderung dar. Reichte es bisher aus, die Weidetiere durch herkömmliche Zäune am Verlassen der Weide zu hindern, so müssen die Zäune jetzt zusätzlich das Eindringen von außen auf die Weide unterbinden. Das bedeutet nicht nur mehr Ausgaben, sondern auch einen erheblichen Mehraufwand durch höhere und wesentlich schwerere Netze. Hinzu kommt, dass auch diese Netze immer wieder von Wölfen überwunden werden.
Herdenschutzhunde können dort, wo sie richtig eingesetzt werden können und auch richtig eingesetzt werden, eine große Hilfe sein, aber flächendeckend ist ihr Einsatz nicht möglich. Ihre Anschaffung wird in einigen Bundesländern gefördert. Das Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft hat errechnet, dass der Unterhalt eines Herdenschutzhundes jährlich zwischen 1.500 und bis zu 2.500 Euro liegen kann. Ein Schäfer, der seine Schafe auf mehreren Koppeln verteilt hält, braucht dann oft zehn dieser Hunde oder mehr. Wie soll er diese Kosten erwirtschaften, denn der Unterhalt wird bisher nicht gefördert?
Regionale, aber auch betriebliche Unterschiede machen zudem manche Schutzarten unmöglich. Im Marschland oder in gebirgigen Regionen sind verschiedene Zäunungsmaßnahmen nicht durchzuführen. Herdenschutzhunde sind auf Deichen und anderen von Touristen frequentierten Flächen kaum möglich.
Es geht aber nicht nur um den finanziellen Schaden. Es ist immer wieder ein Schock für die Tierhalter, wenn sie morgens auf der Weide die toten oder schwerverletzten Schafe finden, die dann getötet werden müssen. Wie viele Schafe nach einer Wolfsattacke später verlammen, ist nicht absehbar. So gibt es immer mehr Schafhalter, die resigniert aufgeben.
Die Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL) hat u. a. folgende Forderungen an die Politik zusammengefasst:
• Festlegung von Bestandszahlen für den Erhaltungszustand der Wolfspopulation in Deutschland. Für den Fall der Überschreitung des festgelegten Erhaltungszustandes sind wirksame Instrumente zur Regulierung vorzusehen, wobei regionale Strukturen berücksichtigt werden sollten.
• Problemwölfe sind unverzüglich auf einer einheitlichen Rechtsgrundlage zu entnehmen.
• Erstattung der Aufwendungen: Die Rückkehr des Wolfes erfolgt vor allem zu Lasten der Schafhalter. Der Schutz der Tiere erfordert einen enormen finanziellen und persönlichen Aufwand. Dieser ist mit Rechtsanspruch vollständig zu erstatten.
• Versicherung von Folgeschäden: Die politisch gewollte Rückkehr des Wolfes führt zu unkalkulierbaren rechtlichen Risiken für Betriebe mit Weidetierhaltung. Bisherige Versicherungsregelungen geben keine dauerhafte Sicherheit.
• Bei der Auswahl der Wolfsberater und Rissgutachter sind die fachliche Eignung,die kurzfristige Erreichbarkeit sowie ein sachlich orientiertes neutrales Verhalten zu beachten.
• Die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf muss in ein Kompetenzzentrum zur Koordination und Lösung von Konflikten, die durch die Anwesenheit des Wolfes hervorgerufen werden, umgewandelt werden. Dazu sind die Länder und die betroffenen Verbände einzubeziehen. Die Forschungsergebnisse dieses Zentrums müssen zeitnah und lösungsorientiert übermittelt werden.
Jürgen Lückhoff wurde in Duisburg geboren und betreibt seit seinem Umzug nach Mecklenburg-Vorpommern mit seiner Frau die Zucht von Jakobschafen. Seit 2015 ist er Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL).
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