Titelthema
Jenseits des Geldes
Sind die subjektive Zufriedenheit eines Menschen oder gar das Wohlergehen eines Landes messbar? Diese Frage beschäftigt die Wissenschaft seit Generationen.
Wissen wir wirklich, was Glück ist? Man weiß selten, was Glück ist; oft weiß man nur, was Glück war. Offenbar sind wir nicht einmal in der Lage, Glück zu definieren, wie wollen wir es dann messen – und wozu eigentlich?
Alles beginnt im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, als Sozialphilosophen und Ökonomen (die meisten waren übrigens beides) sich Gedanken über die Messung der subjektiven Zufriedenheit und Wohlergehens machen: Ihr Ziel war es, das Glück der Menschen zu maximieren; und um das zu erreichen, so die Idee, müsste man es erst einmal messen. Vor allem drei Ökonomen haben sich darüber den Kopf zerbrochen: Jeremy Bentham, John Stuart Mill und Francis Edgeworth. Bentham und Edgeworth hatten bereits eine Idee, wie man Glück und Wohlergehen messen könnte: mit einem Hedonimeter, also einem „Glücksmesser“, das für jeden Einzelnen zu jedem Zeitpunkt sein subjektives Wohlbefinden messen können sollte. Mit dieser Idee waren Bentham und Edgeworth ihrer Zeit weit voraus – zu weit, denn technisch war das nicht machbar.
Also musste eine Behelfslösung her: Wenn man das Glück nicht direkt messen kann, so die Idee, dann über einen Umweg, nämlich den Wohlstand. Wer ein Haus hat sowie Nahrung, Kleidung und etliches mehr, dem kann man doch attestieren, dass er glücklich ist, oder? Das war die Geburtsstunde des Bruttoinlands- produktes, kurz BIP genannt, das sich als „Maß aller Dinge“ weltweit durchgesetzt hat: Der Güterberg, den eine Gesellschaft pro Kopf produziert, gilt heute als das Standardmaß zur Erfassung des gesellschaftlichen Wohlstandes – aber misst es auch das Glück einer Gesellschaft?
Soziale Indikatoren
In der Tat glaubte man im zwanzigsten Jahrhundert eine Zeitlang, dass das Pro-Kopf-BIP, das Einkommen oder der Konsum einer Person oder eines Haushalts, eine gute Einschätzung ermögliche, wie glücklich eine Gesellschaft sei.
Lange währte dieser Glaube nicht; zu offensichtlich war, dass Geld allein nicht glücklich macht und dass reiche Leute oft unglücklicher waren als ärmere oder sogar Arme. Etwas stimmte hier nicht. Daher kamen die nächsten Messideen insbesondere aus der Sozialforschung, in der man nach denjenigen materiellen und immateriellen Lebensbedingungen suchte, die für Menschen von großer Bedeutung sind. Auf diese Weise kam in den 1970er Jahren die Sozialindikatoren-Bewegung in Schwung und versuchte, objektive Wohlbefindens-Indikatoren zu entwickeln – hier sammelt man eine Menge von Indikatoren – Lebenserwartung, Gesundheit, Bildung und vieles mehr –, um auf diesem Weg ein Bild vom Zustand einer Gesellschaft zu gewinnen.
Bis heute existiert diese Bewegung weiter, mittlerweile auf internationaler Ebene, beispielsweise der OECD. Der Weisheit letzter Schluss waren diese Indikatoren nicht: Erstens wurden sie von sogenannten „Experten“ bestimmt und zweitens waren sie nicht geeignet, das subjektive Wohlergehen in einer Art Glücks-Temperatur-Skala zusammenzufassen. Die Indikatoren standen nebeneinander, ohne dass man sie zu einer einzigen Skala vereinigen konnte; niemand kann aus einem Wust von Einzelindikatoren den Zustand oder das Glück einer Gesellschaft ableiten.
Die positiven Seiten der Psyche
Also zurück auf Los. Der Durchbruch kam von der Psychologie, genau genommen von einem neuen Bereich dieser Wissenschaft, der positiven Psychologie. In der Zeit davor hatte sich die Psychologie hauptsächlich mit Psychopathologie beschäftigt, der negativen Seite der menschlichen Psyche. Die positive Psychologie machte etwas Unerhörtes: Sie fragte Menschen danach, wie glücklich und zufrieden sie sind. So plausibel dieser Ansatz scheint, so umstritten ist er: Aus der Umfrageforschung weiß man, dass die Antworten auf Fragen von verschiedenen Bedingungen abhängig sind, die mit der Frage an sich nichts zu tun haben.
Ein Beispiel aus der Glücksforschung: Es ist ein sonniger, angenehm warmer Sommertag, man hat Muße und freut sich des Lebens. Es gehört nicht viel dazu, sich vorzustellen, welche Werte in dieser Situation die Frage nach Glück und Zufriedenheit – auf einer vorgegebenen Skala von beispielsweise Eins (miserabel) bis Zehn (bestens) – ergibt. Und das Interessante: Es funktioniert selbst dann, wenn der Interviewer die Frage damit beginnt, dass er von schönem Wetter redet. Mit anderen Worten: Es gibt sehr viele externe Faktoren, die unbewusst die Frage nach dem momentanen Glücksgefühl und der Zufriedenheit mit dem Leben insgesamt beeinflussen.
Schwierige Skalierung
Ein weiteres Problem stellt die Skalierung dar. Da man bei Fragebogen keine bekannte Größe zur Festlegung der Skala verwenden kann (wie beispielsweise den Nullpunkt bei einem Thermometer), gibt man die Skala (beispielsweise von Eins bis Zehn) vor und lässt die Personen selbst die Einschätzung vornehmen.
Und nun stellen Sie sich vor, man macht das in einem Land über mehrere Jahre hinweg. Die Skala bleibt fix, aber ansonsten ändert sich sehr viel, beispielsweise steigt das Einkommen. Was dann? Insbesondere, wenn man bereits am oberen Ende der Skala angekommen ist, gibt es ein Problem, da sich die Skalierung nicht ändern kann. Und so kommt es, dass sich in vielen wirtschaftlich sehr gut entwickelten Ländern die Glücks- und Zufriedenheitswerte im oberen Bereich (in Deutschland etwa bei der Zehn-Punkte-Skala beim Wert sieben) regelrecht stauen. Sucht man dann mit empirisch-statistischen Methoden nach den Determinanten von Glück und Zufriedenheit, ergeben sich technische und interpretatorische Probleme.
Also jede Menge Fallgruben. Dennoch gelten diese Art von Befragungen als leidlich verlässlich und stellen heutzutage den Mainstream der Glücks- und Zufriedenheitsforschung dar. Aber es gibt noch eine Reihe weiterer Methoden, die bisher schon Verwendung finden. Bei der Experience Sampling Method (ESM) werden per Computer das subjektive Empfinden und die gerade ausgeübte Tätigkeit der Versuchspersonen erfasst, um auf diesem Weg einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Tätigkeiten und dem damit verbunden Wohlgefühl zu ermitteln. Ähnlich geht auch die Day Reconstruction Method (DRM) vor; hier wird über eine Art Glückstagebuch retrospektiv für einen Tag der Verlauf der Kurve des subjektiven Wohlbefindens in Zusammenhang mit Aktivitäten gemessen. Auch der Blutdruck wird zur Messung des Glück- und Zufriedenheitsniveaus verwendet: Je höher der durchschnittliche Blutdruck in der Bevölkerung, desto stressiger ist das Leben – und damit unglücklicher. Etwas komplizierter ist die funktionelle Magnetresonanz-Tomografie (fMRT), hier werden Bilder vom Gehirn aufgenommen, während es Ereignisse oder Gefühle verarbeitet. Auch die Daten von Twitter und anderen sozialen Netzwerken werden ausgewertet, um etwas über das subjektive Wohlbefinden sagen zu können; je nach Ereignis und Zahl der Tweets mit freudigem oder traurigem Inhalt.
Und zu guter Letzt könnte man Daten-Uhren dazu verwenden, die Vitaldaten der Träger aufzeichnen, von denen man weiß, wie sie sich auf das Wohlbefinden der Menschen auswirken. Und damit sind wir endgültig beim Hedonimeter der Philosophen-Ökonomen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts angekommen.
Und nun die entscheidende Frage: Kann man sich auf Glücksmessungen wirklich verlassen? Es kommt darauf an. Im Vergleich zur Temperaturmessung ist die Messung des Glück- und Zufriedenheitsniveaus vermutlich weniger verlässlich. Andererseits sind die Messmethoden soweit ausgereift, dass die damit ermittelten Werte durchaus aussagekräftig sind, wenn auch nicht perfekt.
Von der Forschung in die Praxis
Aber immerhin – mit diesen Messmethoden kann man arbeiten. Längst hat sich mit der Glücksforschung, die diese Methoden nutzt, eine interdisziplinäre Wissenschaft etabliert: Philosophie, Biologie, Neurowissenschaften, Kognitionswissenschaft, Psychologie, Soziologie, Medizin und auch Ökonomik arbeiten auf diesem Gebiet. Jede dieser Disziplinen trägt dazu bei, besser zu verstehen, was Menschen glücklich und zufrieden macht. Aber die Messung des Glücks und die Erkenntnis darüber, was glücklich macht, sind nur die ersten beiden Schritte. Der dritte Schritt ist der schwierigste: Die Erkenntnisse der Forschung im eigenen Leben umzusetzen.