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Titelthema

Schwierige Suche

Titelthema - Schwierige Suche
2017 entbrannte ein heftiger Streit um das mit einer Großspende finanzierte Kuppelkreuz © DDP

Seit Jahren verfolgt Merlijn Schoonenboom Deutschlands Debatte um das Berliner Schloss und das richtige Verhältnis zwischen Eigenem und Fremdem.

Merlijn Schoonenboom01.09.2021

Als ich das erste Mal vom Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses hörte, musste ich ein wenig lachen. Wieso will eine europäische Republik mitten in ihrer Hauptstadt unbedingt ein kaiserliches Schloss wieder aufbauen?

2009 war ich als Korrespondent für niederländische Medien nach Berlin gekommen und hatte damals eher das Gefühl, die Stadt wollte die Lasten der Vergangenheit von sich abschütteln. Der Palast der Republik war gerade abgerissen worden, dort erstreckte sich nun eine große Rasenfläche als Tabula rasa. Sie schien mir – genauso wie die ganze Stadt – ein großer Spielplatz für jedermann zu sein. Aber rasch stellte sich heraus, dass ich mich geirrt hatte. Die Vergangenheit war nicht verschwunden und die Leerstelle in der Stadtmitte nur ein kurzes Intermezzo. Berlin wollte diese Leere füllen und suchte einen passenden Umgang mit seiner Vergangenheit in einer globalisierten, multikulturellen Gesellschaft. Da die deutsche Debatte darüber noch aufgeladener geführt wurde als in meinem Heimatland, fasste ich den Entschluss, über diese Identitätssuche ein Buch zu schreiben.

Kurioser Kulturkampf von links und rechts

Und dann entbrannte diese kuriose Diskussion um das Kreuz. Im Sommer 2017 wurde bekannt, dass dank einer Großspende ein christliches Kreuz auf das Schloss gesetzt werden würde. Was zehn Jahre zuvor noch kein Problem war, wurde nun plötzlich doch zum Thema. Das glänzende goldene Kreuz sollte ausgerechnet oben auf das Humboldt-Forum, das zukünftige „Zentrum der Weltkultur“ und dazu bestimmt, die Weltoffenheit Deutschlands im 21. Jahrhundert zu demonstrieren, gesetzt werden. Von politisch Linken kam der Vorwurf, dass ein Kreuz auf dem Humboldt-Forum eine unzulässige Hierarchie zwischen den Kulturen verkörpere. Aus dem konservativen Lager war zu hören, dass gerade ein Kreuz zeigen würde, sich seiner „eigenen Identität“ bewusst zu sein. Hier hatte ich nun genau den Haken, an dem ich das große, schwere Thema nationale Identität aufhängen konnte. Die Kreuzdebatte in jenen Monaten war eine von vielen Auseinandesetzungen, die sich letztlich alle um das Gleiche drehten: die Suche nach dem richtigen Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden in einer multikulturellen Gesellschaft.

Seismograf gesellschaftlicher Befindlichkeiten

Als Außenstehender wollte ich keine weitere Meinung zum Schloss hinzufügen, sondern das Gebäude als Ausgangspunkt nehmen, um die lange Suche nach der nationalen Identität in Deutschland nachzuvollziehen. Der Schlossplatz war in den vergangenen 150 Jahren immer wieder der Seismograf gesellschaftlicher Befindlichkeiten gewesen. Immer wieder aufs Neue wurde hier die große Frage verhandelt, was es heißt, deutsch zu sein, und welche Symbolik dazu passe.

Auf dem Berliner Schlossplatz treffen nun zwei unterschiedliche Auffassungen von Identität aufeinander: Die Außenfassade symbolisiert das konservative Verlangen nach historischen Wurzeln, während man innen versucht, ein passendes Symbol für ein progressives Deutschland zu entwerfen. Doch die beiden Welten, die beiden unterschiedlichen Sehnsüchte, erweisen sich nicht als komplementär, sie prallen vielmehr aufeinander.

Ein bisschen lachen muss ich immer noch wegen des Schlosses, aber irgendwie passt es auch – dieses permanente Aufeinanderst0ßen von Gegensätzen. Die Diskussion um das Berliner Humboldt-Forum wird bestimmt noch lange weitergehen. Mitten in der deutschen Hauptstadt ist es wie eine symbolische Erinnerung daran, dass die Diskussion über Identität nicht aufhören kann und weiter geführt werden muss – ein Land verändert sich nun mal ständig.


Buchtipp


Merlijn Schoonenboom

Ein Palast für die Republik. Eine kleine Geschichte der großen deutschen Suche nach Identität

Argobooks 2020, 300 Seiten, 19,80 Euro