Über Konrad Peutinger
Vergessener Humanist
Er kämpfte an der Seite Luthers, beriet Kaiser und hinterließ der Nachwelt einen Schatz – der Augsburger Konrad Peutinger
Der Augsburger Konrad Peutinger wird am 16. Oktober 1465 in eine Zeitenwende hineingeboren, in der sich die Welt in einer bis dahin unbekannten Weise verändert. Das Mittelalter hat sich verabschiedet, das Tor zur Neuzeit ist aufgestoßen. Kolumbus segelt nach Amerika und entdeckt die Neue Welt, Johannes Gutenberg revolutioniert mit dem Buchdruck die Medien, Martin Luther übersetzt die Bibel und begründet damit die deutsche Sprache. Peutinger, von einer gierigen und gefallsüchtigen katholischen Kirche ebenso entsetzt wie Luther, wird mit dem Reformator mehrfach und vergeblich darum ringen, die notwendige Reform innerhalb der Kirche zu versuchen.
Verteidiger Fuggers
Der Sohn einer angesehenen Kaufmannsfamilie studiert in Bologna und Padua Jura und promoviert zum Doktor des römischen und des kirchlichen Rechts. Zurückgekehrt in seine Heimatstadt Augsburg findet er rasch privates und berufliches Glück. Er heiratet die Welser-Tochter Margarete und wird damit Mitglied einer der reichsten Familien in Europa. Die Ehe wird 49 Jahre halten, bis Konrads Tod sie 1547 scheidet. Margarete, die zehn Kinder zur Welt bringt, ist eine ungewöhnlich Frau. „Bei Herkules“, erstaunt ein gelehrter Zeitgenosse über diese gebildete und redegewandte Frau, die sich sogar mit sehr gelehrten Männern „im offenen Kampf“ misst.
Ungewöhnlicher noch ist der Weg ihres Mannes. Er wird Abgeordneter und Stadtschreiber und somit der höchste Verwalter der mit Tuch, Handel und Finanzgeschäften reich gewordenen Stadt. Peutinger vertritt Augsburg auf den Reichstagen und gewinnt das Vertrauen von Kaiser Maximilian I., der oft in der einstigen Römersiedlung weilt. Und da kommt ein anderer Augsburger ins große Spiel: Jakob Fugger, nur sechs Jahre älter als Peutinger, leiht dem Kaiser für Kriege und Hofhaltung hohe Summen, lässt sich dafür aber Schürf- und andere Rechte überschreiben. Man wird ihn bald „den Reichen“ nennen, und Albrecht Dürer malt ihn mit einer Goldhaube.
Beim Einen holt sich der Habsburger bare Münze, beim Anderen Rat. Peutinger gewinnt erheblichen politischen Einfluss, darf das kaiserliche Siegel führen und kaiserliche Mandate sowie Aufrufe herausbringen und in Augsburger Pressen drucken lassen. Auch Nachfolger Kaiser Karl V. wird auf Peutingers Rat hören.
Konrad Peutinger ist aber auch ein streitbarer Jurist. Als den Fuggern Monopolwirtschaft und Zinswucher vorgeworfen wird, plädiert er für freies Unternehmertum, denn ökonomischer Eigennutz befördere die Wirtschaft und führe so zu einem gesteigerten Allgemeinwohl. Der Mann, dessen 550. Geburtstag seine Heimatstadt Augsburg im Oktober feiert, hat die Grundlagen der Marktwirtschaft vorausgedacht.
Korrespondenz mit Erasmus
In seinem Haus am Dom entfaltet sich zudem ein Humanist mit einem Faible für antike Schriftsteller und für Geschichte. Er trifft sich und korrespondiert mit Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus. Finanziell wohl ausgestattet, baut er eine der bedeutendsten Privatbibliotheken auf, die über 2200 Bände und mehr als 6000 Titel zählt. In zwei Räumen ist sie streng geordnet nach juristischem und nichtjuristischem Inhalt. Reinhard Laube, der Direktor der Augsburger Stadt- und Staatsbibliothek, die den Großteil des Peutinger-Schatzes bewahrt, nennt ihn ein „Gesammeltes Gedächtnis“. Darin ein „Hexenhammer“, der Jahrhunderte lang die juristische Rechtfertigung der Hexenprozesse war. Oder das letzte Exemplar eines Flugblattes, in dem der „Narrenschiff“-Autor Sebastian Brant versucht, die unheimlich grassierende Syphilis zu deuten. Es ist eine Arbeitsbibliothek, die Seitenränder sind gefüllt mit handschriftlichen Anmerkungen ihres Besitzers und Benutzers.
Durch seinen Freund Conrad Celtis bekommt er die einzige überlieferte Kopie einer fast sieben Meter langen Straßenkarte des Römischen Reiches aus dem 3. Jahrhundert. Als „Tabula Peutingeriana“ ist sie in der Wiener Nationalbibliothek verwahrt und zählt zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie hält auch heute, ein halbes Jahrtausend später, seinen Namen in Erinnerung. In Augsburg gibt es ein Peutinger-Gymnasium, im örtlichen Telefonbuch aber ist kein Peutinger mehr registriert.