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Warum Lesen in der Informationsgesellschaft von zentraler Bedeutung ist

Investition in die Zukunft

03.06.2011

Können Sie einen Palstek knoten?“ Diese Frage klingt heute nach Freizeit-Fachsimpelei – aber sie hatte lange eine existenzielle Bedeutung: Denn der Palstek galt bei Seefahrern als „König der Knoten“. Ohne diese Seilschlaufe ging gar nichts. Viele Matrosen konnten nicht schwimmen, doch kein Matrose wurde an Bord gelassen, der keinen Palstek knoten konnte. Heute dominiert in der Seefahrt Container-Logistik statt Knoten-Kompetenz – ein Beispiel dafür, dass auch sogenannte „Basic Skills“ Konjunkturgesetzen unterliegen. Dies gilt jedoch nicht für alle in gleicher Weise: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat analysiert, welche Kompetenzen auf lange Sicht notwendig sind, um in der Informationsgesellschaft bestehen zu können. Ihr Ergebnis: Neben Fähigkeiten in Mathematik und Naturwissenschaften ist dies: Lesekompetenz. Um noch einmal das Bild vom Palstek aufzugreifen: Für das Segeln benötigt man eine Mannschaft. Für diesen Beitrag haben sich drei rotarische Freunde zu einer Autorenmannschaft zusammengefunden, die sich gemeinsam und doch in ganz unterschiedlicher Weise für das Thema „Lesekompetenz“ engagieren, um zu skizzieren, weshalb diese Kompetenz langfristig wichtig ist – und was getan werden muss, um sie zu stärken. Dr. Joerg Pfuhl, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Stiftung Lesen, ist als Vorsitzender der Geschäftsleitung der Verlagsgruppe Random House der Lesekultur seit vielen Jahren verbunden – auf seine Initiative realisiert der zu dieser Verlagsgruppe zählende Kinderbuchverlag cbj gemeinsam mit der Stiftung Lesen und weiteren Partnern zum Welttag des Buches ein Leseförderungsprojekt für eine Million Kinder. Klaus-Dieter Wülfrath, Vorstandsmitglied der Stiftung Lesen sowie Rechtsanwalt und Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Presse-Grosso, engagiert sich für ein sehr erfolgreiches Leseförderungsmedium: Zeitschriften. Er ist Mitinitiator des mit der Stiftung Lesen realisierten Projekts „Zeitschriften in die Schulen“, das über 400.000 Kindern zugutekommt – auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass Zeitschriften gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten einen wertvollen Zugang zum Lesen darstellen. Und als neuer Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen ist es ein zentrales Ziel von Dr. Jörg F. Maas, herausragende gesellschaftliche Multiplikatoren in „Anwälte des Lesens“ zu verwandeln, sie einzuladen, „Partner der Leseförderung“ zu werden – ganz besonders auch die rotarischen Freunde.

Eine besondere Kompetenz

Was macht nun die Lesefähigkeit zu einer so besonderen Kompetenz? Hirnforschung und Informationswissenschaft geben hier Antworten: Lesen ist aus dieser Perspektive ein „zentraler referenzieller Prozess“ des Gehirns. Wer früh viel liest, dessen Gehirn wird leistungsfähiger als das von Nichtlesern. Den Zusammenhang zwischen Lese- und Denkfähigkeit formulierte der Computerpionier Joseph Weizenbaum folgendermaßen: Medienkompetenz sei die Fähigkeit, kritisch zu denken, kritisch zu denken wiederum lerne man in besonderer Weise durch Lesen. Lesekompetenz bildete den Schwerpunkt der 2001 veröffentlichten ersten internationalen Bildungsstudie „PISA“ der OECD – sie löste hierzulande einen Schock aus: Ihr zufolge war jeder fünfte deutsche Schüler nicht in der Lage, einen durchschnittlichen Zeitungsartikel zu verstehen. Trotz leichter Verbesserungen ist dieser Wert bei der aktuellen PISA-Studie, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, in etwa gleich geblieben. Immer mehr Menschen lässt dieser Sachverhalt nicht kalt: Sie möchten bei Kindern und Jugendlichen Lesefreude wecken, um präventiv dieses Bildungsdefizit zu bekämpfen. Dabei nimmt die Stiftung Lesen, unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, die Rolle eines Impulsgebers ein. Unterstützt wird sie von renommierten Partnern und Förderern aus Politik, Bildung, Wirtschaft und Kultur, die gemeinsam mit ihr über 90 Projekte realisieren. Lässt sich eine solche Leseförderungsvielfalt auf einen Nenner bringen? Die wichtigsten zwei Grundsätze lauten: So früh wie möglich ansetzen – und immer wieder einen emotionalen Zugang zum Lesen schaffen. Der frühkindliche Umgang mit (Bilder-)Büchern steht besonders im Fokus der Leseförderung: Auch wenn Kinder gerade erst dabei sind, sprechen zu lernen, hilft das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern bei der Welt-Aneignung. Anschließend ist Vorlesen der Königsweg zum Lesen: zum einen, weil es viele Fähigkeiten fördert, die für das Lesen-Lernen unabdingbar sind – von der Sprachentwicklung bis hin zur Stärkung der Fantasie –, zum anderen, weil das Vorlesen einen großen Motivationsschub darstellt. Sehr viele Kinder wachsen jedoch in Familien auf, in denen nicht vorgelesen wird: 42 Prozent aller Eltern lesen selten oder gar nicht ihren Kindern vor. Vor allem Väter sind nur sporadische Vorleser: In zwei Dritteln aller Familien ist lediglich die Mutter als Vorlesende präsent. Insbesondere Jungen brauchen jedoch vorlesende Väter: Studien belegen, dass Jungen mit fehlendem väterlichen Lesevorbild deutlich weniger lesen als andere. Hier setzt die Stiftung Lesen an: Sie hat mit dem „Vorleseclub“ ein ehrenamtliches Netzwerk für das Lesen geschaffen, das in Kindergärten und an vielen anderen Orten präsent ist. Über 9000 Vorlesepaten engagieren sich hier. Durch regelmäßiges Vorlesen schaffen Eltern eine Grundlage für eine gelingende Leselaufbahn ihrer Kinder. Diese wiederum läuft in den seltensten Fällen linear: Gerade Jungen sind oft nur schwer mit Leseangeboten zu erreichen. Ein Leseförderungsansatz, der auch ihren Interessen entgegenkommt, ist der Einsatz von Zeitschriften. Hier liegt eine besondere Bedeutung des oben erwähnten Projektes „Zeitschriften in die Schulen“. Mit-Initiatoren sind neben der Stiftung Lesen und der Stiftung Presse-Grosso die Deutschen Pressegrossisten sowie der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ).

Auch das maßgeblich vom cbj-Verlag mit der Stiftung Lesen realisierte Projekt zum „Welttag des Buches“ steht in einem groß angelegten Partnerverbund: Dass jedes Jahr mit einem aktuellen, hochwertigen „Verschenkbuch“ bei rund einer Million Mädchen und Jungen die Lesemotivation in der Schule gestärkt werden kann, ist auch dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Deutschen Post und dem ZDF zu verdanken – ebenso den Kultusministerien aller Länder, die das Projekt unterstützen.

Bewegung für das Lesen

Mit diesen und vielen weiteren Projekten möchte die Stiftung Lesen, auf Basis solider wissenschaftlicher Erkenntnisse ihres Instituts für Lese- und Medienforschung, Dynamik entfalten, eine „Bewegung für das Lesen“ bilden: Rund 50.000 Lehrkräfte nutzen die Möglichkeiten des kostenlosen „Lehrerclubs“ der Stiftung Lesen, um an Schulen Lesefreude zu vermitteln. Und Millionen von jungen Familien werden mit der Initiative „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und vielen anderen Partnern dazu motiviert, ihren Kindern die ersten Schritte in die Welt des Lesens zur erleichtern. Insbesondere dieses Projekt besitzt das Potenzial, die Leseförderungslandschaft in Deutschland zu verändern: Denn es bindet Kommunen, Kinder- und Jugendärzte, Bibliotheken und viele andere Multiplikatoren ein. Hier möchten wir Sie gern direkt ansprechen: Rotary Clubs können „Lesestart“ konkret unterstützen, indem sie Vorleseaktionen organisieren, Kinderarztpraxen mit weiteren Sprachförderungsmaterialien ausstatten und die Öffentlichkeit für die große Bedeutung des Themas Leseförderung sensibilisieren. „All Hands on Board!“: Wir laden Sie herzlich dazu ein, mit uns tätig zu werden.