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Claudia Lux, RC Berlin-Süd

Die Bibliothekarin von Katar

Matthias Schütt15.06.2015

Von Ruhestand ist noch keine Rede: Zwar wurde Claudia Lux Mitte April als Generaldirektorin der Berliner Zentral- und Landesbibliothek feierlich verabschiedet, doch loslassen kann sie noch nicht. Denn ein außergewöhnliches Projekt wartet in weiter Ferne, das die Bibliotheksexpertin bereits seit drei Jahren intensiv fordert: 2012 hatte sich Lux in Berlin beurlauben lassen, um im Emirat Katar am Persischen Golf eine Nationalbibliothek aufzubauen. Bis Ende des Jahres wird der holländische Stararchitekt Rem Koolhaas seinen Bibliotheksbau vollenden, „dann erst beginnt die eigentliche Umsetzung unseres Konzepts“, erläutert die Projektdirektorin. „Eröffnung plus ein Jahr“ ist ihre Prognose für das Abenteuer in der Wüste und für die eigene Lebensplanung.

Ziel: Internationaler Anschluss
Es geht um eine Entwicklungshilfe der besonderen Art. Das kleine reiche Land an der Ostküste der arabischen Halbinsel, das flächenmäßig etwa ein Drittel von Nordrhein-Westfalen umfasst, braucht eine neue wissenschaftliche Infrastruktur. In einer „Education City“ werden in der Hauptstadt Doha die Voraussetzungen geschaffen, um international Anschluss zu finden. Spitzenuniversitäten aus den USA und Großbritannien haben Ableger in Doha gegründet und ermöglichen jungen Katari den Erwerb konkurrenzfähiger Abschlüsse. Die Nationalbibliothek ist in diesem Konzept das Fundament, auf dem die neue Wissensgesellschaft aufbauen soll. Vor allem Medizin und Ingenieurwissenschaften, aber auch Kunst und Design stehen im Fokus.

Gesellschaft im Umbruch
Das wissenschaftliche Projekt ist auch ein politisches: „Katar ist eine Gesellschaft im Umbruch“, beschreibt Claudia Lux den besonderen Reiz ihrer Arbeit. Das Wüstenemirat ist eine traditionelle islamische Gesellschaft mit den bekannten strikten Regeln für das Zusammenleben der Geschlechter. Während in Schulen und auch an der Katar University Frauen und Männer getrennt unterrichtet werden, wird es diese Trennung in der Nationalbibliothek nicht geben. Die Bibliothek als Symbol sozialer Emanzipation – auch das gehört zum neuen Konzept der „Education City“.

Der Bestandsaufbau spiegelt denn auch beide Ziele. „Ein Schwerpunkt liegt auf wissenschaftlicher – zumeist englischsprachiger – Literatur“, erläutert Lux, „ein zweiter gilt der arabischen Literatur, die erstmals systematisch gesammelt wird.“ Dies vor allem soll der Katalysator sein für den kulturellen Selbstfindungsprozess der katarischen Gesellschaft. 400.000 Medien werden die Bibliothekare bis zur Eröffnung angekauft haben, im Endausbau sind 1,2 Millionen vorgesehen.

Kennzeichen Stehvermögen
Warum die Headhunter des Emirs ausgerechnet die Bibliotheksdirektorin aus Berlin anriefen, erklärt sich aus ihrem außergewöhnlichen Werdegang. Die Soziologin und Sinologin wurde 1985 mit einer Arbeit über das China der Vor-Mao-Zeit promoviert und begann danach eine Referendarausbildung an der Staatsbibliothek in Berlin. Neben der wissenschaftlichen Tätigkeit in der Ost­asien­abteilung arbeitete sie sich in die anstehende Digitalisierung der Bibliotheksverwaltung ein und engagierte sich in deutschen und internationalen Verbänden für den konsequenten Ausbau öffentlicher Bibliotheken. In Berlin hat sie vor allem bei der Umstellung der Senatsbibliothek „vom Zettelkasten zur Datei“ – und bei der Zusammenführung der öffentlichen Bibliotheken von West und Ost in der Zentral- und Landesbibliothek Akzente gesetzt. Dabei bewies sie in zwei zentralen Entwicklungsaufgaben konzeptionelle Stärke und Stehvermögen auch im Umgang mit politischen Entscheidungsträgern. Nicht zuletzt das waren ideale Voraussetzungen für den Job am Persischen Golf.


 Zur Person
Prof. Dr. Claudia Lux wurde am 24. März 1950 in Gladbeck geboren. Sie hat zwei Kinder und einen Enkel.

  • Nach dem Abitur 1968 studierte sie Buchgrafik in Kiel, wechselte nach drei Semestern zur Soziologie an die FU Berlin und schloss dieses Studium 1973 in Bochum mit dem Diplom ab. Im Rahmen des parallel verfolgten Studiums der Sinologie lebte sie von 1974 bis 1976 mit einem DAAD-Stipendium in China; 1984 Promotion zum Dr. phil.
  • Nach einem Referendariat in der Staatsbibliothek Berlin und ersten Berufsjahren als Fachreferentin in der Ostasienabteilung stieg sie rasch die Karriereleiter hinauf. Nach der Wende wurde sie zur Direktorin der Senatsbibliothek Berlin berufen, 1997 wechselte sie als General­direktorin zur Berliner Zentral-und Landesbibliothek.
  • 2004 übernahm sie den Vorsitz des deutschen Bibliotheksverbandes und war von 2007 bis 2009 Präsidentin des Weltverbands der Bibliotheken.
  • Seit 2006 ist Lux Honorarprofessorin am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität.

 

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.