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Interview

"Rotary ist wichtiger denn je"

Interview - "Rotary ist wichtiger denn je"
Arno Kronhofer, Past-Governor, sagt, in einer Gesellschaft, in der es kälter und kälter wird, hält Rotary dagegen. © Florian Quanz

Auch nach 100 Jahren steht Rotary in Österreich vor großen Herausforderungen. Was die rotarische Gemeinschaft in der Vergangenheit ausgezeichnet hat, was sie in Zukunft leisten muss, wie sie in die Gesellschaft hineinwirken will, und welche internen Reformen dringend notwendig sind, darüber sprachen wir mit Erika Krenn-Neuwirth, Peter Neuner, Arno Kronhofer und Walter Ebner.

Florian Quanz13.01.2025

Wir feiern 100 Jahre Rotary in Österreich. Was wurde erreicht und wozu verpflichtet dies für die Zukunft?

Erika Krenn-Neuwirth: 100 Jahre Rotary in Österreich – das ist ein besonderer Moment. Mit unseren inzwischen 142 Clubs haben wir eine regionale Bekanntheit erreicht und wir haben eine Vielzahl an Sozialprojekten unter anderem zu den Themen Bildung, Gesundheit, Polio im Besonderen, und Demokratie realisiert. Wir leisten als gut vernetzte Gruppe einen wesentlichen Beitrag in und für die Gesellschaft. Rotary funktioniert und wächst.

Peter Neuner: Stimmt. Nach 100 Jahren Rotary können wir mit Fug und Recht behaupten, dass Rotary heutzutage wichtiger denn je ist. Wir blicken derzeit auf eine Welt mit einer Vielzahl an Problemen. Das soll nicht bedeuten, dass Rotary alle Probleme lösen oder schultern kann. In der Vergangenheit hat unsere Gemeinschaft Großartiges geleistet. Ich denke da nur an Polio, wenngleich wir dort für die Zukunft an ein paar Stellschrauben drehen müssen. Ich denke an die geleistete Friedensarbeit. Ich denke an die geleistete Jugendarbeit. Nun müssen wir uns nach 100 Jahren Rotary fragen, quo vadis.

 

Welchen Weg muss Rotary nun einschlagen, Herr Kronhofer?

Arno Kronhofer: In einer Welt, in der es kälter und kälter wird, halten wir als Rotarier in Österreich seit 100 Jahren dagegen. Ich möchte das an ein paar Beispielen festmachen. Unser Polio-Engagement, was Peter Neuner gerade angesprochen hat, ist ein solches. Ich war gerade in Afrika bei einem rotarischen Projekt vor Ort. Das ist das Dagegenhalten. Wir erleben eine immer tiefere Spaltung der Gesellschaft und wir stemmen uns dagegen. Diesen Weg müssen wir weitergehen.

Walter Ebner: Genau das ist der Punkt: Rotary verbindet. Wir müssen in einer polarisierenden Welt mehr Klarheit für die Bevölkerung schaffen und an Leitlinien mitarbeiten. Wir dürfen das nicht den Populisten überlassen. Unsere Gesellschaft driftet auseinander. Die einzelnen Interessensgebiete werden einseitig bespielt, es wird einseitig kommuniziert. Das spaltet die Gesellschaft. Deswegen bin ich auch ganz bei Peter Neuner. Es braucht Rotary mehr denn je. Unsere Gemeinschaft muss sich den Herausforderungen stellen und mit ihnen wachsen. Was mich bekümmert, dass unsere Mitgliederentwicklung auf einem gewissen Status stehengeblieben ist. Wir hatten auch vor 20 Jahren etwa 1,2 Millionen Rotarier weltweit. Der Frauenanteil ist stetig gewachsen, aber die Gesamtmitgliederzahl nicht. Zugleich hat sich an anderen Stellen viel verändert. Da frage ich mich, warum? Es gibt hier noch Potenzial und gute Ideen, wie wir Rotary nach vorne bringen. Wenn wir etwas bewirken wollen, brauchen wir auch einen Einfluss in der Gesellschaft. Das wiederum hängt davon ab, wie stark wir in der Gesellschaft verankert sind. Da sehe ich unsere große Herausforderung für die Zukunft.

 

Sie sprechen die Mitgliederentwicklung an. Diese stagniert weltweit. Rotary schrumpft in Großbritannien und Australien, wächst dafür aber in anderen Ländern. Zu diesen Nationen gehört Österreich. Was machen Sie besser als die Briten?

Erika Krenn-Neuwirth: Wir haben einen Frauenanteil von über 20 Prozent in den Rotary Clubs und sogar über 50 Prozent bei Rotaract. Das ist ein großes Potenzial für unsere Gemeinschaft und wir brauchen jede helfende Hand. Zudem müssen wir Antworten auf die Fragen der Zukunft liefern. Nur dann sind wir junge Menschen attraktiv und laufen nicht Gefahr, dass wir uns zu einer Altersstruktur hin entwickeln, wie wir sie in Großbritannien haben. Ein Thema, welches die junge Generation besonders umtreibt, ist die Klimaentwicklung. Vor einigen Wochen hatten wir in Bosnien und Herzegowina schwere Regenfälle mit einer daraus resultierenden verheerenden Flut. In einem Stausee haben sich Tonnen von Müll angesammelt. Hier hat sich dann die Stärke Rotarys gezeigt. Nur vier Wochen später war der See komplett frei von Müll. Das ist eine Sensation. Für die Menschen vor Ort war das ein großartiges Weihnachtsgeschenk. Wir sind People of Action. Mit solchen Projekten können wir junge Menschen für uns begeistern und sie mit Rotary infizieren. Das muss unsere Strategie sein.

Peter Neuner: Gratulation zu diesem Projekt. Wir werden dann für junge Menschen attraktiv sein, wenn wir unsere Projekte präsentieren. Es interessiert heute keinen Menschen mehr, wenn irgendwo ein großer Scheck überreicht wird. Junge Menschen orientieren sich an Projekten. Dabei ist es egal, ob es ein lokales oder internationales Projekt ist. Am Ende des Tages werden wir an unseren Projekten gemessen.

Arno Kronhofer: Das unterstreiche ich. Das, was uns auszeichnet, sind die Projekte. Nur, wer selber brennt, kann andere begeistern. Projekte sind wie Magneten. Und solche Magnete brauchen wir. Wenn wir Projekte zeigen und leben, wirkt das anziehend. Das Erfolgsrezept von Rotary in Österreich ist, dass wir genau so neue Mitglieder gewinnen.

Walter Ebner: Wir brauchen Leuchtturmprojekte. Im Distrikt 1920 haben wir ein großes Projekt in Afrika abgeschlossen. 43 Clubs haben daran mitgewirkt. Wir können nun 92.000 Menschen täglich mit frischem Wasser versorgen. Das ist keine Eintagsfliege, sondern ein großer Impact. Ich bin stolz auf das Team, welches dieses Projekt realisiert hat. Aber wir müssen solche Erfolge auch publik machen. Das ist genau der Schritt. Früher hieß es bei Rotary, tue Gutes und rede nicht darüber. Früher könnten wir über andere Ebenen Einfluss nehmen. Heute stehen wir mit vielen anderen Serviceorganisationen im Wettbewerb. Wenn wir über unsere Projekte nicht berichten, werden nur die anderen wahrgenommen. Wir müssen die Herzen erreichen. Das Herz muss brennen. Wir müssen Emotionen wecken, dann können wir Menschen, egal welchen Alters, erreichen.

Arno Kronhofer: Nicht kleckern, sondern klotzen. Wir brauchen große Projekte, die wir in den Vordergrund stellen. Wir haben jetzt mehrere Großprojekte erwähnt, die wirken. Wir brauchen große Ideen, große Projekte und große Persönlichkeiten. Das ist der einzige Weg in die Zukunft. Die Konkurrenz ist gewaltig. Schauen wir nach Bosnien und Herzegowina. Rotary ist die einzige Organisation, wo alle Ethnien und Religionen an einen Tisch kommen. Drei rotarische Projekte haben die Gesellschaft dort zusammengebracht.

Erika Krenn-Neuwirth: Kleine Projekte sind für die regionale Verankerung entscheidend. Im Zuge von 100 Jahre Rotary in Österreich blicken wir auch auf 100 ausgewählte Projekte. Diese unterstreichen die Stärke, Vielfalt und Nachhaltigkeit unserer Aktivitäten. Auch im Kleinen geschieht eine ganze Menge. Wir haben allein 80 Bildungsprojekte, von Nachhilfeangeboten bis hin zu Stipendien. Hier betreiben wir zugleich Nachwuchsförderung.

 

Es fiel schon mehrfach das Stichwort Konkurrenz. Anderen Organisationen gegenüber hat Rotary einen großen Vorteil: die aktiven Nachwuchsorganisationen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Rotary und Rotaract, Herr Neuner?

Peter Neuner, Österreich, Rotary
Begrüßt die offizielle Aufnahme der Rotaracter in die rotarische Familie: Peter Neuner ©Privat

Peter Neuner: Zunächst einmal möchte ich Rotary International dazu gratulieren, dass sie die Entscheidung getroffen haben, Rotaract in die rotarische Gemeinschaft offiziell aufzunehmen. Die Zusammenarbeit in meinem Distrikt funktioniert hervorragend. Wenn man sich die Zuwachsraten anschaut, dann wächst bei uns vor allem Rotaract. In meiner Amtszeit wurden bereits zwei Rotaract Clubs gegründet und es wird in Kürze der dritte folgen. Da liegt unsere Zukunft. Selbstkritisch müssen wir uns aber eingestehen, dass es uns nicht immer gelungen ist, Rotaracter in Rotary Clubs aufzunehmen. Da sind uns viele potenzielle rotarische Freundinnen und Freunde verlorengegangen.

 

Wäre da nicht das Instrument der Doppelmitgliedschaft sinnvoll, so dass Rotaracter bei Rotaract bleiben, aber zugleich Mitglied in einem Rotary Club werden?

Walter Ebner: Die Möglichkeit besteht schon. Es wird aber nur bedingt angenommen. Zum einen haben Rotaracter bei einer Doppelmitgliedschaft auch eine doppelte finanzielle Belastung. Zum anderen wurde die Altersgrenze bei Rotaract aufgehoben. Es besteht also nicht mehr der Druck, ab dem Alter von 30 Jahren sich umzuschauen, wo man sich servicemäßig künftig engagiert. Die Doppelmitgliedschaft ist deshalb für mich nicht der Schlüssel, um neue Mitglieder für Rotary zu gewinnen.

Arno Kronhofer: Die Rotaracter gleichzustellen, kam einer Revolution gleich. Was hat das bewirkt? Ein Beispiel: Während wir alten Rotarier noch telefoniert haben, haben die Rotaracter aus Klagenfurt bereits die ersten Hilfslieferungen in der Ukraine gehabt. Sie haben andere Zugänge, sie wirken dementsprechend anders, und das müssen wir als Chance begreifen. Die jungen Leute wollen Aktionen sehen. Wenn wir von People of Action reden, dann sind es vor allem die Rotaracter. Da ist die Ukraine das beste Beispiel. Unserer Zukunft liegt bei Rotaract.

Walter Ebner: Ich möchte unterstreichen, wie stark Rotary in Österreich ist. Wir haben bei einer Einwohnerzahl von neun Millionen Menschen rund 9000 Mitglieder. Auf 1000 Einwohner kommt somit ein Rotarier. Diese Dichte findet sich weltweit nur noch in der Schweiz. Wir haben eine große Durchdringung erreicht und sehen zugleich noch großes Potenzial.

Erika Krenn-Neuwirth: Wir sehen zwei Tendenzen. Zum einen den steigenden Frauenanteil bei Rotaract. Hier bedarf es einer Strategie, wie wir diese top ausgebildeten jungen Frauen später auch bei Rotary einbinden. Als zweite Tendenz sehe ich eine steigende Zusammenarbeit zwischen Interact, Rotaract und Rotary.

Peter Neuner: Wenn man bei der Governorschulung in Orlando immer nur hört, Membership, Membership, Membership, aber nie hinterfragt, wird, wie das konkret gestaltet werden soll, ist das nicht zielführend. Wenn der Generalsekretär John Hewko erklärt, er will Rotary wie den Apple-Konzern führen, ein börsennotiertes US-Unternehmen, dann stehen mir als österreichischer Rotarier die Haare zu Berge.

Arno Kronhofer: Als ich das gehört habe, hat es mir richtig weh getan. Wir sind kein Konzern. Wir sind eine NGO und leben von der Freiwilligkeit.

Peter Neuner: Eine Frage, die mir bei Clubbesuchen immer wieder gestellt wird, warum haben wir Inner Wheelerinnen von der rotarischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Warum hat man denen nicht einen Status angeboten, wie ihn Rotaract hat?

Walter Ebner: Das hat man getan. Aber das hat das Leitungsgremium von Inner Wheel abgelehnt. Es ist hier leider zu keinem Interessensausgleich gekommen.

Peter Neuner: In Tirol gründen Frauen von Rotariern nun einen Inner Wheel Club. Diese Frauen wären gerne ein Teil von Rotary. Das ist ein Punkt, den wir in den kommenden Jahren diskutieren müssen.

 

Muss sich Rotary somit immer wieder neu konsolidieren?

Arno Kronhofer: Das ist dringend geboten. Aber wir Rotarier sind wohlstandsgesättigt. Was meine ich damit? Wir genießen das Clubleben aber sind nicht hungrig nach etwas. Rotaracter sind hungrig darauf, etwas selbst zu tun. Da liegt unsere Zukunftschance. Wir müssen uns die Frage stellen, ob unsere Rotary-Meetings noch adäquat für junge Menschen sind. Vielleicht müssen wir das Prinzip „Eat and meet“ überdenken. Es gibt Clubs, die das bereits tun. Lasst uns revolutionär denken. Wir sind noch zu konservativ.

 

Liegt die Herausforderung darin, den Übergang von Rotaract zu Rotary zu erleichtern, gleichzeitig aber die Eigenständigkeit von Rotaract nicht infrage zu stellen?

Walter Ebner: Ganz genau. Wir haben Rotaract einen neuen Status gegeben, ohne sie zu fragen, ob sie das überhaupt möchten. Am Anfang gab es kritische Stimmen und Zurückhaltung aus den Reihen von Rotaract. Wie stark und eigenständig Rotaract ist, zeigt sich jedes Jahr in Deutschland, wenn zu deren Deutschlandkonferenz (Deuko) mehr als 1000 Mitglieder kommen. Davon können wir bei Rotary nur träumen. Wir müssen Ihnen den denselben Gestaltungsfreiraum ermöglichen, den wir Rotarier haben. Im positiven Miteinander liegt die Zukunft.

Erika Krenn-Neuwirth: Bei uns im Distrikt haben wir in den ländlichen Regionen das Problem, junge Menschen zu aktivieren. Die Coronapandemie hat diesen Prozess noch verstärkt.

 

Immer wieder haben Sie alle betont, wie wichtig die rotarischen Projekte sind. Wir wollen auf das große internationale Rotary Projekt End Polio Now genauer eingehen. Sie als Mediziner, Herr Neuner, fordern, dieses Projekt völlig neu zu denken. Was meinen Sie damit konkret?

Peter Neuner: Vorausschicken möchte ich, dass das vor Jahrzehnten gestartete Projekt weltweit einzigartig ist. Wir sind da sensationell erfolgreich. Ich halte es gar für friedensnobelpreisverdächtig. Aber der strategische Fehler war, dass man geglaubt hat, mit dem alleinigen Fokus auf die Impfungen die Welt Poliofrei zu bekommen. Diese Karotte wurde uns Rotariern von Evanston schon vor zehn oder 20 Jahren vor die Nase gehalten. Ich kann mich da an eine entsprechende Governoräußerung vor 17 Jahren erinnern. Meine Antwort war, dass wir mit den Methoden Kinderlähmung nicht ausrotten werden. Der Governor hat mich nachfolgend keines Blickes mehr gewürdigt. Leider hatte ich recht. Was bedeutet das? Wir dürfen auf keinen Fall unser Engagement aufgeben. Das würde das Ansteigen der Poliofälle zur Folge haben. Wir als Distrikt starten einen Global Grant unter dem Titel „Polio Protection Programm“. Wir richten unseren Fokus aber nicht auf die Impfungen, sondern wollen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglichen. Wenn die Menschen diesen Zugang haben, reduziert sich zugleich die Hospitalisierungsrate um 50 Prozent. Wir brauchen zudem eine valide Datensammlung und eine Familienplanung. Kleinere Familien sind zugänglicher für die Gesundheitsvorsorge als größere. Diese Forderungen liegen auf dem Tisch, und müssen als Begleitprogramm zu den Impfungen umgesetzt werden.

 

Wo liegt das auf dem Tisch?

Peter Neuner: Ich habe mit der jetzigen RI-Präsidentin Stephanie Urchik darüber gesprochen, als sie in Wien zu Gast war. Ich habe auch ihre Assistentin per Mail angeschrieben, dass das auf der Convention in Calgary thematisiert werden muss. Ich warte auf eine Antwort.

 

Die Realisierung Ihrer Forderung wird steigende Kosten nach sich ziehen. Doch schon jetzt hat Rotary Probleme, das derzeit benötigte Geld Jahr für Jahr zusammen zu bekommen.

Peter Neuner: RI muss endlich zugeben, dass die Welt nur mit Impfungen nicht Polio-frei wird. Wir brauchen begleitende Maßnahmen. Wenn wir den Menschen erklären, dass sie künftig nicht nur für Impfungen, sondern auch für sauberes Trinkwasser spenden, wird die Spendenbereitschaft wieder zunehmen. Mit einem einzigen Brunnen können 8000 Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgt werden. In Nigeria kostet ein Brunnen 1200 Euro, in Kambodscha etwa 2000 Euro.

Erika Krenn-Neuwirth: Wir im Distrikt finanzieren für jedes der 100 Jahre, die wir nun bestehen, 1000 Impfungen. Die Clubs unterstützen das Programm. Wir finanzieren damit 100.000 Impfungen. Das ist ein guter Beitrag.

Peter Neuner: Ich bin Erika dankbar, dass sie weitere Impfungen ermöglicht. Wenn wir nicht am Ball bleiben, haben wir früher oder später wieder Poliofälle vor der eigenen Haustür.

 

Herr Neuner, anstatt Frau Krenn-Neuwirth zu danken, müssten Sie Ihre Governorkollegin nicht vielmehr davon überzeugen, das Bohren von Brunnen zu finanzieren?

Neuner: Die Impfungen sind weiterhin notwendig. Aber es bedarf begleitender Maßnahmen. Distrikt 1910 soll impfen, 1920 wird Brunnen bohren.

Erika Krenn-Neuwirth: Das ist eine gute Kooperation.

 

Bestehen denn Chancen, dass RI seinen Blick wie von Herrn Neuner gefordert, weitet, Herr Ebner?

Walter Ebner: Rotary kann nur den Anstoß zur rechten Zeit geben. Getragen werden muss das von viel mehr Akteuren. Rotary allein wäre nicht in der Lage gewesen, mit seiner Impfkampagne so erfolgreich zu sein. Wir brauchen Partner. Das Bewusstsein aufzubauen und damit Partner zu gewinnen, die sich mit einer sozialen Verantwortung einbringen, muss unser Ziel sein. Dann können wir auch die Finanzierung sicherstellen.

Peter Neuner: Der von mir angesprochene Global Grant in Nigeria ist das Pilotprojekt. Schauen wir, welchen Impact dieses Projekt haben wird.

 

Wir möchten mit Ihnen abschließend einen Blick in die österreichische Gesellschaft werfen. Herr Kronhofer, wir haben im vergangenen Jahr eine Nationalratswahl erlebt, aus der die FPÖ als stärkste Partei hervorgegangen ist. Ist eine rechtspopulistische Partei wie die FPÖ vereinbar mit den Werten von Rotary?

Arno Kronhofer: Rotary hat ein Zauberwort, das auf mich unglaublich wirkt. Dieses Wort heißt Toleranz. Toleranz bedeutet, nicht spalten. Toleranz bedeutet, nicht schwarz-weiß zeichnen. Toleranz bedeutet, nicht auszugrenzen. Wir können mit dieser Toleranz der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken. Ich weigere mich, die Frage nach der Unvereinbarkeit an einer Partei festzumachen. Parteien sind wandelbar. Was gestern noch undenkbar war, ist morgen schon Realität. Das, was Beständigkeit ist, ist unsere Toleranz. Ein Rotarier muss in der Lage sein, die Meinung eines anderen Rotariers auszuhalten. Er muss dem anderen auch zubilligen, dass dieser die gleiche Intelligenz mitbringt. Das sind Grundsätze, die für mich gelten.

 

Herr Ebner, Sie hatten vorhin gesagt, Rotary darf dem Populismus nicht zu viel Raum lassen. Tun wir das nicht, wenn wir nicht auch mal widersprechen.

Ebner: Es ist vollkommen klar, dass Rotary immer völlig unabhängig agieren wird. Es wäre ein Fehler, wenn wir uns gegen eine Partei aussprechen. Wir würden uns auf einen Weg begeben, den wir gar nicht gehen wollen. Wir wollen vereinen, nicht trennen. Arno hat es bereits betont. Wir sollten uns nicht parteipolitisch, aber grundsätzlich sehr wohl politisch äußern. Rotary hat nicht nur den Auftrag, auf Probleme aufmerksam zu machen, sondern auch Lösungswege aufzuzeigen. Denken wir das Motto von Past-RI-Präsident Gordon McInally: Create hope in the world.

 

Kann Rotary einen wesentlichen Beitrag leisten, damit die Gesellschaft nicht weiter auseinandertriftet?

Erika Krenn-Neuwirth: Ich glaube, dass wir das bereits tun. Auch, weil wir auf eine positive Art und Weise Diskussionen führen. Diskussionen sind nur dann zielführend, wenn man auch die Toleranz für die andere Meinung mitbringt. Wir müssen jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich mit diesem Aspekt auseinanderzusetzen. Mit dem Thema „Wahlen und Demokratie“ haben wir bei Ryla ein wichtiges Zeichen gesetzt. 25 junge Menschen haben sich fundiert mit dieser Thematik und ihren Hintergründen auseinandergesetzt. So versuchen wir im positiven Sinne eine aktive Zivilgesellschaft zu stärken und zu erhalten. Rotary ist Teil dieser Zivilgesellschaft und wir haben den Auftrag unsere Werte in diese Gesellschaft zu tragen, Vorbild und Leader zu sein. Ich spreche das bei meinen Clubbesuchen an und erhalte positive Resonanz. Wir wirken zudem über das positive Vorbild der Tat. Die Menschen werden lernen, wieder enger zusammenzustehen, um Krisen zu bewältigen. Davon bin ich überzeugt.

 

Rotary als wertgebundene Gemeinschaft, die in die Gesellschaft vor Ort hineinwirkt. Erleben Sie, Herr Neuner, dies auch so?

Peter Neuner: Ja, ich stimme meinen Vorrednern zu. Rotary hat schon immer das Verbindende über das Trennende gestellt. Was rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien angeht, muss Rotary unpolitisch bleiben. Es darf nicht um Parteien, sondern es muss uns um die einzelnen Proponenten gehen. Wenn die katholische Kirche in Österreich einen pädophilen Priester deckt, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht den sozial engagierten lokalen Priester in meinen Rotary Club aufnehmen darf.

Walter Ebner: Ergänzend dazu: Das, was wir tun, tun wir aus innerer Überzeugung. Und wir wollen eine Vorbildfunktion wahrnehmen. Das impliziert, dass wir Eigenverantwortung übernehmen und nicht auf Reaktionen einer Partei warten, um dann zu schauen, ob uns das recht oder unrecht ist.

Erika Krenn-Neuwirth: Parteien sind wesentlicher Bestandteil funktionierender Demokratien. Eine Partei ist eine Gruppe von Menschen in einer Gesinnungsgemeinschaft. Dass das jetzt gerade in Richtung FPÖ tendiert und in ein paar Jahren wieder völlig anders sein kann, haben wir in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach erlebt. Nichtsdestoweniger gibt es in der Verfassung definierte Grenzen. Die sind für mich relevant. In Einzelgesprächen mit Personen kann man zudem moralische Grenzen einfordern.

Arno Kronhofer: Genau das ist das Kriterium eines Rotariers. Er muss die Werte der rotarischen Gemeinschaft mittragen und sich für sie aktiv einsetzen.

 Das Gespräch führten Björn Lange und Florian Quanz

Florian Quanz
Florian Quanz arbeitet seit März 2021 als Redakteur beim Rotary Magazin. Zuvor war er Leiter des Manteldesks sowie Politik- und Wirtschaftsredakteur bei der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (HNA), einer großen Regionalzeitung mit Sitz in Kassel.
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