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Ein nachruf auf Gottfried Kiesow

Denkmalschutz mit ganzem Herzen

Hans-Werner Klein01.03.2013

Seine Ideen waren zahllos, seine Kenntnisse profund, seine Initiativen stringent, durchdacht und erfolgreich: Mit Gottfried Kiesow zu leben hieß, immer wieder einzutauchen in eine faszinierende Welt der Kunst, der Werte und der Geschichte. „Sehen lernen mit Gottfried Kiesow“ war ein geflügeltes Wort im ganzen Land. In vielen Büchern erläuterte er dem Fachmann wie dem Laien in seiner markanten und erfrischenden Art, ebenso unterhaltsam wie exakt bis ins kleinste Detail die schätzenswerten Aspekte an Kunstwerken und Baudenkmälern. Noch eindrucksvoller aber waren die Reisen, die er mit uns Freunden unternahm. Die Gabe der freien Rede, gestützt auf ein sagenhaftes Gedächtnis und tiefe wissenschaftliche Kenntnisse machten „Besichtigungen“ mit ihm zu prägenden Erlebnissen.

Aber Kiesow öffnete nicht nur Augen sondern vor allem auch Herzen: Zu gleichen Teilen Kämpfer und Erklärer, machte er die Idee des Denkmalschutzes in Deutschland im Wortsinne populär. Er war es auch, der uns Wiesbadenern wortgewaltig die naive Selbst-Abwertung austrieb, mit der wir jahrzehntelang den Baustil des Historismus, für den unsere Stadt ein Muster ist wie nur wenige andere, als „Kitsch“ abtaten.

Als Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen (1966 bis 1996) rettete er – so kann man das wirklich sagen – viele Denkmäler vor dem Untergang. Mit knallhartem Einsatz verhinderte er den „Umbau“ des mittelalterlichen Rathauses in Gelnhausen und den Ausbau einer Bundesstraße, für die in Herleshausen ganze historische Fachwerkviertel abgerissen worden wären. Quedlinburg, Wismar und Stralsund verdanken ihm ihren Platz auf der UNESCO-Welterbe-Liste – und fast auch Wiesbaden. Sein Amt blühte auf zu einer starken Fachbehörde, deren Stellungnahmen nicht immer bequem, aber immer vom vollen Einsatz für das hessische Kulturerbe geprägt war. Dabei verstand er es auch, die Öffentlichkeit zu gewinnen und zu mobilisieren: Hessen war das erste Bundesland, das sich an dem in Frankreich eingeführten „Tag des offenen Denkmals“ beteiligte.

Stets schwer beschäftigt und an vielen politischen und realen Baustellen gleichzeitig engagiert, fand Kiesow dennoch die Zeit, auch rotarische Fundamente zu setzen und Freundschaften zu pflegen. An der Neugründung des Rotary Clubs Görlitz war er maßgeblich beteiligt. Er war unser Präsident und unser Ratgeber. War er im Raum, spürte man seine Präsenz; fehlte er, empfand man fast schon ein Vakuum.

War seine Begabung, andere für die Bedeutung der Baukunst zu begeistern, schon phänomenal, so erstaunte noch mehr seine Kraft, alle Theorie auch in praktische Handlungen umzusetzen. Die Liste der Initiativen und Institutionen, die über seinen Tod hinaus bestehen werden, würde einige Seiten dieses Magazins füllen. Ehrenbürgerschaften, Ehrendoktorwürden und der Deutsche Nationalpreis 2011 sind nur ein schmaler Lohn für das, was Gottfried Kiesow für uns alle tat.

Für uns Freunde ist sein Verlust schwer zu ertragen. Für den Denkmalschutz in Deutschland aber sind die Folgen nicht auszudenken.