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Titelthema: Abschied von der Weltpolitik

Amerika und Europa – nur gemeinsam

Angesichts großer internationaler Herausforderungen und Bedrohungen haben die transtlantischen Partner die Pflicht zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Friedrich Merz01.03.2017

Wer zu Beginn dieses Jahres geglaubt hatte, dass der neue US-Präsident nach seiner Wahl etwas gemäßigter auftreten und auf seine Gegner zu­gehen würde, dass er aufhört zu twittern, gut mit dem Kongress zusammenarbeitet, die Gerichte respektiert und die Presse ernst nimmt, also schlicht ein „normaler“ Präsi­dent wird, muss nun erkennen: Nichts ist unter diesem Präsidenten so wie bisher. Es gelten bis auf weiteres keine Regeln mehr. Seine einfache Botschaft lautet: „America first!“ In den ersten Wochen seiner Amtszeit hat Präsident Trump gezeigt, was er darunter versteht.

Leben mit den Gegebenheiten
Wie gehen wir mit diesem neuen Präsidenten um? Was folgt aus der politischen Entwicklung in den USA für uns, für uns Europäer, aber auch für uns Deutsche?

Die erste Antwort ist einfach und gera­de­zu trivial: Donald Trump ist der rechtmäßig gewählte Präsident der Vereinigten Staaten. Auch wenn es den meisten schwerfällt, das zu akzeptieren, es ist so. Und je schneller wir das akzeptieren, je weniger Zeit geht verloren mit unnötiger Larmo­yanz.

Die zweite Schlussfolgerung ist ebenso trivial: Wir Europäer können uns nicht länger darauf verlassen, dass die Amerikaner weltweit Sicherheitsgarantien übernehmen und wir uns im Schatten der Kri­sen und Kriege vor allem der Mehrung unseres Wohlstands zuwenden. Ja, es ist richtig, dass die Europäer in den letzten Jahren an vielen Brennpunkten der Welt Verantwortung übernommen und Streitkräfte in sehr gefährlichen Regionen der Welt stationiert haben. Richtig ist aber auch, dass die Ame­rikaner unverändert mehr als zwei Drittel des Nato-Budgets zahlen und die Euro­päer weniger als ein Drittel. Das hätte auch eine Regierung Hillary Clinton nicht län­ger akzep­tiert; konzilianter in der Wortwahl, in der Sache nicht weniger klar und eindeutig.

Richten wir uns zusätzlich auf eine längere Zeit der Unsicherheit und der Widersprüchlichkeiten ein. Für Trump ist die NATO „obsolet“, sein Außenminister und sein Verteidigungsminister dagegen loben das Nordatlantische Bündnis in höchsten Tönen. Der Präsident hält unverändert fest an seinen protektionistischen Plänen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, sein Wirtschaftsminister und sein Finanz­minister betonen dagegen schon in den Anhörungen im Kongress den Wert von freiem Welthandel und offenen Grenzen. So treten bereits die ersten Konflikte innerhalb der Regierung offen zutage, der Präsident musste schon nach wenigen Tagen erste Regierungsmitglieder austauschen, darunter seinen Nationalen Sicherheitsberater.

Wir dürfen trotzdem auf dieser Seite des Atlantiks nicht untätig bleiben oder gar angsterfüllt auf jeden Tweet starren, der uns aus Washington erreicht. Wir müssen im Gegenteil gerade jetzt mit den Amerikanern reden und ihnen unsere Sicht der Dinge versuchen zu vermitteln. Dabei gibt es einige Erfahrungen und Gewissheiten, auf die wir uns beziehen können. Jede Regierung ist natürlich und zuerst dem Wohl des eigenen Landes verpflichtet. Aber Frieden und Freiheit auf der Welt sind auch davon abhängig, dass Nationen über ihre eigenen Grenzen hinaus Verantwortung übernehmen. Der Blick nach vorn geht nur dann in die richtige Richtung, wenn die Erfahrungen aus der Vergangenheit beach­tet und die erprobten Institutionen, die aus diesen Erfahrungen errichtet wurden, nicht leichtfertig aufgegeben werden.

Gerade Europäer und Amerikaner verbindet die Geschichte und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Nach zwei Weltkriegen konnten verantwortliche Politiker in Amerika und Europa eine neue politische Ordnung schaffen, die uns mehr als sieben Jahrzehnte eine einzigartige Periode des Friedens und der Freiheit gegeben hat. Präsident Truman, der mit der Unterzeichnung des Marshallplans den Grundstein zu Deutschlands Wiederaufbau gelegt hat, sah genau hier die historische Zäsur. Auf die „Ära des nationalen Misstrauens, der öko­nomischen Feindseligkeit und des Isolationismus“ folge nun ein neues „Zeitalter der Kooperation, um den Wohlstand der Menschen auf der ganzen Welt zu mehren“. Truman wusste, wie die große Depression in den USA entstanden war, ihm waren die verheerenden Folgen von Abschottung, Isolationismus und Protektionismus der dreißiger Jahre noch sehr bewusst.

Friedrich Merz
Friedrich Merz (RC Arnsberg) war von 1989 bis 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments und von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2000 bis 2002 war Merz Vorsitzender und von 1998 bis 2000 sowie von 2002 bis 2004 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er ist heute Partner der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Mayer Brown LLP. Seit 2009 ist er zudem Vorsitzender des Vereins „Atlantik-Brücke“, der sich insbesondere der Förderung guter Beziehungen zwischen Deutschland, den USA und Kanada verpflichtet fühlt. Außerdem ist er seit März 2016 als Aufsichtsratschef (active chairman) für den deutschen Ableger des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock tätig. atlantik-bruecke.de