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Besser wäre miteinander
Österreichs Bürger sind erschöpft und unzufrieden. Die kommende Nationalratswahl ist schon jetzt zum Sinnbild der politischen Kultur eines verunsicherten Landes geworden
Die Demokratie hält viel aus. Das muss sie, denn sie ist das einzige politische System, das Kritik respektiert und darüber hinaus die Bevölkerung sogar dazu einlädt, diese zu formulieren und politische Änderungen zu veranlassen. Das mag die größte Stärke einer Demokratie sein, weil es in keiner anderen Regierungsform so viel Freiheit für die Bürger und Bürgerinnen gibt. Zugleich bedeutet genau dies ihre größte Schwäche, denn auch sie ist nicht gegen alle Angriffe immun.
Aktuell gilt die Demokratie nach wie vor als die beliebteste Regierungsform in Österreich. Ihre Umsetzung allerdings wird immer stärker bekrittelt. Die Bevölkerung ist erschöpft, unzufrieden, fühlt sich seit der Coronapandemie im Stich gelassen und ist von den politischen Entscheidungsträgern schlichtweg genervt. Die versprochene „Normalität“ nach der Pandemie ist nie eingetroffen. Eine Krise folgt der nächsten, und auch wenn viel davon international und damit außerhalb dessen steht, was die österreichische Regierung beeinflussen kann, richtet sich der Ärger dennoch gegen sie.
Entfremdung von der Politik
Das Bedürfnis nach Sicherheit kann derzeit nicht ausreichend erfüllt werden. Es gibt keinen Platz mehr für utopische Ideen in der Politik. Stattdessen machen sich Unsicherheit und Negativität breit und lösen den Wunsch nach der Rückkehr zu einem vergangenen Gefühl von Geborgenheit und Heimat im Sinne von Zugehörigkeit aus. „Damals“ schien einiges unkomplizierter. Manche Parteien bespielen diese Sehnsucht besser als andere, wobei dies keine Vorgabe an eine ideologische Richtung darlegt. Für eine solche gibt es kein Bedürfnis. Auf diese Weise wird verständlich, warum die Kategorien von rechts und links keine große Rolle mehr einnehmen.
Da ist man dann schon mitten in der Frage, wie es der österreichischen Demokratie geht. Die politische Kultur verändert sich derzeit mit ungewohnter Geschwindigkeit und in einer überraschenden Radikalität. Die Jugend empfindet sich politisch vom Parlament nicht mehr vertreten, unpolitisch ist sie deswegen ganz und gar nicht. Die Menschen mittleren Alters fühlen sich häufig ausgelaugt ob all der Herausforderungen im Alltag und wenden sich zum Teil ganz ab von der Politik. Die Älteren wiederum wählen nicht mehr so loyal wie früher. Quer durch alle Gesellschafts- und Bildungsschichten zeigt sich eine Entfremdung von der Politik oder vielmehr von den Politikern und Politikerinnen. Das führt dazu, dass man bereit ist, Personen oder Gruppen zu folgen, die zum Teil extreme Ansichten vertreten und deren Pläne zumindest eine Änderung des demokratischen Systems bedeuten könnten.
Das ist kein österreichisches Phänomen, wie die politische Stimmung etwa in Frankreich, den Niederlanden, in Deutschland sowie in den USA zeigt. In den Ländern der südlichen Hemisphäre geht man einen anderen Weg. Dort wird die Demokratie noch als Heilsbotschaft gesehen, und die Bevölkerung kämpft für die Befreiung von ihren Diktatoren. Nicht immer kommt sie damit durch, doch den Machthabern wird es immer schwerer gemacht. Bangladesch hat gezeigt, wie schnell eine jahrzehntelange bequeme Machtposition zu Ende gehen kann, wenn sich die Bevölkerung annähernd geeint gegen die Regierenden stellt.
In Europa hingegen droht der Populismus gegenüber den politischen Konzepten zu gewinnen. Konkrete Inhalte zählen derzeit weniger als das Versprechen, alles anders zu machen und jene abzulösen, mit denen man aktuell unzufrieden ist.
Bierpartei? Im Ernst?
Kurz vor den Nationalratswahlen steigt demgemäß die Nervosität nicht nur bei den Parteien. Die politischen Diskussionen ziehen sich von Stammtisch zu Stammtisch, in die Betriebe, Familien, und sie drängen sich zwischen Freunde. Die Hauptfrage ist dabei, ob es die FPÖ wirklich schaffen wird, stärkste Partei zu werden, und wenn ja, wie es dann weitergeht. Bundespräsident Van der Bellen lotet längst alle Möglichkeiten aus. Hans Kelsen hatte nie großes Vertrauen in die Politiker seiner Zeit. In der Verfassung verankerte er deshalb bewusst einen starken Bundespräsidenten und gewährte diesem bei der Beauftragung zur Regierungsbildung große Freiheit. Kein Bundespräsident hat diese bisher ausgenützt. Das könnte sich diesmal ändern, wenngleich politische Realitäten erfahrungsgemäß ihre eigene Dynamik entwickeln. Somit ist jede Vorhersage über potenzielle Koalitionen unseriös.
Eines aber steht schon jetzt fest: Diese Wahl ist in mehreren Aspekten besonders. Es ist die erste Nationalratswahl nach der Coronapandemie, die erste in einer Zeit der näher rückenden Kriege. Inflation, das abnehmende Vertrauen in die Wirtschaft, der immer spürbarere Klimawandel und andere Krisen beeinflussen die allgemeine Stimmung.
Das Vokabular des Populismus
Nicht zufällig werden viele Parteien zur Wahl antreten. Protest ist angesagt. Das wirft Stimmen auf den Markt. Neu für das politische System ist, dass Kleinparteien wie die KPÖ und die Bierpartei durchaus Chancen auf ausreichende Mandate haben, um in den Nationalrat einzuziehen. Sie könnten damit indirekt Koalitionsbildungen beeinflussen, indem sie der einen oder anderen Partei Stimmen wegnehmen. Der KPÖ schadet dabei die Last ihrer Geschichte kaum, weil sie auf soziales Engagement und auf Kandidaten wie von nebenan, die zugleich politisch gebildet sind, setzt. Die Bierpartei wiederum könnte nicht trotz ihrer politischen Unerfahrenheit und Quasi-Programmlosigkeit, sondern gerade deswegen gewählt werden. Sie stellt eine nahezu perfekte Projektionsfläche dar und profitiert nicht zuletzt davon, dass ihr Parteigründer viel Erfahrung mit den sozialen Medien hat und als Künstler genau weiß, wie man sich inszeniert. In Wahlkämpfen geht es zunehmend vor allem darum.
Die politische Kultur hat sich längst hin zu einer Social-Media-Kultur bewegt: Das bedeutet für den Wahlkampf knappe, leicht merkbare und auffällige Botschaften. Wahr sein müssen sie nicht unbedingt, solange sie die richtige Emotion treffen und so gestaltet sind, dass die Wähler und Wählerinnen das Gefühl haben, mit Likes davon zu profitieren, wenn sie diese teilen. Dann verselbstständigt sich der Erfolg, und die Social-Media-Nutzer übernehmen die wichtige und ansonsten teure Werbung. Die ständige Wiederholung tut dann das ihre. Irgendwann stellt sich selbst bei provokanten Themensetzungen ein Gewöhnungseffekt ein. Das Vokabular des Populismus verhängt sich in der Gesellschaft, wird zum Mainstream und sickert auch bei jenen durch, die gar keine potenziellen Wähler sind. Spätestens dann setzen sich auch andere Parteien auf das Thema, weil sie meinen, dass dies für sie hilfreich ist. Die Umsetzung davon gestaltet sich allerdings meist schwierig, weil Nachahmung kein Alleinstellungsmerkmal begründet.
Das Volk bleibt der Souverän – vorerst
Wurde die Technik der Emotionalisierung früher vor allem von Rechtsaußenparteien genützt, bedienen sich inzwischen Parteien aller politischen Richtungen derselben. Die Grenzen hin zu Verschwörungslegenden werden dabei zunehmend durchlässig, insbesondere auf Telegram und TikTok, wobei Letzteres zugleich politisch immer relevanter wird.
Die Demokratie wird auf Dauer nicht unbegrenzt viel davon aushalten können, die Meinungsfreiheit ebenso wenig. Letztlich entscheidet die Bevölkerung, wie es weitergehen wird, zumindest, solange sie sich bei ihren Wahlentscheidungen immer wieder für die Demokratie entscheidet. Für die politischen Parteien würde es sich auszahlen, etwas genauer hinzuhören, was die Bevölkerung braucht. Man könnte sie wesentlich mehr an politischen Prozessen partizipieren lassen. Polemik allein wird langfristig gesehen zu wenig sein. Für die Wählerinnen und Wähler wiederum kann die Empfehlung nur lauten, sich genau zu überlegen, wie und in welchem politischen System sie tatsächlich leben möchten. Das Wort „miteinander“ mag pathetisch klingen, politisch gesehen ist es allerdings kein unvernünftiges Konzept.
Dr. Daniela Ingruber ist Demokratie- und Kriegsforscherin und arbeitet am Institut für Strategieanalysen.
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