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Ein Zwischenruf

Den Netzausbau überdenken

Vor vier Jahren wurde – als Reaktion auf die Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima – in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie und der Ausbau einer nachhaltigen Versorgung mittels erneuerbaren Energien beschlossen. Über den richtigen Weg zu diesem Ziel wird seitdem gestritten. Kritikpunkte sind u.a. die steigenden Strompreise und die Frage, wie die durch Wind- und Wasserkraft gewonnene Energie zu den Verbrauchern kommt. Anmerkungen zu einem Kernthema unserer Volkswirtschaft und Gesellschaft.

Claudia Dalbert01.07.2015

Bei der Energiewende sind wir zum Erfolg verdammt. Das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig. Wenn wir es nicht schaffen, unseren CO2-Ausstoß gegenüber 1990 zu halbieren, werden wir die Erderwärmung nicht aufhalten. Die Lebensbedingungen auf dem gesamten Globus würden sich dramatisch verschlechtern. Es geht um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Deswegen müssen wir raus aus den klimaschädlichen fossilen Energieträgern; deswegen müssen wir die Wende hin zu 100 Prozent Erneuerbarer Energie schaffen, in den nächsten 20 Jahren für den Strombereich und in weiteren zehn Jahren auch bei Wärme und Verkehr.

Strom Sparen und speichern  

Doch brauchen wir dazu Hochleistungsstromtrassen, die den Windstrom vom Norden in die Industriezentren des Südens transportieren? Ich habe starke Zweifel! Sachsen-Anhalt ist bekanntermaßen kein Küstenland und hat eine energieintensive chemische Industrie. Bereits heute erzeugen wir gut zwei Drittel unseres Stromverbrauches aus Erneuerbaren Energien, primär aus Windkraftanlagen. Wir werden in den nächsten 20 Jahren schrittweise aus der Braunkohleverstromung aussteigen und uns zu 100 Prozent mit Erneuerbaren Energien versorgen können. Dazu müssen wir den  Energieverbrauch weiter konsequent senken. Die bessere Dämmung des Hausbestands spielt dabei neben modernen Technologien eine zentrale Rolle. Und wir müssen die Produktion Erneuerbaren Stroms weiter ausbauen. Bei gleichzeitigem Ersatz der jetzigen Windkraftanlagen werden wir etwa 20 Prozent mehr Anlagen brauchen als wir heute haben.

Auch Bayern oder Baden-Württemberg sollte gelingen, was dem kleinen Sachsen-Anhalt gelingen kann. Die Küstenländer im Norden gewinnen mit dem Export Erneuerbarer Energie ein interessantes Geschäftsfeld. Das ist nachvollziehbar. Aber das ist kein ausreichender Grund, mit den Milliarden der Stromkunden eine neue Infrastruktur durch die Wälder zu ziehen. In Spitzenzeiten sind die Stromnetze durch eine hohe Einspeisung Erneuerbarer Energie überlastet. Neue leistungsstarke Stromleitungen würden eine Entlastung darstellen. Das ist nachvollziehbar. Aber wäre es dafür nicht einfacher, in Spitzenzeiten den Erneuerbaren Strom nicht einzuspeisen, sondern zu speichern?

Strom ist speicherfähig. Interessant ist vor allem die Umwandlung in Gas, weil wir Gas gut speichern und mit Gas auch Wärme erzeugen und Mobilität gewährleisten können. Eine Utopie? Nein. Die Technik Power-to-Gas ist bekannt, aber noch ineffizient. 40 Prozent der Energie gehen bei der Umwandlung in Gas verloren. Da wäre doch ein Anfang mit dem Zuviel an Erneuerbarem Strom ein guter Startpunkt. Bei einer breiten Nutzung von Techniken geht deren Optimierung rasch voran, so dass sich eines Tages sogar eine Rückumwandlung in Strom rechnen könnte.

Die geplanten Hochleistungsstromtrassen sind wie eine Autobahn ohne Abfahrt, sie transportieren den Strom genau von A nach B, Abzweigungen sind nicht möglich. Doch wissen wir heute wirklich sicher, wo die energieintensiven industriellen Zentren in 50 oder 70 Jahren sein werden? Waren sie nicht vor 50 Jahren woanders als heute? Bei Autobahnen kämen wir nie auf eine solche Idee.  

Wenn es um die Schaffung eines echten europäischen Strommarktes der Erneuerbaren Energien als großes Integrationsprojekt ginge, würden mich Hochleistungsstromtrassen eher überzeugen, die z.B. den Sonnenstrom aus Griechenland zu uns transportieren. Sie würden mich auch dann mehr überzeugen, wenn sie auf bestehenden Stromtrassen aufsetzen würden.