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Titelthema

Der große Diplomat

Titelthema - Der große Diplomat
© Illustration: Brian Stauffer

Im Gegensatz zu Donald Trump beherrschte Henry Kissinger die hohe Staatskunst der Diplomatie. Einen wie ihn könnte die Welt gut gebrauchen.

Wolfgang Seybold01.03.2024

Prof. Dr. Henry Kissinger war mit einer überragenden Intelligenz gesegnet. Dies manifestierte sich schon auf der George Washington High School in New York, wohin die Familie Kissinger 1938 vor den Nazis geflohen war. Obwohl er wegen der angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie tagsüber in einer Bürstenfabrik arbeiten musste und deshalb nur die Abendschule besuchen konnte, erreichte er bald in allen Unterrichtsfächern eine Eins. Dies setzte sich auf der Universität von Harvard fort, wo er nach seinem Kriegseinsatz in der US Army in Deutschland dank eines Begabtenstipendiums studierte. Er brachte das seltene Kunststück zustande, in allen Fächern die Bestnote zu erzielen – das heißt in so unterschiedlichen Fächern wie Mathematik, Chemie, Philosophie, Französisch. Seine Magisterarbeit gehört zu den brillantesten in der 350-jährigen Geschichte der Universität von Harvard.

Diese Intelligenz, gepaart mit unbändigem Fleiß, verhalf ihm schon in jungen Jahren zu einem Lehrstuhl an dieser berühmten Kathedrale des Wissens. Seinen weiteren Aufstieg in die Politik verdankt er einer weiteren Gabe: seiner begnadeten Empathie, die ihn zu einem der erfolgreichsten Außenminister in der Geschichte der USA machen sollte.

Frieden schaffen in 34 Tagen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Henry Kissinger zum Kommandanten von Bad Kissingen ernannt. Nicht wenige seiner Untergebenen mit jüdischer Provenienz dürstete es danach, sich an den Nazideutschen zu rächen. Kissinger unterband dies mit den Worten: "Behandelt die Deutschen nicht so, wie ihr von den Deutschen nie behandelt werden wolltet." In diesem Satz offenbart sich die große Menschlichkeit Kissingers, der Schlüssel seines diplomatischen Erfolgs. So gelang es ihm, obwohl Jude, den Jom-Kippur-Krieg in 34-tägiger Pendeldiplomatie 1973 zu beenden. So lange war noch kein US-Außenminister an einem Stück den USA ferngeblieben. Obwohl Israel im Sechstagekrieg die Golanhöhen und weite Teile des Sinai erobert hatte, gelang es ihm, zwischen den zerstrittenen Nationen Israel, Syrien, Libanon und Ägypten Frieden zu stiften. Nach seiner Rückkehr bezeichnete ihn das Time-Magazin als "Außenminister des Jahrhunderts".

Henry Kissinger konnte zuhören, sich in die gegnerische Partei hineinversetzen. Damit schuf er Vertrauen. Darüber hinaus baute er Brücken. Er war es, der als erster die weltpolitische Bedeutung Chinas erkannte, das bis 1972 noch in einem weltpolitischen Dornröschenschlaf schlummerte. Kissinger erweckte diesen Riesen zum Leben, indem er Präsident Nixon 1972 veranlasste, mit China diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Vorangegangen war ein Geheimbesuch Kissingers bei Mao Tse-tung.

„Für Kaviar mache ich alles“

Mit welchem Tempo Kissinger die amerikanische Außenpolitik vorantrieb, zeigt sich auch daran, dass er im selben Jahr 1972 zu einem Geheimtreffen nach Moskau reiste, um die Russen zu bewegen, ihren Einfluss auf die Nordvietnamesen und China geltend zu machen, um den Vietnamkrieg endlich zu beenden. Außerdem wollte er den Versuch unternehmen, das atomare Wettrüsten zwischen der UdSSR und den USA zu beenden.

Kissinger wusste nur zu genau, dass Russland und China die inoffiziellen Kriegsparteien in Vietnam waren. Ohne deren Unterstützung hätten die Vietnamesen längst kapitulieren müssen. Vietnam war aus der Perspektive Russlands ein weiterer Dominostein in ihrer Zielsetzung der kommunistischen Weltrevolution. Die ganze Welt sollte kommunistisch werden. Dem wollten die USA in Vietnam Einhalt gebieten. Deshalb wurde dort so erbittert gekämpft – auch mit massiver Unterstützung des kommunistischen Chinas, das ebenfalls eine kommunistische Welt anstrebte. Ein Frieden in Vietnam war deshalb nur möglich, wenn diesem Russland und China zustimmten.

Als in Washington schließlich doch durchsickerte, dass Kissinger zu Geheimgesprächen in Moskau war, und er gefragt wurde, worum es gegangen sei, erwiderte er: "Für Kaviar mache ich alles." Das von Kissinger vorbereitete Gipfeltreffen in Moskau begann am 22. Mai 1972 und wurde am 26. Mai durch Unterzeichnung des Salt-1-Vertrages im grüngoldenen Wladimirsaal des großen Kremlpalasts beendet. Nach Unterzeichnung übergab Nixon den Parker-Füller, mit dem er unterschrieben hatte, aus Dank an Kissinger, dem es erstmals gelungen war, antiballistische Lenkwaffensysteme zu limitieren und die Entwicklung offensiver Lenkwaffensysteme für die nächsten fünf Jahre zu verbieten. Darüber hinaus wurden hinsichtlich des angestrebten Friedens in Vietnam substanzielle Fortschritte erzielt.

Am Ende dieser Moskau-Reise schrieb die Chicago Sun-Times: "Henry Alfred Kissinger hat aufgehört, ein Phänomen zu sein. Er ist eine Legende geworden, und dieses Wort wählt man nicht leichtsinnig. Er ist der vollkommene Kosmopolit, bodenständig, ohne anzugeben, selbstbewusst, ohne Selbstgefälligkeit. Der Mann, dem man nachsagt, ein Frauentyp zu sein, hat zweifellos allen trockenen, mit Eulenaugen ausgestatteten, übergewichtigen und mittelalten Junggesellen des Landes Hilfe geleistet und Hoffnung gegeben."

Im Jahr 1973 gelang Kissinger zudem Historisches, indem er Breschnew veranlasste, den USA einen Staatsbesuch abzustatten.

Dies blieb nicht sein einziger historischer Fußabdruck im Jahre 1973: Er brachte die Genfer Friedenskonferenz zustande, bei der erstmals Juden und Araber an einem Tisch saßen. Und es war Henry Kissinger, dem nach endlosen Geheimverhandlungen in Paris 1973 ein Friedensschluss mit Vietnam gelang. Hierfür wurde er nicht nur mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Auch die englische Königin Elisabeth ehrte ihn mit einem Staatsdinner im Buckingham Palast, zu dem Henry seine Eltern mitnahm. Seine Mutter hatte die Ehre, neben Lady Di zu sitzen und bemerkte anschließend: "Sie ist ja noch viel hübscher als auf Fotos."

Deutschland im Herzen

Zeit seines Lebens blieb Henry Kissinger seinem Geburts- und Heimatland Deutschland eng verbunden. Dies belegt nicht nur die Tatsache, dass er seinen fränkischen Akzent – im Gegensatz zu seinem Bruder – nicht nur beibehielt, sondern sogar ins Englische übertrug. Obwohl die Wunden seiner Flucht vor den Nazis noch immer nicht verheilt waren,verlängerte er nur sieben Jahre nach seiner Flucht seinen Aufenthalt als Besatzungssoldat freiwillig bis 1947. Mit Bundeskanzler Helmut Schmidt verband ihn eine enge Freundschaft,  die darin gipfelte, dass er diesem eine Grabrede hielt. Nicht alle Kanzler der Bundesrepublik genossen seine Wertschätzung. Nach den Tonbandaufzeichnungen des Weißen Hauses ist folgender Dialag zwischen ihm und Nixon überliefert:

Nixon: "Wie sieht es mit dem Rachen von Brandt (der gerade eine Stimmbandoperation hinter sich hatte) aus?"

Kissinger: "Leider ist die Sache nicht bösartig. Nun, es ist schrecklich, so etwas zu sagen."

Nixon: "Er ist ein Dummkopf."

Kissinger: "Er ist ein Dummkopf. Und er ist gefährlich."

Nixon: "Tja, ich meine, er ist gefährlich, da muss ich ihnen wirklich zustimmen."

Über Helmut Kohl schrieb Kissinger im Juni 2017 in der Zeit voller Hochachtung: "Helmut Kohl hat sein Land durch die Wirren des Kalten Krieges gesteuert bis hin zur Vereinigung der Nation und zur wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas, wobei er stets auf die Stärkung der transatlantischen Beziehungen bedacht war."

Zeit seines Lebens nahm er intensiv am politischen Leben der Bundesrepublik teil. So rief er beispielsweise Angela Merkel an, als diese von Helmut Kohl als erste Ostdeutsche in sein Kabinett berufen wurde. Er veranlasste seine Eltern bereits 1953 zu einem Besuch des zerbombten Nachkriegsdeutschland. Er selbst hatte seine Heimat bereits 1952 bereist. Stolz nahm er die Ehrungen seiner Heimatstadt Fürth und der Universität Erlangen zum Ehrenbürger und zum Doktor h.c. an und bestand darauf, dass seine ganze Familie an diesen Ehrungen teilnahm. Sogar zu seinem 100. Geburtstag ließ er es sich trotz gesundheitlicher Probleme nicht nehmen, zu einem großen Festakt, den die Stadt Fürth für ihn ausrichtete, in seine Heimatstadt zu reisen.

Henry Kissinger hat sich trotz seiner von der Nazidiktatur schwer belasteten Kindheit stets zu seiner deutschen Herkunft bekannt. Die deutschen Geisteswissenschaftler, allen voran Immanuel Kant, nahmen in seinen wissenschaftliche Werken breiten Raum ein. Und obwohl ihm die Nazis sogar den Besuch im Stadion seines geliebten Herzensvereins Greuther Fürth verboten hatten, ließ er sich zeitlebens die Spielergebnisse "seiner" Fürther übermitteln. Ein größeres Zeichen seiner Heimatverbundenheit ist kaum denkbar.


Dr. Wolfgang Seybold ist Rechtsanwalt und seit 40 Jahren Gastgeber des deutsch-amerikanischen Dinners am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz mit Gästen wie Angela Merkel, John McCain, Hillary Clinton und Henry Kissinger. 2006 erhielt Dr. Seybold in Anerkennung seiner Verdienste um die deutsch-amerikanische Freundschaft den Orden Medal of Distinguished Service for the United States of America.


Buchtipp

 

Wolfgang Seybold

Henry Kissinger – Die Biografie

Finanz-Buch-Verlag 2023,

176 Seiten, 18 Euro

 

Wolfgang Seybold
Dr. Wolfgang Seybold ist Rechtsanwalt und seit 40 Jahren Gastgeber des deutsch-amerikanischen Dinners am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz. 2006 erhielt er in Anerkennung seiner Verdienste um die deutsch-amerikanische Freundschaft den Orden „Medal of Distinguished Service for the United States of America“.