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Titelthema

Ein Millionär gegen die Elite

Titelthema - Ein Millionär gegen die Elite
© Brian Stauffer

Trump ist nicht der Erfinder des modernen Populismus, sondern nutzt 90 Jahre alte Mittel, um sich als Kämpfer gegen das Establishment zu inszenieren.

Bernd Greiner01.03.2024

Das ist bei uns nicht möglich, so nannte Sinclair Lewis seinen 1935 publizierten Roman über die USA am Abgrund einer Despotie. Es war ein ironischer Titel, denn Amerikas erster Nobelpreisträger für Literatur hielt just das Gegenteil für möglich: dass die Vereinigten Staaten jederzeit zur Beute eines Despoten werden könnten. Sein Protagonist, ein Senator namens „Buzz“ Windrip, geht im Wahlkampf mit der Behauptung hausieren, allein im Besitz der Wahrheit zu sein und im Unterschied zu allen anderen wirklich zu wissen, wer das Volk ist, was es will und braucht. Er verspricht, diesem Volk zurückzugeben, was ihm genommen wurde, er droht, dass aus dem Volk ausgeschlossen wird, wer sich nicht fügt. Und er gibt den Feuerwehrmann, „der ein hübsches junges Mädchen aus einem brennenden Haus rettet und sie die Leiter herunterträgt, mag sie noch so reizend mit den manikürten Fingernägeln kratzen“. Windrip siegt über den amtierenden Präsidenten Franklin D. Roosevelt – nicht trotz, sondern weil seine Anhänger wussten, dass er „platt, fast ungebildet, ein oftmals überführter Lügner und seine Weltanschauung nahezu idiotisch war“. Aber das spielt keine Rolle, solange er den Gebildeten, Arrivierten und Einflussreichen in die Suppe spuckt, allen, denen sich das verwaschene Etikett „Elite“ ans Revers heften lässt.

Unangreifbar und skrupellos

Die Pointe dieser Erzählung war ihre Nähe zur Realität. Die Romanfigur Windrip kommt wie der Doppelgänger von Huey Long daher, ein damals ebenso berühmter wie berüchtigter Gouverneur von Louisiana. Dessen Botschaft: Im Kampf gegen politische Gegner nehme ich mir alles heraus, es gibt keine Regeln, außer denen, die ich selbst gemacht habe. Ich zeige allen, wer der wahre Boss ist. Als „Diebe“, „Ungeziefer“ und „Läuse“ bezeichnete Long alle, die ihm lästig waren, er versprühte Hass, Zorn und Wut, log in einem fort, lästerte, pöbelte und polterte, was das Zeug hielt, er schmähte und verspottete andere und machte sie auf jede erdenkliche Art nieder, suhlte sich in seiner Arroganz, Niedertracht und Bösartigkeit, er genoss es, als Mann ohne jeden Anstand zu gelten, als Unangreifbarer mit dem Image des Alleskönners, erfolgreich, weil skrupellos, als jemand, der nach Belieben mit den dunklen Seiten der menschlichen Seele spielen kann und dabei als Lichtgestalt erscheint – oft mit rosa Krawatte in weißen Seidenanzügen, immer als Liebhaber teuersten Whiskeys und aufreizender Frauen.

Je toxischer, desto besser

Aus diesem Gebräu destillierte Gouverneur Long eine neue Grammatik des Politischen: Empörung ist kein Mittel der Politik mehr, sondern alle Politik wird auf Empörung reduziert, man muss Gegner und Konkurrenten derart ausdauernd ins Lächerliche ziehen, bis auch ihre Ämter in Verruf geraten und reif für eine Übernahme oder Liquidation sind. Dialog? Streit um bessere Argumente? Ringen um gemeinsame Lösungen? Nichts von alledem zählte, keine Selbstbindung, kein ziviler Mindeststandard. Die Raserei so lange zu schüren, bis möglichst viele möglichst rasend waren, darauf kam es an. Anders gesagt: Politische Programme bemessen sich nicht an Seriosität und Machbarkeit, sondern an ihrer Dosierung als Aufputschmittel: je toxischer, desto besser.

Als Systemsprenger bezeichnet zu werden, klang in Huey Longs Ohren wie eine Auszeichnung. 1928 zum Gouverneur gewählt, hebelte er die politischen Institutionen Louisianas derart aus, dass von Gewaltenteilung faktisch keine Rede mehr sein konnte – so gefügig war das Parlament, derart eingeschüchtert die Justiz und dermaßen willfährig die Bürokratie. Die Personalpolitik hatte es ihm besonders angetan. Nicht genug damit, dass er Unpassende der Reihe nach entließ und so gut wie alle Stellen, entlegene Gemeinden inklusive, mit Gefolgsleuten besetzte. Nach seiner Wahl zum US-Senator im Jahr 1932 machte Long obendrein einen Strohmann, den Vorgaben seines Herrn sklavisch ergeben, zum neuen Gouverneur. Kein Bundesstaat, darin waren sich bereits die Zeitgenossen so gut wie einig, hatte sich je auf eine derart abschüssige Bahn in eine Diktatur begeben. Auf sein bei Putschisten entlehntes Verständnis von Staat und Verfassung angesprochen, bemühte sich Long noch nicht einmal um ein Dementi. „Jetzt bin ich die Verfassung hier.“ Wie weit er noch gegangen wäre, ist Spekulation; 1935 starb Huey Long im Kugelhagel eines von politischen Rivalen gedungenen Mörders.

Ob 90 Jahre später mit Donald Trump ein Wiedergänger in Übergröße das Land heimsuchen wird, weiß niemand, Geschichte ist bekanntlich das Ensemble des Unvorhergesehenen. Doch selbst wenn er scheitern sollte, vielleicht an seiner eigenen Megalomanie, vielleicht wegen der Urteile beherzter Richter, besteht kein Grund zur Entwarnung. Es kann, um mit Sinclair Lewis zu sprechen, jederzeit mit anderem Personal passieren, weil Figuren wie Long oder Trump nicht die Ursache von Amerikas Problemen sind, sondern deren Ausdruck.

Seit den 1930er Jahren zirkuliert ein Gift im politischen Kreislauf der USA, das Gift des modernen Populismus. Wer damit hantiert, plädiert für das Führerprinzip. Der Bürger als politischer Gestalter hat in diesem Weltbild keinen Platz, die Stelle des mündigen Teilhabers bleibt leer. Ins Rampenlicht rückt stattdessen der Volkstribun, Seher und Vollstrecker in einem. Dieser lebt von der Anmaßung, das Wahre zu repräsentieren, er setzt nicht auf Partizipation, sondern auf blinde Gefolgschaft. Und er spielt zugleich mit dem Mythos des zähen Individualisten, des amerikanischen Übermanns, der ganz auf sich allein gestellt Unmögliches leistet. Die Resonanz ist seit Jahrzehnten verblüffend. Agitatoren von Huey Long bis Donald Trump fischen nicht im Reservoir der Vergessenen, Abgehängten und Resignierten. Mittelständler, Arbeiter und selbstständige Farmer sind ihre Klientel, Wähler, die etwas zu verlieren haben, die nicht abgehängt werden wollen und zugleich von den Segnungen des Kapitalismus überzeugt sind. Letzteres erklärt, warum immer nur über unfähige Personen geschimpft, aber nie über ökonomische Strukturen geredet wird, warum der Scheinwerfer auf individuelle Fehlleistungen und nicht auf systemische Mängel gerichtet ist.

Machtkampf mit fast allen Mitteln

Die Fixierung auf Eliten ist eine elementare Zutat dieses Giftes. Eliten sind Feinde, denen sich alles zuschreiben lässt: dass sie für Leben und Los einfacher Bürger kein Gespür haben; dass sie die Ansprüche von Minderheiten über die Bedürfnisse der Mehrheit und Eigennutz über Gemeinnutz stellen; dass sie andere bevormunden und gängeln, sich folglich am uramerikanischen Grundsatz der Gleichheit vergreifen. Von ihnen muss man sich das Land zurückholen, sie haben einen gemeinschaftlich begangenen Diebstahl zu verantworten und sind unterschiedslos wie Schuldige zu behandeln. Hier das ehrliche Volk, dort die Politiker, Intellektuellen, Bürokraten, die Parasiten jedweder Couleur: „die“ gegen „uns“, „wir“ oder „sie“. Darin nur einen Kulturkampf zu sehen, wäre ein Missverständnis. Was mit Huey Long begann und bei Donald Trump seinen vorläufigen Höhepunkt findet, ist ein rabiater Machtkampf mit den Mitteln kultureller Ausgrenzung und dem Ziel, staatliche Institutionen von „falschen“ Repräsentanten des Volkswillens zu befreien und „richtige“ an ihre Stelle zu setzen – nicht punktuell, sondern vollständig und vor allem dauerhaft.

Die Defizite sind gewollt

Dass die Rechnung aufgeht und das Gift wirkt, geht aber keineswegs nur auf das Konto falscher Propheten. Es hat auch mit der Immunschwäche, besser gesagt mit der Sklerose des politischen Systems in den USA zu tun. Ausgerechnet ein Land, das in allen anderen Bereichen keinen Stillstand duldet, das in Wirtschaft und Kultur von ständiger Ungeduld getrieben wird, das lieber keinen Stein auf dem anderen lässt als behutsam zu renovieren – ausgerechnet dieses Land leistet sich einen politischen Anachronismus sondergleichen. Regularien aus dem 18. Jahrhundert werden mit religiöser Inbrunst verteidigt: ein Wahlrecht, das dem Sieger alles zuschanzt und Stimmen für Verlierer komplett tilgt; eine Prozedur zur Kür des Präsidenten, bei der Kandidaten durchfallen können, obwohl eine Mehrheit der Wahlberechtigten für sie votiert hat; eine systematische Bevorzugung dünn besiedelter Landstriche gegenüber städtischen Zentren. Dies und vieles mehr ist bekannt, aber daran zu rütteln, scheint ebenso aussichtslos wie der Versuch, an der Zusammensetzung des Kongresses etwas zu ändern, einer Volksvertretung, die mittlerweile zu einem Gremium von Millionären mutiert ist.

Die Defizite, das zeigt der Blick zurück, sind gewollt. Sie wurzeln in einer Phobie, die bereits in der Debatte um die Verfassung in den 1780er Jahren eine zentrale Rolle spielte. Zu viel Bürgerbeteiligung, so die damalige Warnung, kann Leidenschaften entfachen und in Kontrollverlust münden. Um zu verstehen, warum dritte Parteien jenseits von Demokraten und Republikanern nie eine Chance bekamen, sollte man hier ansetzen. Denn ihr Scheitern erzählt eine viel größere Geschichte. Sie handelt von nicht eingelösten Hoffnungen und der Erfahrung, dass die zahllosen, weithin verstreuten Initiativen an der Basis, die viel besungene Politik an den „Graswurzeln“, eben kein Ersatz sind, wenn es um das Große und Ganze geht. Dass ausgerechnet Hetzer diese Leerstelle zu nutzen wissen und im Namen von mehr Demokratie selbige aushöhlen, gehört zu den bitteren Lektionen im politischen Leben der USA. Wie es scheint, haben Schriftsteller wie Sinclair Lewis dafür einen schärferen Blick als manche Historiker und Sozialwissenschaftler.

Bernd Greiner
Prof. Dr. Bernd Greiner ist Gründungsdirektor und Mitarbeiter des Berliner Kollegs Kalter Krieg. Der Historiker, Politikwissenschaftler und Amerikanist lehrte von 1997 bis 2018 am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg.

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