Einsatz im Corona-Abstrich-Zentrum
Im Distrikt 1830 wollen Rotarier Berichte über Tätigkeiten und Erlebnisse in der Corona-Krise veröffentlichen. Hier einige Eindrücke von einem Einsatz in einem speziellen medizinischen Zentrum.
Volker und Conni Berner (Ärztin)berichten von ihrem Einsatz in einem Corona-Abstrich-Zentrum (kurz CAZ) Ende März:
"Wir haben im Landkreis zwei Corona-Abstrich-Zentren (CAZ) – eines an der Messe in Leinfelden-Echterdingen und das andere in Nürtingen. Sie wurden vom Landkreis eingerichtet, um gezielt eine hohe Durchtestung der Betroffenen machen zu können und die Praxen beziehungsweise Notfallambulanzen der Kliniken zu entlasten und auch die Ansteckungsgefahr für das medizinische Personal zu verringern.
Die organisatorische Leitung liegt bei den Maltesern, die Besetzung der Zentren erfolgt ausschließlich (!) ehrenamtlich. Vorort muss immer mindestens ein Arzt sein, der in der Regel eine Mitarbeiterin (Medizinische Fachangestellte) mitbringt. Zusätzlich sind noch freiwillige Helfer der Malteser vor Ort und gegebenenfalls ein weiterer Arzt. Teilweise waren zwei Teams vor Ort, um den Ansturm bewältigen zu können. Die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag von 10 bis 19 Uhr, teilweise zusätzlich am Samstag.
Die Zufahrt in das Zentrum ist ausschließlich mit dem Auto möglich und mit einem speziellen Code, der täglich geändert wird. Dieser Code wird im Vorauswahlverfahren durch Hausärzte, die Rettungsleitstelle (über die Tel. Nr. 116 117) oder das Gesundheitsamt vergeben. Den Code kontrolliert an der Zufahrt ein Mitarbeiter des Sicherheitspersonals.
Die Limitierung der Abstriche bezieht sich vor allem auf die Laborkapazitäten. Das bedeutete in unserem Fall, dass pro Corona-Abstrich-Zentrum ca. 200 Abstriche/Tag durchgeführt werden "dürfen", damit ist das Labor mit der Auswertung komplett ausgelastet.
Die ärztliche Aufgabe besteht zum einen darin, zunächst zu entscheiden, wer überhaupt einen Abstrich benötigt. Die Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sind mittlerweile sehr streng und bedeuten im Grunde, dass nur derjenige abgestrichen wird, der zum einen typische Symptome aufweist und zum anderen aber auch nachgewiesenen Kontakt ("face to face" und das mindestens 15 Minuten lang) mit einer Covid-19-positiv-getesteten Person hatte. Alle anderen müssen im Rahmen der Triage nach der Einfahrt wieder weggeschickt werden.
Allerdings hat man kürzlich die Kriterien aufgrund der schwereren Verlaufsberichte der Erkrankungen in den Kliniken dahingehend geändert, dass Menschen mit Symptomen und zusätzlicher Atemnot auf jeden Fall abgestrichen werden, auch ohne nachweisbaren Kontakt mit Corona-positiven Menschen.
Weiterhin werden die Menschen durch den Arzt nochmals befragt, über Symptome, Kontakte etc. und es erfolgt die Aufklärung über die Vorgehensweise sowie die zwingende Verhaltensweise nach erfolgtem Abstrich.
Das bedeutet, dass jeder, der abgestrichen wird, ab sofort eine 14-tägige Quarantäne einzuhalten hat, auch wenn das Ergebnis negativ ausfällt. Denn ein Kontakt mit einem Covid-19-positiven Menschen kann bis zu zwei Wochen danach noch eine positive Virensituation hervorrufen, auch völlig ohne Symptome. Genau dieses Vorgehen war für viele Menschen immer noch überraschend, damit besteht natürlich auch ein Arbeitsverbot.
Ein negativer Test ist aber auch keine Garantie, denn bei weiteren Kontakten besteht nach wie vor Ansteckungsgefahr! Es bedeutet nicht: einmal negativ – immer negativ! Auch wenn genau das von vielen sozusagen erhofft wird…
Die Menschen müssen im Auto sitzen bleiben, um die Ansteckungsgefahr für die Mitarbeiter im Corona-Abstrich-Zentrum so gering wie möglich zu halten. Die Abstrichentnahme an sich ist sehr unangenehm. Es muss tief im Rachen abgestrichen werden sowie ebenfalls tief in beiden Nasenhöhlen; das bringt so manchen zum Würgen und Husten und kleine Kinder zum Weinen.
Ein großer Teil der Arbeit besteht aus Verwaltung. Alle Probenröhrchen müssen personalisiert werden, dazu kommen die notwendigen Scheine für das Labor mit Telefonnummern, Listen für die Abstrich-Zentren und so weiter.
Volker und ich waren an einem Montag früh bei Sonne, aber sehr kalten Außentemperaturen um die 0 Grad gestartet Richtung Flughafen. Früh genug, um noch eingewiesen werden zu können, da wir nicht so ganz wussten, was uns erwarten wird. Wir waren um 9.30 Uhr da und es standen schon eine ganze Anzahl Autos in der Warteschlange.
Ein sehr netter Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hat uns eingelassen und den Parkplatz zugewiesen. Es sah alles irgendwie eigenartig aus. Ein großer Parkplatz, umfunktioniert mit vielen Warnhütchen und Absperrbändern, wie die Warteschlangen am Flughafen vor der Sicherheitskontrolle – nur eben in groß, es mussten ja Autos durch.
Die "Abstrichzentrale" bestand aus einem kleinen provisorischen Zeltpavillon und drei Containern. Einer diente als Lager, der nächste als kleiner Aufenthaltsraum und der dritte war das Büro mit Umkleideraum – und welch Freude, dort gab es tatsächlich einen kleinen Heizkörper. Wenn man direkt davor stand, konnte man seine Hände aufwärmen.
Es war an diesem Märztag bitterkalt, denn trotz der Sonne pfiff der Wind durch diesen offenen Pavillon. Wir waren dort insgesamt zu fünft. Eine feste Mitarbeiterin der Malteser kümmerte sich um Organisation und Logistik und wies uns ein. Wir, das waren noch eine weitere Ärztin, die gerade im Erziehungsurlaub ist und sich freiwillig gemeldet hatte und jeden (!) Tag hier arbeitete – und sie leistete hervorragende Arbeit in der Vorauswahl. Dann war da noch ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Malteser, der praktisch auch ständig freiwillig kam, denn als Auszubildender ist er derzeit von seinem Arbeitgeber wegen Corona freigestellt. Und nun eben Volker und ich… wir waren eine nette Truppe, unkompliziert und jeder fand schnell seine Tätigkeit im Team.
Wir starteten vor dem eigentlich offiziellen Start, da sich die Autos mittlerweile an der Ampel zurückstauten und dies zu Verkehrsbehinderungen führte. Miri machte Triage, Volker stricht ab, Tanja, Manu und ich machten zusammen den Verwaltungsakt, der sehr aufwendig ist und hohe Konzentration fordert.
Wir standen unter dem Pavillon und es war zwar sonnig, aber der Wind blies durch alle Ritzen. Wir waren in unserer Schutzausrüstung mit Kittel, Haube, Mundschutz und Handschuhen aber gut ausgerüstet.
Das Procedere lief so: Das erste Auto fährt vor bis zum Pavillon und der abstreichende Arzt geht zum Auto. Unter dem Pavillon sind provisorische Schreibtische aufgebaut mit dem gesamten Material und den mobilen Lesegeräten. Alle Arbeiten laufen Hand in Hand.
Jeder Betroffene musste seine Versichertenkarte und den Personalausweis abgeben. Das diente dazu, dass auch die richtigen Personen mit der korrekten Adresse erfasst wurden. Die Versichertenkarte wurde in ein mobiles Kartenlesegerät eingelesen, am Drucker wurden die Etiketten für den Laborschein ausgedruckt. Nun musste der Laborschein damit beklebt, die Telefonnummer desjenigen eingetragen werden und zusätzlich wurden für jeden Patienten die zugehörigen Aufkleber mit den Strichcodes aufgeklebt. Dieser Strichcode kam auch auf das Abstrichröhrchen und beides zusammen in eine Labortüte. Diese wurde verschlossen und kam dann wiederum in eine "Corona-Tüte", in der insgesamt jeweils zehn Tüten gesammelt wurden. Dazu kam ein Strichcode auf eine Liste, auf der ebenfalls Name, Geburtstdatum, Hausarzt und Telefonnummer eingetragen wurden – alles per Hand… Wir baten die Menschen möglichst Handy-Nummern anzugeben, da die Info dann per SMS verschickt werden konnte, das erleichtert die Arbeit im Labor ganz erheblich. Die Proben wurden jeden Tag gegen 14 Uhr und 19 Uhr vom Fahrer des Labors abgeholt.
Das weitere Geschehen: Üblicherweise erhält der Hausarzt ebenfalls einen Befund. Bei positivem Test werden diejenigen zusätzlich durch das Gesundheitsamt informiert und erhalten dabei auch nochmals genaue Verhaltensinstruktionen. Gleichzeitig wird dann durch das Gesundheitsamt versucht, die Ansteckungsketten herauszufinden.
Wir haben an diesem Tag insgesamt 120 Abstriche durchgeführt, 100 in der Zeit bis 14 Uhr und die restlichen 20 sind vereinzelt im Laufe des Nachmittags eingetrudelt.
Die Menschen waren durchwegs nett und verständnisvoll, ein Teil wirkte auch richtig krank. Viele haben sich bei uns für den Einsatz bedankt, nur wenige waren stoffelig… Ein älterer Herr kam zu Fuß und mit der S-Bahn, was natürlich entgegen aller Regeln war, aber da er Symptome hatte, wollten wir ihn nicht wegschicken und haben ihn abgestrichen, aber auf die Verhaltensregeln deutlich hingewiesen.
Einen deutlich erhöhten Aufwand bedeuteten Patienten, die keine Versichertenkarte haben, denn es mussten alle Daten per Hand aufgenommen werden, und in die verschiedenen Listen eingetragen werden.
Erstaunlicherweise kamen auch Menschen ohne Versichertenkarte und ohne Ausweis. Manche hatten ein Foto nur der Vorderseite ihres Ausweises (die Adresse steht aber auf der Rückseite…) auf dem Handy, das sie natürlich dabei hatten. Um die Verzögerungen nicht ins Unermessliche zu steigern, haben wir hier die Adresse aus dem Ausweis der Angehörigen aufgenommen und den Hinweis gegeben, dass sie eine Privatrechnung erhalten werden und dann selber bei der Gesetzlichen Krankenkasse die Erstattung beantragen müssen.
Genauso gab es Autos, in denen die ganze Familie saß, wobei aber nur Einer Symptome für einen Abstrich hatte. Viele dachten wohl: "Wenn wir schon da sind, könnten doch einfach mal alle abgestrichen werden."
Es gab schon ein paar Kuriositäten, über die man den Kopf schüttelt oder einfach drüber lachen kann. Insgesamt waren auch sehr viele jüngere Menschen da und auch hier welche, die richtig krank wirkten. Den Vormittag hindurch waren wir ständig beschäftigt, die Wartezeiten waren aber nicht mehr so lange, wie sie wohl zu Beginn der Abstrichzentren waren. Am Nachmittag waren die Menschen alle sehr erstaunt, da keine Wartezeit mehr bestand, sie sich aber alle auf längere Standzeiten eingerichtet hatten.
In den Leerlaufzeiten haben wir Interessantes von den Maltesern erfahren. So waren am Anfang an einem Tag über 800 (!) Autos zum Abstrich da, es dauerte bis nachts um 22 Uhr, bis alles abgearbeitet war. Die Wartezeiten waren teilweise bis zu fünf Stunden und dabei gab es auch wütende und unverschämte Menschen. Es wurde in zwei Teams gearbeitet, ohne Pause und wie wir uns gut vorstellen können, bis zur vollkommenen Erschöpfung der Diensttuenden.
Da die Labore hier vollkommen überfordert waren, dauerte die Auswertung der Abstriche bis zu einer Woche. Derzeit geben wir einen Zeitraum von ca. 72 Stunden bis zu 5 Tagen an, um die Erwartung der Menschen etwas zu dämpfen…
Aber auch hier gab es schöne Erlebnisse und viel Zuspruch. Immer wieder gab es Spenden für Mittagessen, an unserem Dienst-Tag hatte die Feuerwehr Leinfelden Pizzen und Salat vorbeigebracht. Schöne Gesten, die Anerkennung spüren lassen.
Als wir uns um 19 Uhr verabschiedeten, waren wir komplett durchgefroren. Die Malteser-Mitarbeiter mussten noch alles aufräumen, in den Container verstauen und desinfizieren, damit am nächsten Morgen wieder alles rechtzeitig und effizient anlaufen kann.
Im Nachgang muss ich gestehen, dass diese ganze Aktion mir schon deutlich vor Augen geführt hat, dass wir uns wirklich in einer Ausnahmesituation befinden. Die Schlangen an Autos, das provisorische Diagnostikzentrum, die Menschen mit großer Unsicherheit und teilweise Angst, all das ist eine völlig neue Situation – zusätzlich zum kompletten Erliegen unseres sozialen Lebens.
Die Berichte aus den Kliniken, den Intensivstationen und den Untersuchungsbefunden zeigen, wie ernst diese Erkrankung ist, und das natürlich vor allem bei Menschen mit Risikoprofil. Aber es liegen auch junge, bislang völlig gesunde Patienten beatmet auf den Intensivstationen. Das größte Problem ist nach wie vor, dass wir keine adäquate Therapiemöglichkeit haben, wir können immer nur unterstützende Maßnahmen einleiten.
Aus diesem Grunde nochmals mein Hinweis. Das Einzige was jeder Einzelne von uns aktiv tun kann, ist sich und andere zu schützen. Wir müssen Kontakte vermeiden. Wir müssen Zeit gewinnen. Wir hoffen alle auf die Wissenschaftler, die mit Hochdruck arbeiten, damit wir in naher Zukunft suffiziente Therapiemöglichkeiten haben und Prophylaxe mit Impfungen betreiben können.
In diesem Sinne bleibt gesund und bleibt in Verbindung, denn wir freuen uns auf ein Wiedersehen und dann können wir uns auch alle endlich wieder umarmen!"