Münchner Sicherheitskonferenz
"Es war nicht gerade nur freundliche Sprache, die da zu hören war"
Hans Christoph Atzpodien hat als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie an der Münchner Sicherheitskonferenz teilgenommen. Von ihr gehen wichtige Signale aus, erklärt Atzpodien nachfolgend im Gespräch. Von besonderem Interesse war für ihn die Rede des chinesischen Vertreters.
Der Krieg in der Ukraine, die Spannungen zwischen den USA und China sowie weitere Bedrohungspotenziale – Europa steht vor großen Herausforderungen und damit auch die Rüstungsindustrie. Hans Christoph Atzpodien ist überzeugt, Deutschland muss eine Führungsrolle innerhalb Europas übernehmen, die USA als starker Partner werden aber weiter gebraucht.
Nach fast einem Jahr Krieg ist US-Präsident Joe Biden in die Ukraine nach Kiew gereist. Wie wichtig sind solche symbolhaften Besuche?
Ich denke, dass die sichtbare Unterstützung der Ukraine wichtig ist. Das ist in der jüngeren Vergangenheit auf verschiedenste Weise geschehen. Es gab sowohl Besuche im Land selbst als auch sehr nachdrückliche Unterstützungsbekundungen auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Also keine wertlose Symbolpolitik?
Nein, keineswegs. Hier zeigt sich, dass die Länder des Westens an der Seite der Ukraine stehen. Das hat in sich schon mal eine Bedeutung. Präsident Biden hat ja nochmals bekräftigt, ähnlich wie andere Staats- und Regierungschefs, dass die Ukraine unterstützt wird, solange es nötig ist. Das wurde durch den Besuch nun einmal mehr veranschaulicht.
Am Wochenende fand die Münchner Sicherheitskonferenz statt. Für mich war kein Signal erkennbar, was von ihr ausgeht. Täuscht der Eindruck?
Der täuscht absolut. Es waren viele Signale erkennbar. Nicht von ungefähr sprach sogleich zu Beginn per Video Präsident Selenskij, gefolgt von einer sehr emotionalen Rückschau auf die humanitären Tragödien der letzten zwölf Monate. Es gab aber auch einen zentralen Themenkomplex, der sich dem "globalen Süden" widmete, also den Schwellenländern Afrikas und Asiens. Dann gab es einen Themenblock, der sich mit China beschäftigt hat. Das war im Übrigen ein kurzer, aber sehr interessanter Themenblock. Darüber hinaus gab es viele Foren, die sich mit Spezialthemen beschäftigt haben: Wie stellen wir uns in Europa angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine auf? Das hat einen großen Bereich eingenommen, nicht nur im Plenum, sondern auch in anderen Formaten. Zudem gab es auch viele einzelne Länderschwerpunkte bei den Veranstaltungen. Insgesamt waren alle Panel sehr hochrangig und kompetent besetzt, oft von Ministerpräsidentinnen und -präsidenten oder Fachministern, bei dieser Sicherheitskonferenz erstmals immer paritätisch mit Männern und Frauen, worauf der neue Leiter der Konferenz, Botschafter Dr. Heusgen, besonders hinwies. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist sehr stark aufgegliedert in unterschiedlichste Formate, die in verschiedenen Räumen des Bayerischen Hofes abgehalten werden. Es gab ein gutes Programm. Man müsste sich als Teilnehmer eigentlich teilen können, aber das kann man leider nicht, so dass man vor Ort immer nur einen kleinen Ausschnitt der Geschehnisse selbst wahrnehmen kann.
Auffällig war, dass Macron und Scholz bei der Rede des jeweils anderen auf der Sicherheitskonferenz den Saal verließen. Sieht so Geschlossenheit des Westens aus?
Das möchte ich nicht in dieser Weise bewerten. Auf der Konferenz finden nicht nur viele Nebenforen, sondern auch unzählige bilaterale Gespräche statt, die diese Zusammenkunft für die anwesenden Politiker besonders wertvoll machen. Diese vollziehen sich dann in den oberen Etagen des Bayerischen Hofes. Die anwesenden Politiker sind hierdurch sehr eng getaktet. Daher ist es immer weniger üblich, dass man sich gegenseitig im Plenum zuhört. Dies galt im Übrigen auch für andere herausgehobene Persönlichkeiten wie die US-Vizepräsidentin Kamala Harris oder den britischen Premier Rishi Sunak.
Welche Rede hat Sie besonders beeindruckt auf der Sicherheitskonferenz?
Ich finde immer die Reden des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg sehr klar und prägnant. Er hat in München unter anderem gesagt: "Spending more on defence means less money for other important tasks. But nothing is more important than our security, to preserve peace." Das bringt es auf den Punkt. Da es auch mir nicht möglich war, allen Reden im Plenum zuzuhören, habe ich mir im Nachhinein auch die Rede des chinesischen Staatsrats Wang Yi angesehen, weil ich der Überzeugung bin, dass wir uns stärker damit befassen müssen, wie sich die Weltlage rund um die zunehmende Bipolarität USA-China entwickelt. Spannend war zum Beispiel die Frage, wie die Chinesen das Thema der territorialen Integrität bewerten. Es war nicht gerade nur freundliche Sprache, die da zu hören war.
Was war denn so unfreundlich?
Die Sprache als solche war nicht unfreundlich, aber die Aussagen waren sehr bestimmt. Der Ballonabschuss wurde seitens China als völlig übertrieben angesehen. Die Chinesen versuchen, die USA als diejenigen darzustellen, die sich nicht an internationale Prinzipien halten. Es war interessant, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie dort die Stimmungslage sich entwickelt. Für unsere Situation in Europa ist das sehr wichtig, da wir hier nach meiner Überzeugung allmählich immer weniger eigenen Spielraum haben werden. Denn auch etwas anderes wurde in München immer wieder klar ausgesprochen: Sicherheitspolitisch sind und bleiben die USA in der Nato für Europa ein unverzichtbarer Partner.
Zeichnet sich ab, dass die Weltpolitik künftig vom Konflikt zwischen den USA und China bestimmt wird?
Ob es ein Konflikt ist oder wird, kann man derzeit nicht sagen, aber die Weltpolitik wird zunehmend vom Verhältnis zwischen diesen beiden Staaten bestimmt. Wir sehen das an Themen, die gerade erörtert werden. Wie weit steht China an der Seite Russlands? Das ist zum Beispiel eine aktuelle Frage. Wie man an der kürzlichen Debatte über den Cosco-Einstieg in Hamburg-Tollerort sehen konnte, gibt es derzeit etliche spannende Fragen auch zum Verhältnis zwischen Europa und China, festgemacht an den verschiedenen Aggregatzuständen des "Partners", des "Wettbewerbers" und des "Systemrivalen", als den die Europäische Union China sieht. Auf der einen Seite haben wir als Bundesrepublik Deutschland eine starke Verbindung mit China in vielen wirtschaftlichen Bereichen, auf der anderen Seite müssen wir eine Sensibilität dafür entwickeln, wo wir kritischen Abhängigkeiten entgegenwirken müssen. In unserer Industrie zum Beispiel sehe ich die Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen. Da müssen wir uns rechtzeitig unabhängiger machen, weil uns das am Ende strategisch starken Schaden zufügen könnte, insbesondere dann, wenn wir irgendwann keinen Zugriff mehr auf chinesische Rohstoffe haben sollten, die wir im Defense-Bereich benötigen. Das will keiner, und deshalb müssen wir vorbereitet sein. Hinzu kommt, dass wir absehbar bestimmte sicherheitsrelevante Produkte auch nicht mehr aus Europa in die USA liefern können, wenn sie Abhängigkeiten von chinesischen Vormaterialien aufweisen. Dies muss uns bewusst werden; allerdings plädiere ich umgekehrt auch nicht für ein generelles "Decoupling" von China, denn das kann in der gegenwärtigen Lage vernünftigerweise niemand wollen.
Bedeutet dies, wir waren jahrelang zu unsensibel?
Blicken wir auf die Energieabhängigkeit von Russland. Diese haben wir auch noch weiter gepflegt, als die Krim-Halbinsel annektiert wurde. Danach wusste man doch, wie Russland mit dem Völkerrecht umgeht. Wir neigen häufig dazu, wegzusehen und Dinge zu verdrängen, solange sie nicht akut werden. In der Pandemie und in der Frage der russischen Energieabhängigkeit haben wir gelernt, dass man besser nicht wegsehen sollte. Deshalb werbe ich dafür, dass punktuell die Abhängigkeiten von China jetzt betrachtet werden sollten, und nicht erst, wenn sie zum Problem geworden sind. Dies gilt insbesondere für alle sicherheitsrelevanten Bereiche und Produkte. Die USA haben diese Sensibilität schon vor Jahren entwickelt, es sich aber auch etwas kosten lassen, diese Unabhängigkeit in strategisch sensiblen Bereichen umzusetzen. Hier sollte Europa nicht zurückstehen.
Sicherheitspolitisch will sich Deutschland künftig stärker aufstellen. Der Bundestag hat vergangenes Jahr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Wird das Geld reichen, um die Bundeswehr für ihre Aufgaben vernünftig auszustatten?
Nein. Es wird nicht ausreichen. Auch vor dem Angriff auf die Ukraine und die Zeitenwende-Rede des Kanzlers wurden innerhalb der Bundeswehr schon Zahlen errechnet, die alles in allem höher lagen als die 100 Milliarden Euro. Die 100 Milliarden entsprachen einer Projektpipeline unerfüllter Wünsche, die man für die Regierungserklärung des Bundeskanzlers am 27. Februar 2022 eben sehr schnell aus der Bundeswehr-Planung ableiten konnte. Dass der Kanzler dieses Sondervermögen für die Bundeswehr durchgesetzt hat, ist ein großes Verdienst. Aber daneben gab es noch andere Punkte, die bereits bekannt waren und weitere Mittel erfordern. Hinzu kommt jetzt noch, dass wir es mit einer unerwarteten Teuerung zu tun haben. Die erhebliche Inflation der vergangenen Monate musste nachträglich mit eingerechnet werden. Dann müssen aus dem Sondervermögen auch noch die entsprechenden Zinsen bedient werden. Da sind die 100 Milliarden Euro schnell in Richtung von 85 Milliarden geschrumpft. Gleichzeitig sind die Fixkosten im normalen Budget des Bundesverteidigungsministeriums weiter angestiegen. Die Spielräume für Investitionen werden auch dort geringer. Das hat dazu geführt, dass aus zwei Richtungen Einschränkungen erfolgt sind, was wiederum dazu führt, dass nun eigentlich zu wenig Mittel zur Verfügung stehen. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat ja gerade in diese Debatte eingebracht, dass er im laufenden Haushaltsjahr zehn Milliarden Euro mehr braucht. Ich kann das nur unterstützen, und zwar im Sinne der Bundeswehr.
Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, hat von 300 Milliarden Euro gesprochen, die tatsächlich gebraucht werden. Ist das eine realistische Hausnummer?
Vor wenigen Wochen hat sie 300 Milliarden anstelle der 100 Milliarden Euro an Sondervermögen gefordert. Man kann dies sicherlich so sehen, denn wir reden ja nach 30 Jahren Reduzierung und Umbau der Bundeswehr hin zu Auslandseinsätzen quasi über eine Neuaufstellung der Streitkräfte mit Blick auf Landes- und Bündnisverteidigung. Die Dimension der Mittel hängt zudem auch davon ab, welche Projekte zum Schutz der kritischen Infrastruktur mit einrechnet werden. Ich glaube, wir müssen als Gesellschaft wissen, dass künftige Bedrohungen sogenannte "hybride" Bedrohungen sein werden, also Bedrohungen, die nicht nur militärischer Art sind, sondern uns als Zivilgesellschaft betreffen. Unsere kritischen Infrastrukturen der Energieversorgung und der Logistik sind bedroht. Wir müssen deutlich mehr Geld ausgeben, um diese Infrastruktur effektiv schützen zu können. Hinzu kommen viele Themen rund um den bei uns seit Langem vernachlässigten Bevölkerungsschutz. Das sind alles Hausnummern, die bis dato gar nicht quantifiziert sind. Von daher verstehe ich Frau Högl. Aber ich glaube, dass dies in der aktuellen politischen Debatte kein Punkt ist. Der Verteidigungsminister wäre schon sehr erfolgreich, wenn er für den regulären Verteidigungsetat die zehn Milliarden Euro mehr bekäme. Denn eines bleibt leider richtig: Mit den Mitteln, die die Bundeswehr jetzt zur Verfügung und verplant hat, kann sie in den nächsten Jahren die zugesagten zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, die mehrfach zugesagte "Nato-Quote", nicht erfüllen. Wenn Sie die Diskussion in der Nato verfolgen, werden die zwei Prozent aktuell eher als Untergrenze angesehen. Das zeigt, wie groß die Lücke ist, die wir zu bewältigen haben. Ich erinnere nochmals an das Stoltenberg-Zitat. Wir müssen deutlich mehr für unsere Sicherheit ausgeben, auch wenn es Abstriche in anderen Bereichen nach sich zieht, und dieser Herausforderung müssen wir uns als Gesamtgesellschaft stellen.
Wer ist schuld am desaströsen Zustand der Bundeswehr?
Desaströs würde ich nicht sagen, aber nicht da, wo er sein müsste. Letztlich sind wir alle daran schuld. Die Politiker sind immer in einem erheblichen Maß bestimmt von der Frage, was sie ihren Wählerinnen und Wählern zumuten können, und was diese zu akzeptieren bereit sind. Wir alle haben nicht die Sensibilisierung an den Tag gelegt, zu sagen, wir müssen mehr Geld für unsere Sicherheit ausgeben. Um fair zu sein, der Verteidigungshaushalt ist ja seit 2014 deutlich angewachsen. Die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat damals schon Trendwenden verkündet, die zu Veränderungen geführt haben. Aber die Veränderungen waren nicht so radikal, wie sie aus heutiger Sicht hätten sein müssen. Im Übrigen muss man auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zugutehalten, dass sie durch ihre Professionalität in den vergangenen Jahren viele Ausrüstungsdefizite zu überbrücken vermochten. Nun jedoch haben wir seit einem Jahr die "Zeitenwende"-Erfahrung. Dennoch fehlt uns bis heute an einigen Stellen immer noch die gebotene Sensibilität. So verstehe ich zum Beispiel nicht, warum die Ausrüstung unserer Bundeswehr in unserer gesellschaftspolitischen Wahrnehmung nicht als Beitrag zur Erreichung von Nachhaltigkeit empfunden wird. Die Bundeswehr ist nun einmal essenziell dafür, Frieden und Sicherheit zu bewahren. Frieden und Sicherheit wiederum sind unabdingbar, um unsere Lebensgrundlagen sowohl in puncto Umweltschutz, aber auch im sozialen Sinne für ein menschenwürdiges Leben erhalten zu können. Wo ist da ein Widerspruch? Die Erhaltung der Lebensgrundlagen für uns und künftige Generationen gilt immer noch als Kern von Nachhaltigkeit. Aber wenn ich dann sehe, dass unsere Banken etwa beim Angebot nachhaltiger Fonds Rüstung und Waffen – auch die für die Bundeswehr – in Bausch und Bogen als nicht nachhaltig ausschließen, dann zeigt dies, dass wir als Gesellschaft nicht in der Lage sind, diesen scheinbaren Widerspruch zu überwinden. Ähnlich verhält es sich mit den sogenannten Zivilklauseln, die nach wie vor bei einer Vielzahl deutscher Hochschulen die Forschung an Gegenständen militärischer Art ausschließen. Solches Komfortzonen-Denken können wir uns in Zeiten eines Krieges in Europa schlechterdings nicht leisten.
Passend dazu habe ich auf Ihrer Internetseite das Zitat gelesen: "Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit."
Genau. Der Spruch stammt sogar von mir. Das ist die Kurzfassung und Quintessenz des gerade geäußerten Gedankens. Wenn unsere Bundeswehr nicht bestens ausgerüstet ist, dann ist sie eben nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen. Erst Ausrüstung versetzt Soldatinnen und Soldaten in die Lage, ihre Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung zu erfüllen. Eine effektive Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit im Rahmen des NATO-Bündnisses ist Garant dafür, dass wir in Frieden und Sicherheit leben können. Nur dadurch bewahren wir alle unsere Lebensgrundlagen und damit deren Nachhaltigkeit. Dazu gehört eine saubere Umwelt, ebenso wie auch soziale Werte dazugehören, etwa Zugang zu Wohnung, Nahrung und Bildung – all diese Dinge verlieren die Menschen, wenn sie Krieg erdulden müssen. Das erleben wir gerade in der Ukraine auf tragische Weise. Darum ist für mich dieser Zusammenhang klar: Sicherheit ist die Voraussetzung für Nachhaltigkeit.
Nun wird für eine bessere Sicherheit investiert. Für fast zehn Milliarden Euro werden nun 35 F-35-Kampfjets aus den USA gekauft. Wäre es im Interesse Europas nicht sinnvoller gewesen, wenn die Entwicklung eines eigenen neuen Kampfjets auf den Weg gebracht worden wäre?
Darüber gab es eine lange Debatte. Airbus als ein wesentlicher Anbieter auf diesem Gebiet hat lange darum geworben, dass man einen adaptierten Eurofighter nimmt, um den in die Jahre gekommenen Tornado zu ersetzen. Die Sache ist aber die: Der Tornado ist ein Flugzeug, welches vor allem der sogenannten "nuklearen Teilhabe" dient. Das heißt, es gibt eine Vereinbarung mit den USA, wonach Deutschland im Falle eines Falles, also wenn es zu einer atomaren Auseinandersetzung käme, die fliegenden Plattformen stellen muss, die dann diese Waffen ins Ziel bringen. Das sind ganz spezielle Flugzeuge, die von den USA zertifiziert werden müssen. Es war nicht klar, ob die USA einen modifizierten Eurofighter rechtzeitig für die nukleare Teilhabe zertifiziert hätten. Das sind langwierige Prozesse, und so lange kann man wohl beim jetzigen Zustand der Tornados nicht warten. Deswegen hat nach vielen Gesprächen und sorgfältiger Abwägung der Bundeskanzler im letzten Jahr entschieden, dass wir eben jetzt doch das amerikanische Modell F-35 ausschließlich für diesen Zweck der nuklearen Teilhabe kaufen. Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland für andere Zwecke nicht weitere Eurofighter beschaffen möchte. Das ist sogar konkret vorgesehen. Das bedeutet auch nicht, dass wir nicht mehr mit den Franzosen zusammen ein neues Kampfflugzeug entwickeln. Das ist weiterhin geplant und konkret in Arbeit.
Jetzt kommen wir zu einem wichtigen Punkt. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hätte sich anstelle der F-35-Bomber lieber ein gemeinsames Modell gewünscht.
Ja, unter dem Projektnamen "Future Combat Air System" (kurz: FCAS) wird es das auch geben. Die Sorge der Franzosen besteht darin, dass wir mit dem Einstieg in die F-35-Beschaffung in ein Fahrwasser kommen, wo wir plötzlich kein Interesse mehr haben an dieser Neuentwicklung. Das ist eine politische Befürchtung, die nach dem Stand der Dinge unbegründet ist – solange es zeitgerecht auch eine Entscheidung über eine fünfte Tranche des Eurofighter als Brückenlösung hin zum FCAS geben wird.
Aber die Sorge ist doch verständlich. Immer wieder ist davon die Rede, dass sich Europa sicherheitspolitisch unabhängiger von den USA machen muss, und dann wird im Zweifel doch das US-Produkt gekauft.
Nochmal: Das US-Produkt wird für einen ganz spezifischen Zweck gekauft, der mit der nuklearen Teilhabe zusammenhängt. Deswegen ist die Stückzahl auch begrenzt. Mit der Ankündigung, F-35-Kampfflugzeuge anzuschaffen, wurde auch die Absicht bekannt gegeben, weitere Eurofighter zu kaufen. Vor dem Hintergrund wäre es nicht richtig, hieraus einen Gegensatz zu den deutsch-französischen Plänen abzuleiten. Der ist objektiv nicht gegeben. Von solchen Einzelfällen abgesehen, werben natürlich auch wir als deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie dafür, so viel wie möglich bei unseren Unternehmen zu kaufen.
Sie sprechen von Sicherheit, die Nachhaltigkeit garantiert. Wie muss die künftige Sicherheitsarchitektur Europas aussehen?
Nachhaltigkeit setzt Friedenserhaltung voraus, die wiederum auf Verteidigungsfähigkeit und Abschreckungsfähigkeit aufbaut. Eines ist in diesem Zusammenhang ganz klar: Wir können und müssen als Europäer ein sehr leistungsfähiger und kräftiger Pfeiler in der Nato sein. Das bisweilen zu hörende Postulat einer europäischen Autonomie ist hingegen aus deutscher und auch aus meiner persönlichen Sicht nicht wirklich realistisch. Wir brauchen auch künftig den Schulterschluss mit den USA und mit Kanada. Auf die USA als Partner können wir schon aufgrund der atomaren Abschreckung nicht verzichten. Frankreichs Präsident Macron hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz erneut das Angebot gemacht, man könne auch mit Frankreich über eine atomare Abschreckungspartnerschaft sprechen. Aber diese ist noch überhaupt nicht ausbuchstabiert. Insofern ändert das nichts an der Feststellung, dass wir innerhalb der Nato auf den atomaren Schutzschild der USA angewiesen sind. Das sagen alle Sicherheitsexperten und das ist auch die Sicht der deutschen Bundesregierung. Hierin ist zugleich der wichtigste Eckpfeiler für die europäische Sicherheitsarchitektur zu sehen. Daran anschließen sollte sich eine möglichst gute Arbeitsteilung sowohl im militärischen sowie rüstungsindustriellen Bereich. Wir können effizienter Rüstungsgüter beschaffen und dabei Geld sparen, wenn wir Bedarfe europäisch harmonisieren. Diese Ziele werden seit vielen Jahren in immer neuen Programmen der EU formuliert. Aber es geht nur schleppend voran, weil weiterhin nationale Souveränitäten bestehen, unterschiedliche Strategien verfolgt und unterschiedliche Präferenzen bei den Streitkräften gesetzt werden. Auch wenn wir seit einem Jahr sicherheitspolitisch spürbar mehr unter Druck stehen, bleiben nationale Belange und industrielle Interessen ein wesentliches Thema. Meine These ist, dass es zu einer engeren Zusammenarbeit nur dann kommen wird, wenn ein entschiedener politischer Wille von der Spitze, also den beteiligten Regierungen, vorhanden ist. Die Industrie kann hier in der Regel nur das nachvollziehen, was ihre Kunden – also die Regierungen – vorantreiben wollen.
Unabhängig davon, muss Deutschland künftig in Europa eine Führungsrolle übernehmen?
Davon bin ich persönlich überzeugt. Wir sind das Land, das demnächst das größte Verteidigungsbudget in der EU haben wird, und wir sind großer Truppensteller in der Nato. Zudem verfügen wir in vielen Bereichen über eine sehr leistungsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, und zwar nicht nur in Form bekannter Systemhäuser, sondern auch in Gestalt eines technologisch äußerst leistungsfähigen Mittelstandes. Die Mitglieder des von mir geleiteten Verbandes BDSV sind zu über 80 Prozent solche mittelständischen Unternehmen, die extrem wichtige Beiträge zu unserer Sicherheit leisten, sowohl bei Hard- als auch bei Software. Bei dieser Gelegenheit füge ich hinzu, dass wir uns mit allen unseren Mitgliedern auf den Weg gemacht haben, die Ziele von "ESG" – das steht für die Begriffe "Environmental, Social, Governance" – für unsere Branche konsequent umzusetzen. Denn ich bin überzeugt, dass gerade wir als Rüstungsindustrie besonders gefordert sind, auf die Umsetzung dieser Werte zu achten, wie sie auch in dem jüngst in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verankert sind.
Wenn wir über die Führungsrolle Deutschlands in Europa sprechen, bedarf es dann auch einer neuen Rolle der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen? Überspitzt hat man in der Vergangenheit gesagt, Briten und Franzosen ziehen in den Krieg und die Deutschen bauen Brunnen.
Das ist eine Frage, die sich an den jeweiligen Einsatzanlässen und -zwecken festmacht. Darüber entscheidet der Deutsche Bundestag. Die Frage stellt sich erst, wenn ein neuer Einsatz ansteht. Ich bin kein Politiker und maße mir daher keine Beurteilung darüber an.
Blicken wir mal auf die aktuelle Situation der Unternehmen, die bei Ihnen im Verband Mitglied sind. Die Aktie des Düsseldorfer Rüstungsunternehmens Rheinmetall etwa hat eine beispiellose Rallye durchlaufen. Ein Plus von 155 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert steht zu Buche. Sind für Ihre Mitglieder jetzt goldene Zeiten angebrochen?
Das möchte ich unter keinen Umständen so bestätigen. Rheinmetall ist am internationalen Kapitalmarkt und dort waren die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr eben ein besonderer Trigger für viele internationale Anleger. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass das, was uns jetzt als Industrie abgefordert wird, gewaltiger Anstrengungen bedarf. Wenn Sie sich allein einmal vor Augen führen, was in verschiedenen Bereichen in kurzer Zeit an Fertigungskapazitäten aufgebaut werden muss. Da nenne ich nur mal das Stichwort Munition. Das sind Anstrengungen, die auch mit einem hohen Risiko verbunden sind. Alle Unternehmen unserer Branche müssen jetzt innerhalb kurzer Zeit das zuliefern, was unsere Kunden bestellen. Dabei geht es ja nicht nur um die Bundeswehr, sondern auch um weitere Nato-Länder. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel, unter welchem Druck Unternehmen stehen: Wenn jetzt neue, erhebliche Kapazitäten für Munition aufgebaut werden müssen, stellt sich die Frage, ob und wann sich diese Investition amortisieren wird. Wir alle wünschen uns doch, dass der Krieg in der Ukraine schnell ein Ende findet. Das kann man uns in Europa und vor allem den Menschen in der Ukraine nur wünschen. Aber dann könnten die jetzt aufgebauten Kapazitäten plötzlich nicht mehr gebraucht werden. Hier plädieren wir für eine staatliche Absicherung, die letztlich bewirkt, dass jetzt die erforderlich erscheinenden Investitionen getätigt werden, aber zugleich eine Absicherung für den wünschbaren Fall besteht, dass in Europa bald wieder ein Frieden zustande kommt, der vor allem für die Ukraine ihre territoriale Integrität wiederherstellt.
Aber nicht nur die Ukraine wird ein dankbarer Abnehmer von Munition sein, sondern auch die Bundeswehr. Die Lager sollen leer sein.
Absolut. Die Lager sind wohl ziemlich leer und müssen dringend aufgefüllt werden. Das gilt für andere Streitkräfte in der EU und der Nato auch. Es gibt jetzt eine europäische Initiative, um die Bedarfe im Bereich der Munition zu bündeln und den Einkauf zu erleichtern. Das wurde auf der Münchner Sicherheitskonferenz auch erörtert.
Sind Sie davon überzeugt, dass die Rüstungskonzerne den neuen Anforderungen gewachsen sein werden?
Das denke ich schon. Wir haben im letzten Jahr direkt nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine gesehen, dass unsere Unternehmen, die vom Bundesverteidigungsministerium aufgerufen wurden, die Bundeswehr einsatzbereit zu machen, in kurzer Zeit eine hohe Kreativität und Flexibilität an den Tag gelegt haben, um entsprechende Vorschläge zu machen. Leider konnte damals aufgrund der vorläufigen Haushaltsführung keine Bestellungen getätigt werden. Die Fähigkeit von Unternehmen, flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren, ist größer als man gemeinhin meint. Darauf setze ich auch künftig.
Rennen Sie für Ihre Anliegen jetzt offenere Türen bei der Bundesregierung ein? Gab es eine aus Ihrer Sicht positive Trendwende?
Ja, natürlich. Aus meiner Sicht standen wir in einer unverdient schlechten Ecke. Wir hatten bei Teilen der Medien und der Öffentlichkeit einen Ruf, der mit unserer realen Tätigkeit nichts zu tun hatte. Unsere Industrie ist in erster Linie Ausstatter von Sicherheitsorganen und Streitkräften der EU und der Nato. Das dient Frieden und Sicherheit und somit uns allen. In der Vergangenheit hat uns das Thema Rüstungsexport in die negative Ecke gebracht. Was die Öffentlichkeit leider zu wenig zur Kenntnis nimmt: Der Export von Kriegswaffen aus Deutschland erfolgt, wenn überhaupt, nur nach äußerst restriktiven Maßstäben. Es bedarf teils einer mehrfachen Genehmigung von Seiten der Bundesregierung. Eine Genehmigung für Exporte in Länder außerhalb der Nato wird nur erteilt, wenn die Bundesregierung an diesem Export ein eigenes außen- und sicherheitspolitisches Interesse hat. Die Interessen der Industrie spielen hierbei überhaupt keine Rolle. Getroffene Entscheidungen werden in der Regel von der Bundesregierung nicht begründet, so dass die Öffentlichkeit diese oftmals bei der Industrie verortet. Wir sind von unseren Produkten her eine in starkem Maße staats- und regierungsabhängige Industrie, sowohl was Beschaffungen in Deutschland, vor allem aber den Export angeht. Das bitte ich, nicht als Klage zu verstehen. Wir akzeptieren das und sind stolz darauf. Denn ich betone nochmals; Die von unseren Unternehmen bereitgestellten Produkte helfen, Frieden und Sicherheit für uns zu gewährleisten. Sie retten auch Menschenleben, wie es der ukrainische Botschafter in Deutschland kürzlich im Hinblick auf seine kämpfenden Landsleute hervorgehoben hat.
Das Gespräch führte Florian Quanz.
Dr. Hans Christoph Atzpodien, RC Essen-Süd, ist seit 2017 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV) in Berlin. Zuvor war er ab 2001 in verschiedenen Bereichsvorstands-Funktionen im thyssenkrupp-Konzern tätig, davon zuletzt ab 2013 als Vorstandsvorsitzender/CEO der Business Area Industrial Solutions AG und zuvor ab 2007 als CEO der Werftengruppe thyssenkrupp Marine Systems AG. Seine Karriere in der Industrie begann er nach einer juristischen Ausbildung, die er 1982 mit dem Assessorexamen abschloss.
Copyright: Andreas Fischer
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