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Porträt

„Genau die Persönlichkeit, die Rotary braucht“

Porträt - „Genau die Persönlichkeit, die Rotary braucht“
RI-Präsidentin Jennifer Jones ist bestrebt, Rotarys Geschichte voranzubringen. © Monika Lozinska-Lee (alle Fotos)

Schon als Kind verkaufte sie selbst gemachte Limonade, um Geld für wohltätige Zwecke zu generieren. Mit unter 40 wurde sie als erste Frau in ihrem Distrikt zur Governorin gewählt. Seit dem 1. Juli ist Jennifer Jones Präsidentin von Rotary International und damit ebenfalls die erste Frau in diesem Amt. Ein weiterer Höhepunkt in der ereignisreichen Vita einer engagierten Frau.

01.07.2022

Bei einem Trainingsseminar für neue Clubpräsidenten in einem Hotel in Dallas im Februar werden die Teilnehmer von Clubmeistern in gelben Westen für ein Foto mit der RI-Präsidentin 2022/23, Jennifer Jones, in einen kleinen Raum geführt, wo sie sofort von den Amtsträgern umringt wird.

Klick, klick, klick

Eine Gruppe nach der anderen verlässt den Raum. Nicht wenige bleiben stehen, um mit Jones und ihrem Mann Nick Krayacich ein Selfie zu machen. Eine junge Frau ruft ihr zu: „Gratulation und vielen Dank, dass Sie eine Vorreiterin für Frauen bei Rotary sind!“ Noch mehr Jubel. Und ein Faustcheck mit Jones. „Sie ist einfach unglaublich. Ein echter Rockstar“, findet Past-Gov. Rhonda Walls Kerby von Distrikt 5890, die das Ganze beobachtet.

Nach dem Fototermin signiert Jones mehrere Star-Wars-Helme, die auf einer Distriktkonferenz in Houston versteigert werden sollen. Als sie sich einen Helm aufsetzt, schießen die Handys der Anwesenden unisono in die Höhe, um den Moment festzuhalten.

Klick, klick, klick. „Jen gibt jedem das Gefühl, ein besonderer Mensch und enger Freund zu sein“, sagt Eric Liu, der Jones auf der International Assembly 2016 kennenlernte. Der Incoming Governor und die RI-Vizepräsidentin verstanden sich auf Anhieb. So wie ihm geht es vielen an diesem turbulenten Wochenende. Immer wieder ist zu hören, dass sie sich mit jedem versteht, dass jeder seit Jahren „wusste“, dass sie die erste Rotary-Präsidentin sein wird und dass sie eine neue Art von Führungskraft ist. Genau die Führungspersönlichkeit, die Rotary jetzt braucht.

2022, jennifer jones, porträt
Jennifer Jones posiert für Selfies in Los Angeles.

Lachen erfüllt den Raum, wenn Jones mit ihren Freunden scherzt. Aber es war ein langer Tag nach einer anstrengenden Reise. Wegen wetterbedingter Verspätungen saßen Jones und Krayacich am Vortag neun Stunden auf dem Flughafen fest und mussten einiges für ihre Reise nach Dallas umplanen. Um 23 Uhr sind sie im Bett, eine kurze Verschnaufpause, bevor es am nächsten Tag mit den Präsidentenaufgaben weitergeht.

Enorm kontaktfreudig

Jennifer Jones wurde vor 55 Jahren in Windsor/Ontario, geboren. Abgesehen von einigen Jahren nach dem Studium auf den Turks- und Caicosinseln und in Manhattan hat sie ihr ganzes Leben hier verbracht. Die älteste von drei Geschwistern verkaufte selbst gemachte Limonade, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln, und organisierte im Garten der Familie eine Benefizkirmes für Kinder mit Muskelschwund. „Unsere Eltern beflügelten uns Kinder immer dazu, Gutes in der Gemeinde zu tun“, erinnert sie sich. Heute sind ihre Mutter, ihr Vater, ein Bruder und dessen Frau alle Mitglied in Rotary. Ihr anderer Bruder malte ein Bild, das Jones die Idee für die Krawatten und Schals mit dem Präsidentenmotto gab.

Jennifer Jones und Nick Krayacich stammen beide aus Windsor, lernten sich aber in der Karibik kennen. Jones fühlte sich nach dem Studium und der Arbeit in der Nachrichtenredaktion eines Radiosenders ausgebrannt und nahm einen Job in einem Ferienort in der Karibik an. Der angehende Arzt Krayacich hatte gerade sein Medizinpraktikum in Toronto beendet und machte auf den Inseln Tauchurlaub. Aus einer Freundschaft wurde nach ihrer Rückkehr nach Windsor eine ernste Beziehung, und kurze Zeit später heirateten sie.

In vieler Hinsicht ist der Governor nominee von Distrikt 6400 das ganze Gegenteil seiner Frau. Er ist ruhiger und ernster und zieht persönliche Gespräche vor – Eigenschaften, die gut zu seinem Beruf passen. „Jennifer ist ein richtiger Wirbelwind und enorm kontaktfreudig“, sagt er. „Wir ergänzen einander sehr gut.“

Mit Ende 20 gründete Jones eine eigene Fernsehproduktionsfirma. Sie überzeugte die Bank von ihrem Geschäftsplan, handelte einen Pachtvertrag aus und investierte Hunderttausende von Dollar in die Technik. „Ich wollte schon immer meinen eigenen Weg gehen“, sagt sie. „Manchmal muss man dafür Risiken eingehen und für neue Erfahrungen offen sein.“

Eine davon war Rotary. Als junge Radioreporterin Ende der 1980er Jahre hatte sie über die Organisation berichtet und erinnert sich an Clubtreffen, bei denen fast nur Männer anwesend waren. Einige Jahre später, kurz nach der Gründung ihres Unternehmens Media Street Productions, wurde Jones 1996 vom Leiter des Lokalsenders zu einem Treffen eingeladen. Sie fühlte sich sofort zu Hause: „Das war eines der größten Geschenke meines Lebens. Nie hätte ich geglaubt, dass dieses Treffen den Lauf meines Lebens so verändern würde.“

Donnernder Applaus

Zurück zum Trainingsseminar in Dallas. In der Mittagspause am nächsten Tag schallt bei Suppe und Salat Celebration von Kool & the Gang aus den Lautsprechern. Die Leute im Ballsaal beginnen zu tanzen, sie klatschen und wiegen sich zur Musik. Jones macht mit und schwenkt einen bunten Leuchtstab über dem Kopf. Sie tanzt an den Tischen vorbei, pausiert mal für ein Selfie, mal für eine Umarmung und tanzt mit der Menge. Der Flashmob stellt sich vor der Bühne auf, Jones mittendrin. Als das Lied ausklingt, stellt Past-RI-Direktor Don Mebus Jones vor. Sie geht auf die Bühne und formt mit den Händen ein Herz.

Ihre Rede bringt die Zuhörer zum Lachen – und zum Weinen. Als sie über eine Herzoperation an einem Kind in Jordanien spricht, wird es so still im Raum, dass man eine PHF-Nadel fallen hören könnte. Nach ihrer Rede steht die Menge auf und bricht in donnernden Applaus aus. Sie hat jedoch keine Zeit, um sich darin zu sonnen. Das Flugzeug wartet schon. Der Moderator bittet die Massen begeisterter Texaner, sie durchzulassen. Und schon sprintet sie in lila Turnschuhen, die sie während der gesamten Reise trägt („Die High Heels hebe ich mir für Präsentationen auf“), zum Flughafen.

Vier Stunden später trifft sie in Los Angeles für das nächste PETS-Seminar ein. Auf dem Terminplan steht ein abendliches Treffen mit Rotariern aus den teilnehmenden Distrikten in den Empfangsräumen des Hotels. Kaum ist Jones durch die Tür, wird sie von Rotariern umringt, die sie unbedingt kennenlernen wollen.

2022, jennifer jones, porträt
Hält bei guter Stimmung in der ersten Reihe das Rotary-Logo hoch: Jennifer Jones an der Seite ihres Mannes Nick Krayacich.

Lakecia King ist eine der Gratulanten und begrüßt Jones mit einer Umarmung. „Sie ist so warmherzig und aufrichtig“, sagt die neue Präsidentin des RC East Honolulu und Beauftragte für Vielfalt, Gleichbehandlung und Inklusion von Distrikt 5000. Begeistert vom Engagement der RI-Präsidentin für Vielfalt, ließ sich King „um nichts in der Welt davon abhalten“, acht Wochen nach ihrer Meniskusoperation zu diesem Meeting zu fliegen: „Sie glaubt an etwas, das wir alle brauchen. In der heutigen Zeit sind Frieden und Einheit, das Miteinander trotz aller Unterschiede und das gemeinsame Handeln so wichtig.“

Jedes Amt ein Baustein

Ihre erste internationale Projektreise unternahm Jones mit ihrem Mann im Jahr 2000, kurz nach ihrem Eintritt in Rotary. Fünf Wochen lang leitete Krayacich im brasilianischen Amazonas eine Klinik. Jones produzierte ein Spendenvideo für die Klinik und entwickelte Kurse für einheimische Journalisten. „Dieser Hilfseinsatz hat etwas in mir ausgelöst“, sagt sie. „Ich verstand, dass ich den Menschen helfen will, ihre Geschichten zu erzählen, das, was wir tun, in Worte zu fassen und diese Erzählung mit anderen zu teilen.“

2001/02 war sie Präsidentin des RC Windsor-Roseland. Bei jedem Clubtreffen bat sie ein anderes Mitglied zu erklären, warum er oder sie für den Club wichtig ist. Bis zu jenem Zeitpunkt war in ihrem Distrikt noch nie eine Frau zum Governor gewählt worden. Sie war jünger als 40 und wollte „es einfach mal probieren. Ich wusste, dass ich mich voll und ganz für Rotary engagieren wollte. Ich fand es toll.“ Nach ihrem Jahr als Governorin 2007/08 übernahm sie den Vorsitz der örtlichen Handelskammer und des Aufsichtsrats der Universität Windsor. „Das war die beste Vorbereitung auf die Mitarbeit im Zentralvorstand“, sagt sie. „Jedes dieser Ämter war ein Baustein dafür.“

Schicksalsschlag

2009 wurde bei der 42-jährigen Jones Brustkrebs festgestellt und ihre Tage waren von Chemotherapie und Bestrahlung bestimmt. Vor ihrer Diagnose im Herbst war sie gebeten worden, auf der International Assembly vor den Incoming Governors elect im Januar 2010 zu sprechen. Der damalige RI-Präsident elect Ray Klingensmith riet ihr zum Kommen, sofern sie sich dazu in der Lage fühlte. In Absprache mit ihrem Onkologen entschied sie sich für die Teilnahme. „Am Sonntag davor waren meine letzten Haare ausgefallen“, erzählt sie. „Ich reiste mit Perücke an.“

Trotz Unterbrechung wegen technischer Probleme machte ihre Rede einen starken Eindruck, vor allem auf sie selbst. „An einem der schlimmsten Tiefpunkte meines Lebens wurde ich nicht abgeschrieben“, sagt sie mit Tränen in den Augen. „Genau diese Botschaft brauchte ich damals. Dass ich wertvoll bin und etwas beitragen und mich einbringen kann. Man gab mir Hoffnung in einer Zeit, in der ich die Hoffnung vielleicht schon aufgegeben hatte.“

2022, jennifer jones, porträt
Jones und Krayacich posieren während ihres Aufenthalts in Nordkalifornien an einem massiven Redwood- Baum.

Jones unterzog sich acht Chemotherapien und 21 Bestrahlungen. Ihre Mitarbeiter hielten das Unternehmen für sie am Laufen. Auch das erwies sich als ausschlaggebend. Als sich ihr Gesundheitszustand besserte und sie wieder zur Arbeit zurückkehrte, sah sie, was ihr Team geleistet hatte: „Ich dachte darüber nach, dass ich ihnen die Möglichkeit nehme, in Führungsaufgaben hineinzuwachsen, wenn ich weitermache wie früher.“ Sie beschloss, das Tagesgeschäft des Unternehmens ihrem Team zu übertragen und sich fast vollständig auf Rotary zu konzentrieren.

„Ich möchte nie wieder an Krebs erkranken“, sagt sie, „aber ich kann definitiv sagen, dass ich heute nicht hier sitzen würde, wenn all das nicht passiert wäre.“

Spendenmarathon

Als die Welt im März 2020 durch die Coronapandemie zum Stillstand kam, kehrte Jones gerade von einer Rotary-Reise zurück. In ihrer Hütte am Eriesee, circa eine Stunde von ihrem Haus entfernt, gingen Jones und Krayacich in Isolation. Zu jenem Zeitpunkt war Jones Trustee der Rotary Foundation. Voller Stolz und Bewunderung sah sie zu, wie Rotarier in kürzester Zeit zur Finanzierung von Hilfsprojekten Disaster Response Grants beantragten. Sie wollte aber noch mehr tun. Sie rief den damaligen RI-Präsidenten Mark Maloney an und schlug ihm einen Spendenmarathon vor. Innerhalb weniger Wochen kam die Idee zum Tragen. Mehr als 65.000 Menschen sahen die von Past-RI-Präsident Barry Rassin und Past-RI-Direktor John Smarge moderierte Veranstaltung, die mehr als 525.000 Dollar für die Foundation einbrachte.

Ein Video wurde von Anniela Carracedo eingeschickt. Die Jugendaustauschschülerin in Mississippi im Schuljahr 2019/20 konnte nach Ausbruch der Pandemie nicht in ihre Heimat Venezuela zurückkehren. In den USA gründete sie die Rotary Interactive Quarantine, ein globales Jugendnetzwerk für Interacter und Jugendaustauschschüler. Bei einem Online-Zonentreffen schickte ihr Jones eine Chatnachricht und bat sie, ein Video über das Jugendnetzwerk für den Spendenmarathon zu erstellen.

Die beiden sind in Kontakt geblieben. Jones sprach auf Meetings von Carracedo und lud sie als Rednerin zur International Assembly ein. Carracedo dreht TikToks über Jones. Bei einem Zoom-Interview hält sie ihr Smartphone hoch, um ihre Jones-Sticker auf WhatsApp zu zeigen. „Ich bin wahrscheinlich ihr größter Fan“, sagt sie. „Sie motiviert mich dazu, weiterzumachen. Dass es in Ordnung ist, dass ich eine Führungspersönlichkeit und eine Frau bin. Wenn sie es geschafft hat, kann ich es auch schaffen.“

Quelle der Inspiration

Jones ist nicht nur Inspiration für junge Frauen. Von Los Angeles fährt sie weiter nach Danville im Distrikt 5170 zu einem Dinner im Blackhawk Museum. Vor dem Essen hält sie eine Rede vor Großspendern in einer Ausstellung über den amerikanischen Westen. Festlich gekleidete Partygäste stehen Schlange für ein Foto mit ihr.

2022, jennifer jones, porträt
Jennifer Jones hält einen Stapel Dankeskarten in der Hand. Als Jones 1996 zu einem Meeting eingeladen wurde, fand sie bei Rotary ein Zuhause. „Es war eindeutig eines der größten Geschenke, die ich je erhalten habe“, sagt sie.

Klick, klick, klick. Zeit für das Dinner. Das Wochenende fühlt sich an wie eine Folge der TV-Serie The Amazing Race. In den letzten 48 Stunden ist Jones zweimal geflogen, hat auf drei Großveranstaltungen in drei Städten gesprochen und für Hunderte von Selfies posiert. Bei ihrer Rede strahlt Jones dennoch. Der Krieg in der Ukraine hat sich am Wochenende verschärft, und sie weist auf die Verbindung zwischen den beunruhigenden aktuellen Ereignissen und der friedensstiftenden Kraft von Rotary hin: „Man darf die Bedeutung dessen, was man heute tut, nicht unterschätzen.“

Jones bittet die Governors und Governors elect auf die Bühne und führt sie zu einer Interpretation von John Lennons Imagine zu Ehren der Ukraine an. Die Anwesenden halten sich an den Händen und wiegen sich zur Musik. Und stellen sich vor, welche Kraft Rotary mit Jones am Ruder entfalten wird. Klick, klick, klick. 

Diana Schoberg