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Gesenkte Hörner im Jahr des Ochsen

Forum - Gesenkte Hörner im Jahr des Ochsen
Xi Jinping ist überall: In China kann man auch Geschirr mit dem Konterfei des Staatspräsidenten bekommen. © Mauritius Images/Lou Linwei/Alamy

Mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Joe Biden hat sich der Tonfall zwischen China und den USA wieder zivilisiert. Das sieht auch Peking so. Der Konflikt zwischen der aufsteigenden Weltmacht China und der absteigenden Weltmacht USA ist jedoch sichtbarer denn je. Denn nach der Coronapandemie beginnen die USA das chinesische Jahr des Ochsen angeschlagen und China selbstbewusst.

Frank Sieren01.04.2021

Das ist für die Welt erst einmal eine große Erleichterung. In seiner ersten außenpolitischen Rede schlägt der neue amerikanische Präsident Joe Biden einen ganz anderen Ton als sein Vorgänger Donald Trump an. Für ihn ist China kein „Feind“, den es „einzudämmen“, zu „bekämpfen“ oder „auszugrenzen“ gilt und gegen den man „Sanktionen verhängen muss“, weil „China unser Land vergewaltigt“, wie Donald Trump es formuliert hat.

China ist für Biden auch kein „systemischer Rivale“, wie es die EU formuliert, sondern der „ernstzunehmendste Wettbewerber“, ein Land mit „wachsenden Ambitionen, die Vereinigten Staaten herauszufordern“, allerdings sehr wohl Teil einer neuen Entwicklung des weltweit „stärker werdenden Autoritarismus, dem man sich entgegenstellen muss“. In diesem Zusammenhang nennt Biden sogar zuerst Russland und dann China.

Die zweite gute Nachricht: Der neue US-Präsident will keine amerikanischen Alleingänge mehr, sondern „Schulter an Schulter“ mit seinen Partnern „den Muskel demokratischer Allianz wiederaufbauen“.

Wirtschaftliche Kooperation stärken

Zu den dazu notwendigen Kompromissen mit den Partnern in Europa scheint Biden, anders als Trump, bereit zu sein. „Die Freiheit verteidigen, sich für Chancengleichheit stark machen, die universellen Menschenrechte hochhalten, die Rechtsstaatlichkeit respektieren, jeden Menschen mit Würde behandeln“, sollen die Ziele aller demokratischen Staaten sein. Und die will er vor allem durchsetzen, indem er „Gegner und Wettbewerber diplomatisch einbindet“.

Er will im „Wettbewerb aus einer Position der Stärke bestehen, indem wir wieder eine bessere Heimat aufbauen“. Ein wichtiger Aspekt dabei sei die größere wirtschaftliche Zusammenarbeit. „Wenn wir in die wirtschaftliche Entwicklung anderer Länder investieren, kreieren wir neue Märkte für unsere Produkte.“ Und Biden gelingt es sogar, seine China-Politik in einem Satz zusammenzufassen: „Wir werden China mit seinen wirtschaftlichen Missbräuchen konfrontieren, Chinas Angriff auf die Menschenrechte, das geistige Eigentum und die Weltordnung. Aber wir sind bereit, mit Peking zusammenzuarbeiten, wenn es im Interesse Amerikas ist.“ Das erste gemeinsame Telefonat zwischen Biden und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinpingv erläuft ähnlich.

Peking antwortet darauf durchaus mit Erleichterung: „Wenn beide Länder sich anstrengen, können die freundlichen Engel über die bösen Kräfte triumphieren“, gibt Hua Chunying, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, die Tonlage vor. Trump hätte viel „zu viele Minen gelegt“, „zu viele Brücken niedergebrannt“ und „zu viele Straßen beschädigt“. Die müssten nun repariert werden.

„Der Xi-Biden-Telefonanruf sendet positive Signale an die Welt“, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Biden habe sich verpflichtet, „im Geiste des gegenseitigen Respekts zu kommunizieren und durch größeres gegenseitiges Verständnis Missverständnisse und Fehlkalkulationen zu vermeiden“.

Ansonsten reagiert China auf Joe Biden erfrischend und vielfältig. Der Tech-Rebell Luke Wen fordert auf „WeChat“: „Biden ab ins Mausoleum.“ Er hält dessen Politik für „eine Operation an einem sterbenden Patienten“.

Alles ein wenig entspannter

„China wird nun weniger in eine Ecke gedrängt“, glaubt hingegen Wei Zongyou, Professor an der Schanghaier Fudan-Uni. So würden mehr Zugeständnisse Pekings möglich.

Bloß nicht, fordert der Tech-News-Blog „Chaping“: „Dieses Mal muss China endlich zurückschlagen.“ Sarkastisch fügen die Blogger hinzu: Chinas Firmen seien nach dem US-Sperrgesetz gegen sie nicht mehr gezwungen „auf dünnem Eis zu tanzen“. Der „als Fairness getarnte hegemoniale Vorschlaghammer“ könne nun nicht mehr jeden Moment auf ihre Köpfe niedersausen. Huawei-Gründer Ren Zhengfei hält es mit Ying und Yang: Er halte es für „unwahrscheinlich“, dass Huawei von der Sperrliste gestrichen werde. Andererseits ist er „überzeugt“, dass Biden mehr an US-Chipfirmen denken werde. Denn die verlieren Milliarden, weil sie nicht nach China verkaufen dürfen.

Die Weltlage zu Beginn des Jahres des Ochsen ist also ein wenig entspannter. Biden möchte die Temperatur, mit der er China grillt, zwar halten, aber angesichts der Probleme zu Hause kein zusätzliches Öl ins Feuer gießen. Peking wiederum ist nicht auf Konfrontationen aus, will sich aber weniger denn je vorschreiben lassen, wie es sich entwickeln soll und wie seine Vorstellung einer multipolaren Weltordnung auszusehen hat.

Dass Peking seine Nachbarländer angreift, ist allerdings unwahrscheinlich. Selbst die chinesische Insel Taiwan nicht, solange sich an der gegenwärtigen Lage nichts ändert. Dass sich Peking, was das Südchinesische Meer betrifft, unbeugsam zeigt, ist allerdings auch offensichtlich. Das hat Biden verstanden. Er testet deshalb bei Taiwan die Grenzen aus, geht aber nicht zu weit. Einerseits lädt er zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Vertreterin Taiwans zu seiner Amtseinführung ein und entsendet gleich einen Flugzeugträger ins Südchinesische Meer, um die „Freiheit der Seestraßen“ zu sichern. Gleichzeitig stellt er die Ein-China-Politik nicht in Frage. Peking schickt Kampfjets, macht klar, wo die Grenze ist: „Die Unabhängigkeit Taiwans bedeutet Krieg.“ Daran hat Biden kein Interesse. Seine Probleme zu Hause sind zu groß. Und auch Peking nicht. Denn die Entwicklungen laufen in Pekings Richtung: Immer weniger Länder erkennen Taiwans Unabhängigkeit an. Seit 2016 sind acht Staaten abgesprungen. In Europa steht nur der Vatikan zu Taiwan, in Asien nur Kleinstländer in Mikronesien, in Afrika nur Eswatini. Taiwans Wirtschaft wird gleichzeitig mit gut 40 Prozent der Exporte immer abhängiger von China. Und die Taiwaner sind nach wie vor gespalten, was die Unabhängigkeit vom Festland betrifft, denn viele fürchten um einen Einbruch ihres Wohlstandes. An dieser Stelle also erst einmal Entwarnung.

Das große Problem ist jedoch, dass der Grundkonflikt zwischen den USA und China sich durch die Coronapandemie noch verstärkt hat. Der besteht darin, dass die amtierende Weltmacht schwächer wird, während die aufsteigende immer mehr an Kraft gewinnt. Die Wachstumszahlen 2020 sprechen für sich. Die Wirtschaft der USA bricht um 3,5 Prozent ein. Die Wirtschaft Chinas wächst um 2,3. Die USA sind isolierter denn je. Die Chinesen gründen mit RCEP in Asien die größte Freihandelszone der Welt, und Donald Trump übergibt an seinen Nachfolger ein nur um zehn Prozent geringeres Handelsbilanzdefizit als er von Barack Obama übernommen hat. Das ist nicht viel angesichts dieses brachialen Handelskrieges, den er angezettelt hat. China hat Anfang März keine lokalen Coronafälle mehr. Die USA über 50.000 Neuerkrankungen pro Tag. Die USA haben insgesamt über 500.000 Tote bei einem Viertel der Bevölkerung zu beklagen, China nur wenig mehr als 4600. Inzwischen zweifelt kaum noch jemand, dass die Zahlen stimmen.

Das bedeutet: China hat allen Grund, selbstbewusster zu sein. Und der Abstiegsschmerz der Amerikaner wird größer. Der äußert sich nicht nur in einem gekränkten Nationalstolz, sondern eben auch in geringeren wirtschaftlichen Chancen. Der Abstieg der Nation und der persönliche Abstieg gehen Hand in Hand.

Bidens große Herausforderung

Um diesen Schmerz zu lindern, hat Trump schon vor Corona einen Sündenbock gesucht und gefunden: China. Das hat vielen Amerikanern gutgetan. Sie wollen eben wieder eine Nation sein, die festlegen kann, wer gut und wer böse ist in der Welt. Ein Land, in dem es jeder zu etwas bringen konnte, wenn er nur wollte. Eine Wirtschaftsmacht, die lange bei den Innovationen den Takt angibt, so wie sie es jahrzehntelang getan hat. Erst mit Apple und Microsoft, später mit Facebook, Google und Amazon. Vor allem die 1990er-Jahre waren die Zeiten, in denen die Amerikaner die Chinesen immer wieder ermahnten, die Kraft des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs nicht zu unterschätzen. Vor allem in der Hoffnung, dass der Wettbewerb der politischen Systeme China aushöhlen würde. In der Hoffnung, dass China das gleiche Schicksal trifft wie die Sowjetunion und die USA dann noch mächtiger sein würden. Das Ende der Geschichte eben.

Doch es kam anders. Als sich abzuzeichnen begann, dass die Chinesen den Gedanken des Wettbewerbs ernst nehmen und in den Kampf gegen die technologische Vorherrschaft der USA einsteigen würden, wurden die Warnungen leiser und schließlich durch Abwehrreflexe ersetzt. Aus Herablassung wurde Bissigkeit. Aus Bissigkeit Stigmatisierung. Dass die chinesischen Kommunisten jede Menge Angriffsfläche boten, weil sie viele der Freiheiten einschränkten, auf denen die USA fußen, machte es nur leichter. Viel gebracht hat es dennoch nicht.

Joe Biden ist nun in einer schwierigen Situation. Um die USA nicht weiter international zu isolieren und von Europäern zu entfremden, schlägt er einen moderateren Kurs ein. Der Verlustschmerz nagt jedoch weiter an den Nerven seiner Bürger. Trump hatten sie gewählt aus dem tröstlichen Gefühl, dass endlich einer mit ihnen fühlt, ihnen zuhört, sie ernst nimmt. Der Trost war so stark, dass Trump fast wieder gewählt wurde, obwohl er politisch nicht geliefert hat.

Die große Frage ist nun, wie es Biden schafft, ohne China-Bashing die Herzen der Menschen seines Volkes zu erreichen, obwohl es doch dieses Jahr noch viel sichtbarer ist als vergangenes, dass China aufsteigt und die USA absteigen.

Das wird die wichtigste Frage in diesem Jahr. Und eines dabei ist schon klar. Peking wird es ihm nicht leicht machen. Denn auch Präsident Xi Jinping muss das Momentum nutzen, auch wenn er nicht gewählt wird. Jetzt ist die Zeit günstig, das Nationalgefühl weiter zu stärken. Und das geht sicherlich nicht mit großer Nachgiebigkeit gegenüber Washington.

Frank Sieren

Frank Sieren ist Autor mehrerer Bestseller und gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit über 25 Jahren in Peking.

sieren.net

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