Titelthema
Gruß aus der Altsteinzeit
Die ältesten Funde von nachweislich vom Menschen genutztem Hanf stammen aus dem Paläolithikum.
Um eine sinnvolle Debatte über den Hanf, seinen Anbau und seine moderne Nutzung führen zu können, muss zuallererst der kleine, doch entscheidende botanische Unterschied zwischen den beiden Hanf-Varietäten Cannabis indica und Cannabis sativa erklärt werden: Erstere produziert in den Blüten die berühmten berauschenden Harze. Zweitere enthält diese Droge entweder gar nicht oder nur in verschwindend geringen Mengen, sie wächst dafür jedoch deutlich höher und liefert die kostbaren Hanffasern. Für die kommerzielle Nutzung von Cannabis, etwa für die Erzeugung von Papier, Textilien, Dämmmaterialien und Nahrungsmitteln, dienen ausschließlich Zuchtsorten von Cannabis sativa. Doch auch hier bleiben Auflagen und Kontrollen äußerst streng. Die in Europa für den Anbau erlaubten Sorten werden routinemäßig auf ihren THC-Gehalt geprüft.
Hanffasern liefern heute die Grundstoffe für besonders haltbare Leichtpapiere, für Dämmstoffe und für Verbundwerkstoffe, wie sie die Autoindustrie etwa in Form von Türinnenverkleidungen mittlerweile standardmäßig einsetzt. Auch die Hanfsamen, botanisch betrachtet eigentlich Nüsschen, sowie das daraus gepresste Hanföl sind immer häufiger in diversen Reformabteilungen zu finden, da sie als ausnehmend gesund gelten.
1850 wurde Hanfpapier von Zellulose ersetzt
Es steht also nicht die Droge, sondern vor allem die Faser im Vordergrund – und tatsächlich war das über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg der Fall. Die Rehabilitation der Cannabispflanze als vielseitig nutzbare natürliche Ressource hat aufgrund der von den USA ausgehenden Cannabis-Prohibition im 20. Jahrhundert eine gerade einmal zwei Jahrzehnte junge Geschichte. Erst seit den 1990er Jahren lockern sich die Vorschriften wieder und der Hanfbauer kehrt in den USA und auch in Europa da und dort zurück. Dem steht jedoch eine fast vergessene jahrtausendealte Nutzung gegenüber.
Die ältesten Funde von nachweislich vom Menschen genutztem Hanf stammen aus dem Paläolithikum. Archäologen fanden etwa 34.000 Jahre alte Hanffasern in der Dzudzuana-Höhle im heutigen Georgien. Vor zumindest 4800 Jahren, wahrscheinlich aber schon früher, verstanden sich die Chinesen darauf, Hanf zu kultivieren und, wie Funde dokumentieren, aus den Fasern Seile zu drehen. Man nimmt an, dass auch Stoffe aus Hanffasern gewebt wurden, doch davon blieb nichts erhalten. Eine weitere Nutzung dokumentiert ein etwa 2000 Jahre altes Stückchen Hanfpapier, das auf der Rückseite eines Bronzespiegels in einem Grab in Zentralchina entdeckt wurde.
Der Hanf spielte tatsächlich bei der Erfindung des Papiers die Hauptrolle, und er blieb bis zur Einführung des vergleichsweise schnell alternden und minderwertigen Holz-Zellulose-Papiers Mitte des 19. Jahrhunderts die wichtigste Zutat. So wurde etwa die Gutenberg-Bibel auf Hanfpapier gedruckt wie auch die ersten beiden Entwürfe der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und die gesamte Weltliteratur von Cervantes bis Schiller. Erst 1850 wurde das Hanfpapier von billigerem Papier abgelöst.
Weltumspannende Handelsnetze dank Hanf
Auch in Europa hat der Hanf eine lange Geschichte. Die ältesten Textilfunde etwa stammen aus keltischen Gräbern und sind rund 2500 Jahre alt. Seine Blütezeit erlebte der Hanfanbau hier jedoch erst ab dem 17. Jahrhundert mit dem beginnenden Zeitalter des Handels und der Seefahrt. Denn kein anderes Material der damaligen Zeit erwies sich als haltbarer und verlässlicher als die Cannabis-Faser. Um ein einziges Segelschiff mit Tauen und Segeln auszustatten, waren mehrere Tonnen Hanf vonnöten. Tatsächlich wären weltumspannende Handelsnetze, wie sie etwa die Segelflotten der Niederländer und der Briten etablierten, ohne den Hanf und seine extreme Widerstandskraft gegen Nässe und Salz nicht möglich gewesen.
Um aufzuzeigen, wie vielfältig die Hanfnutzung war, ein Beispiel: Selbst die Maler des sogenannten Goldenen Zeitalters, berühmt für die Gemälde prachtvoller Segelschiffe bei Sturm oder Flaute, verwendeten Hanfprodukte unterschiedlichster Art. Die leichtere und zusammengerollt transportierbare Hanfleinwand löste das unhandliche Tafelbild ab. Die Maler mischten ihre Farbpigmente nebst Leinauch in Hanföl, das zudem auch als Brennstoff für die Öllampen diente.
Erst im Jahr 1611 erreichte der Hanf schließlich auch Nordamerika, wo er binnen kürzester Zeit zu einem der wichtigsten Agrarprodukte wurde. Sowohl George Washington als auch Thomas Jefferson begründeten ihren Wohlstand als Hanfbauern. Levi Strauss schneiderte seine erste unverwüstliche Arbeitshose aus Hanf-Baumwoll-Denim und erfand damit die Jeans. Der Hanf spielte eine derart wichtige wirtschaftliche Rolle, dass er ab den 1630er Jahren bis in das frühe 19. Jahrhundert als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt war, mit dem man nicht nur Geschäfte abwickeln, sondern sogar seine Steuern bezahlen konnte. In China war das deutlich früher bereits der Fall gewesen. Ab 500 vor unserer Zeitrechnung konnten Chinesen die Regierungssteuer mit Hanfstängeln begleichen. In Europa forderte Karl der Große von den Bauern per Dekret explizit den Anbau von Hanf, und auch hier konnten Steuern mit Hanfsamen beglichen werden.
Siegeszug der Baumwolle
Das Ende der Blütezeit der Cannabispflanze setzte erst mit der industriellen Revolution und der Erfindung der Dampfmaschine ein. Ozeandampfer lösten die Segelschifffahrt ab, und die bisher treue Kundschaft der Seilereien und Textilwebereien stellte ihre Aufträge ein. Als Ende des 18. Jahrhunderts schließlich noch die ersten Baumwollerntemaschinen über die Felder zu fahren begannen und Baumwollstoff konkurrenzlos billig wurde, begann der Hanfanbau zusehends abzunehmen, bis er im Zuge der Cannabis-Prohibition verboten wurde und rund um den Globus fast vollkommen verschwand.
Nur einmal erlebte er eine kleine, vorübergehende Renaissance: Aufgrund der Ressourcenknappheit und den darniederliegenden Handelsbeziehungen während des Zweiten Weltkriegs riefen sowohl Deutschland als auch die USA zum Anbau der rasch wachsenden Pflanze auf. Das amerikanische Landwirtschaftsministerium schwor die Bauern mit dem Propagandafilm Hemp for Victory auf die Produktion des kriegswichtigen Rohstoffs ein, und der Reichsnährstand des Deutschen Reichs gab zur gleichen Zeit Die lustige Hanffibel heraus, eine illustrierte und in Reimen abgefasste Ode an den Hanf, die alle Tugenden der damals zwar bereits verdammten, plötzlich jedoch wieder probaten Pflanze in Reimen auflistete:
Wer Wäsche seilt bei Wind und Wettern,
wer mit dem Bergseil hoch will klettern,
wer weben will und feste binden,
wer segelt unter starken Winden,
wer mit dem Tau am Kai hantiert,
wer mit dem Strick den Bullen führt,
wer Pferde muß mit Lasso fangen,
wer will, daß Fisch’ im Netze hangen,
wer mit dem Schlauch bekämpft die Brände,
wer baumelt an des Schwimmgurts Ende,
wer auf Strickleitern klettert steil,
wer tanzt und turnt hoch auf dem Seil,
wer in dem Boxring, arg zerhauen,
sich retten muß zu Seil und Tauen,
wer abseilt tief in finstre Schächte –
der nehme nur die Hanfgeflechte!
Buchtipp
Ute Woltron
Hanf. Ein Porträt
Matthes & Seitz 2020,
159 Seiten, 20 Euro
Ute Woltron ist Journalistin und Autorin aus Österreich. Als in ihrem Garten plötzlich eine Hanfpflanze heranwuchs, recherchierte sie über Cannabis und bekam damit ihre Migräne in den Griff.
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