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Interview zu Iran

»Gut-Böse-Schema ist nicht die Realität«

05.06.2014

Der im Iran geborene Journalist Ali Reza Eshraghi, 35, ist Projektmanager am Institute for War and Peace Reporting und Lehrassistent im Department of Communication Studies an der University of North Carolina at Chapel Hill. Nach Anstellungen bei mehreren Zeitungen in Teheran – die nach und nach alle von der Regierung verboten wurden – wechselte er als Gastprofessor an die University of California, Berkeley, wo er Pate Thomson und Mary Alice Rathbun vom Rotary Club Berkeley kennenlernte. 2012 schluss er seine Studien als Rotary Friedensstipendiat am Duke-UNC Rotary Peace Center ab.

The Rotarian: Sie wurden kurz vor der Iranischen Revolution 1979 und dem Beginn des Krieges 1980 geboren. Wie war es, dort aufzuwachsen?

Eshraghi: Es war eine Zeit der Wirren und dramatischer Veränderungen. Ich wurde in Isfahan geboren, einer historischen Stadt mit atemberaubender Architektur, spektakulären Palästen und wunderschönen Prachtalleen. Sie blieb jedoch nicht unverschont von den Luftangriffen und Raketen der Iraker. Einige meiner Klassenkameraden kamen bei diesen Angriffen ums Leben.

TR: Wie hat sich die Situation für Journalisten verändert, seit Sie aus Teheran weggegangen sind?

Eshraghi: Als Journalist im Iran ist es, als müsste man mit geschlossenen Augen über ein Minenfeld laufen. Man fühlt sich ständig bedroht. Jeder leidet unter dem "Türklingel-Syndrom" – der Angst davor, dass Sicherheitskräfte einen abholen kommen. Ich war 2009 nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen nicht im Iran, doch viele Journalisten wurden festgenommen und sitzen heute noch im Gefängnis. Als Hassan Rouhani 2013 Präsident wurde, begannen sich die Dinge etwas zu verbessern, doch Angst und Sorgen verfolgen iranische Journalisten weiter.

TR: Was ist das Institute for War and Peace Reporting?

Eshraghi: Es ist eine gemeinnützige Organisation für Medienentwicklung mit Büros in verschiedenen Teilen der Welt – insbesondere in Konfliktgebieten. Sie versucht Menschen in schwierigen Situationen dabei zu unterstützen, miteinander zu kommunizieren, ihre Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen und bessere Entscheidungen zu treffen, die auf akkuraten Informationen beruhen.

TR: Stehen Sie den Veränderungen im politischen Klima des Iran optimistisch gegenüber?

Eshraghi: Ich bin vorsichtig optimistisch. Besonders optimistisch bin ich, wenn es um die Menschen im Iran geht, die es geschafft haben, moderatere Kräfte im Land an die Macht zu bringen. Der Iran liegt in einer Region voller Konflikte – der blutigen Konterrevolution in Ägypten, Spannungen in Tunesien, Unsicherheiten in Libyen und Jemen, des gewaltsamen Bürgerkriegs in Syrien, des harten Vorgehens gegen demokratische Bewegungen in Bahrain. Die Menschen im Iran setzten ihre Forderungen in einer derartigen Atmospähre auf die denkbar zivilste Art und Weise um. Wahlen sind hier immerhin eine jahrhundertealte Tradition.

TR: Welche Hindernisse stehen friedvollen Beziehungen zwischen dem Iran und dem Westen im Weg?

Eshraghi: Der Iran und die USA kennen sich gegenseitig nicht sehr gut und Missverständnisse haben zu einer Reihe von schlechten politischen Entscheidungen geführt. Der erste Schritt bei Konfliktlösungen ist es, beide Seiten davon abzubringen, einander unilaterale Entscheidungen aufzuzwingen. Der anderen Seite sollte ein Angebot unterbreitet werden, zu der sie ja sagen kann ohne sich so zu fühlen als würde sie kapitulieren.

TR: Was sollten die Leute über den Iran wissen?

Eshraghi: Der Iran ist, wie jedes andere Land, ein komplizierter Ort. In den amerikanischen Medien werden Beiträge oft in einem sehr vereinfachten Gut-Böse-Schema vermittelt. Das ist jedoch nicht die Realität. Die Gesellschaft und die Regierung sind eng miteinander verstrickt; manchmal kooperieren sie und manchmal ist die Regierung gezwungen, die Forderungen der Gesellschaft zu akzeptieren.


Quelle: The Rotarian