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Die Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft

Le couple franco-allemand

Ulrich Lappenküper20.06.2012

Seit den Zeiten Konrad Adenauers und Charles de Gaulles ist das Bild vom „couple“ zur gängigen Chiffre für das deutsch-französische Verhältnis geworden. Gemeint sind damit nicht die Zehntausenden binationalen Ehepaare, sondern die „couples“ der deutschen und französischen Staatsmänner. Deren erste „Trauung“ fand am 8. Juli 1962 in der Kathedrale von Reims zum Abschluss eines Staatsbesuchs von Konrad Adenauer statt: der Kanzler und der General vor zwei mit Samt bezogenen Gebetsstühlen – ein Bild, das um die Welt ging.

Entgiftung der Beziehungen

Blickt man auf die zur „Erbfeindschaft“ verdichteten historischen Verwerfungen war die „Eheschließung“ nach dem Zweiten Weltkrieg alles andere als selbstverständlich. Begonnen hat das Verhältnis denn auch keineswegs aus Zuneigung, sondern aus Vernunft, und auch nicht mit Adenauer und de Gaulle, sondern mit Adenauer und Robert Schuman: „Entgiftung der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, Sicherung des Friedens, Schaffung eines Klimas der Zusammenarbeit in Richtung Europa“, so lautete das Credo des französischen Außenministers.

Nach der Machtübernahme de Gaulles 1958 drohten die seit 1950 gereiften Früchte der deutsch-französischen Verständigung zu verdorren. Adenauer begegnete dem General mit tiefem Argwohn, verband mit ihm das Streben nach „grandeur“, Prestige und staatlicher Unabhängigkeit. Beide Staatsmänner stimmten darin überein, dass Europa dringend der Einigung bedürfe, um sich machtpolitisch zu behaupten und ökonomisch den Wiederaufbau voranzutreiben. Diese Einigung aber setzte Einigkeit zwischen Frankreich und Deutschland voraus.

Vor dem Hintergrund wachsenden Misstrauens gegenüber den Supermächten regte de Gaulle 1960 eine Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit auf der Basis einer „entente franco-allemande“ an. Als Knackpunkt entpuppte sich neben der Frage, ob die nun anvisierte Europäische Union intergouvernemental oder supranational organisiert sein sollte, das Verhältnis zu England. Beide Staatsmänner lehnten eine Teilnahme der Briten am europäischen Projekt ab, wohingegen ihre Partner in der EWG darauf bestanden, die Inselmacht nicht auszuschließen. Da sich die Sechsergemeinschaft nicht einigen konnte, schwenkten de Gaulle und Adenauer 1962 zum Alternativprojekt einer „Union politique à deux“ um.

Ungeachtet massiver Widerstände unterzeichneten sie am 22. Januar 1963 einen Freundschaftsvertrag, der sie zu regelmäßigen Konsultationen auf den Gebieten der Außen-, Verteidigungs- und Jugendpolitik verpflichtete.
Nach der Ernennung Ludwig Erhards zum Nachfolger Adenauers gerieten die deutsch-französischen Beziehungen in eine langjährige Periode dauernder Konflikte. De Gaulle zielte nun auf ein die Nationalstaatlichkeit bewahrendes „europäisches Europa“, das unter der Ägide Frankreichs gleichberechtigt neben den Weltmächten agieren sollte. Erhard hingegen strebte ein supranationales „Europa der Freien und Gleichen“ als gleichwertigen Bundesgenossen der USA an. Die Stunde der Wahrheit schlug Mitte 1964, als der General die Bonner Regierung zu einem bilateralen Zusammenschluss als Kern einer späteren europäischen Föderation „vom Atlantik bis zum Ural“ aufforderte. Im Gefühl, zu einer Option für Frankreich gezwungen zu werden, lehnte der Kanzler die Offerte ab. Überzeugt, dass Frankreich seine Interessen nur mehr im Alleingang durchsetzen könne, attackierte de Gaulle daraufhin das Streben der Bundesregierung nach nuklearer Mitsprache in der NATO, brach in der EWG die Politik des „leeren Stuhls“ vom Zaun, bahnte engere Beziehungen zur Sowjetunion an und trat aus der militärischen Integration der NATO aus. Der Elysée-Vertrag hatte Geist und Substanz verloren.   

Der Amtsantritt der Großen Koalition 1966 ließ beiderseits des Rheins Hoffnung auf Besserung aufkommen. Schon die Frankophonie von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Außenminister Willy Brandt wurde als günstiges Zeichen gedeutet. Doch die Grenzen der bilateralen Kooperation blieben eng gesteckt. De Gaulles wiederholtes Veto gegen einen EWG-Beitritt Großbritanniens, sein Drängen auf eine deutsche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und sein Beharren auf die Abnabelung Europas von den USA ließen die Euphorie des Neuanfangs bald versiegen. Exponiert an der Nahtstelle des Ost-West-Konflikts, lehnte Kiesinger sein Angebot einer „präferentiellen Zusammenarbeit“ strikt ab. Ende 1968 drohte dem von de Gaulle einst gerühmten „Wunder der deutsch-französischen Aussöhnung“ das Ende. Als die Bundesregierung im Zuge einer europäischen Währungskrise hartnäckig allen Forderungen nach einer Aufwertung der DM widerstand, brach in Frankreich die Furcht vor einer deutschen Hegemonie aus.

Vernunftehe aus Neigung

Mit dem Rücktritt des General-Präsidenten im Frühjahr und der Abwahl der Großen Koalition im Herbst 1969 wurden die Karten neu gemischt. Doch das „Spiel“ begann nicht eben verheißungsvoll. Staatspräsident Georges Pompidou deklarierte die deutsch-französischen Beziehungen nur noch als grundlegend und beäugte die „Neue Ostpolitik“ Willy Brandts mit größtem Misstrauen. Im Gegenzug spielte Frankreich im Kalkül des Kanzlers eine eher nachgeordnete Rolle. Da er aber nie vergaß, seine Ostpolitik nur mit einem konstruktiven Verhältnis nach Westen absichern zu können, setzte Brandt Ende 1969 in enger Absprache mit Pompidou weitreichende Beschlüsse der EWG in Richtung auf eine Erweiterung und Vertiefung der Gemeinschaft durch. Nach dem hoffnungsvollen Anfang geriet die „entente élémentaire“ (Willy Brandt) indes wieder aus dem Takt. Als die USA die Beendigung des Vietnamkrieges mit einer Neudefinition der transatlantischen Beziehungen verbanden, drohte dem „Couple“ fast die Scheidung.

Der Tod Pompidous im April und der Rücktritt Brandts im Mai 1974 boten die Gelegenheit für einen Neuanfang. Weniger Visionäre denn scharfsinnige Analytiker der Macht, redeten der liberale Präsident Valéry Giscard d‘Estaing und der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt einer politischen „Vernunftehe aus Neigung“ das Wort. Die von der Sowjetunion begonnene Aufrüstung mit modernen Mittelstreckenraketen und der Amtsantritt des US-Präsidenten Jimmy Carter gaben ihrem „Tandem“ zusätzlichen Schwung. Überzeugt von der Notwendigkeit, den Krisenmechanismus der EG wegen der weltwirtschaftlichen Verwerfungen im Zuge der Erdölkrise stärken zu müssen, initiierten sie die Bildung eines „Europäischen Rats“ und brachten das Projekt eines Europäischen Währungssystems auf den Weg. Besorgt über die Friktionen zwischen den Supermächten nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und der Verkündung des NATO-Doppelbeschlusses, bemühten sich Giscard und Schmidt nach Kräften, die Kooperation noch enger zu gestalten. Eine Umsetzung ihres anspruchsvollen Programms blieb ihnen jedoch verwehrt, weil Giscard sein Amt 1981 an den Herausforderer François Mitterrand verlor.

Von »Schmitterand« zu »Merkozy«

Mitterrand setzte zwar auf außenpolitische Kontinuität, der Bundesrepublik eine Sonderrolle zuzugestehen, lehnte er aber strikt ab. Nach gut einem Jahr nötigten ihn die inneren Schwierigkeiten beider Länder zu einem Kurswechsel. Paris geriet erneut in finanzpolitische Strudel, die es nur dank Bonner Stützungsmaßnahmen in den Griff bekam; und in der Bundesrepublik beschwor der Dissens über den NATO-Doppelbeschluss die Gefahr eines deutschen National-Neutralismus herauf. Im Bewusstsein ihrer gegenseitigen Abhängigkeit versicherten sich Mitterrand und Schmidt der „solidarité franco-allemande“, ohne aber in jene Euphorie zu verfallen, die Karikaturisten zur Wortschöpfung „Schmitterrand“ animierte.

Aus Sorge um die „incertitudes allemandes“ leitete Mitterrand mit der neuen Bundesregierung unter Helmut Kohl ab 1984 eine neue „Blütezeit“ in den deutsch-französischen Beziehungen ein. Mochten ihre gesellschaftlichen Vorstellungen und ihre Charaktere sie auch trennen, trugen sie maßgeblich dazu bei, die EG von ihrer seit Jahren schwärenden „Eurosklerose“ zu heilen. Der weltpolitische Umbruch des Jahres 1989/90 warf das „couple“ indes in eine tiefe Krise. Mitterrand focht die prinzipielle Legitimität eines deutschen Nationalstaates zwar nicht an, wünschte dessen Wiedergeburt aber ad calendas graecas zu verschieben. Nur mühsam fasste das Tandem nach 1990 wieder Tritt, funktionierte dann aber doch so gut, dass die seit Jahren stagnierende Debatte über eine europäische Wirtschafts- und Währungsunion 1992 zum Abschluss gebracht werden konnte.   

Nach der Demission Mitterrands 1995 und der Abwahl Kohls 1998 stellte sich der Eindruck ein, als ob die in Berlin und Paris nun regierenden Akteure die bilaterale Freundschaft eher lustlos verwalteten, denn aktiv gestalteten. Erst im Vorfeld des 40. Jahrestages der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages 2003 leiteten der neo-gaullistische Staatspräsident Jacques Chirac und der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Wende ein. Maßgeblich befördert von heftigen Vorwürfen der US-Administration gegen das „alte Europa“, schmiedeten Chirac und Schröder vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen den USA und dem Irak eine Anti-Kriegs-Allianz und stellten dem Unilateralismus Amerikas die Vision einer multipolaren Welt entgegen.

Der Sieg Angela Merkels bei den Bundestagswahlen 2005 löste in Paris höchst gemischte Gefühle aus. Die Wahl Nikolas Sarkozys 2007 war nicht dazu angetan, die Lage zu verbessern. Sein Lieblingsprojekt einer „Union pour la Méditerrannée“ und das Plädoyer für eine „nouvelle entente franco-britannique“, aber auch Merkels Energie- und Afrikapolitik boten stets aufs Neue reichlich Konfliktstoff. Erst 2011 sollte es ihnen gelingen, den deutsch-französischen „Motor“ neu zu starten. Offen zugebend, dass es ihnen „nicht in die Wiege gelegt“ worden sei, „freundschaftlich zusammenarbeiten“, leistete das von den Medien „Merkozy“ getaufte Paar der Eindämmung der Euro-Krise entscheidenden Vorschub. Ob Frankreich den 2012 unterzeichneten Fiskalpakt ratifizieren wird, erscheint indes unklar, hatte der neu gewählte Staatschef François Hollande doch schon im Wahlkampf keinen Hehl daraus gemacht, den Pakt nachbessern zu wollen.

Führt man sich die nationalistischen Exzesse des 19. und 20. Jahrhunderts vor Augen, kann die Vermählung des deutsch-französischen „couple“ nur als „Wunder“ bezeichnet werden. Zur Verklärung besteht indes kein Anlass. Wie manch anderes modernes Paar liberal und tolerant, ist es vor einem Erlöschen der Zuneigung nicht gefeit. Sein größter Feind, so schreibt der kluge französische Journalist Jacques Juillard, sei die Dauer der Beziehung, sein wichtigster Trumpf, „qu‘on n‘a rien trouvé d‘autre pour le remplacer“. Reicht die Erkenntnis, keinen anderen Partner zu finden, aber aus, die anstehenden Herausforderungen des politischen Lebens gemeinsam bewältigen zu können? n

Ulrich Lappenküper
Prof. Dr. Ulrich Lappenküper (RC Hamburg-Bergedorf) ist Historiker und Vorstandsmitglied der Otto-von-Bismarck-Stiftung. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher. Als Herausgeber erschien zuletzt „Der preußisch-österreichische Krieg 1866“ (Ferdinand Schoeningh, 2018). bismarck-stiftung.de

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