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Die Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh und Schönhausen

Begehbare Geschichte

Vor 200 Jahren, am 1. April 1815, wurde der spätere preußische Ministerpräsident und Reichskanzler in Schönhausen geboren. Die Beiträge dieses März-Titelthemas widmen sich seiner Zeit und seiner Politik – die heute manchmal aktueller sind als gemeinhin angenommen.

Ulrich Lappenküper17.03.2015

Von Winston Churchill ist das Bonmot überliefert: „We all are worms. But I do believe that I am a glow-worm!“ Zum 50. Todestag des britischen „Glühwurms“ am 24. Januar hatte sich in Großbritannien ein Gremium namens „Churchill 2015“ gebildet, das die vielfältigen Gedenkveranstaltungen im Lande koordiniert. Zum 200. Geburtstag Otto von Bismarcks am 1. April wird es eine derartige nationale Koordinierungsstelle nicht geben, obwohl doch auch der erste deutsche Reichskanzler gewiss zu den „Glühwürmern“ der Geschichte gehört.


Dass der Bund sich der Bedeutung dieser Jahrhundertgestalt gleichwohl bewusst ist, belegt die Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh bei Hamburg. Seit den späten 1980er Jahre hatten Vertreter des Bundes, des Landes Schleswig-Holstein, der Gemeinde Aumühle und der Familie von Bismarck die Frage diskutiert, wie die Bedeutung des preußisch-deutschen Staatsmannes für die europäische Geschichte an seinem jahrzehntelangen Wohnort angemessen präsentiert werden könne. Der Gründe dafür gab es viele: Bismarck hatte nicht nur mit der Einigung des Deutschen Reiches die Landkarte Europas nachhaltig verändert und anschließend als „ehrlicher Makler“ maßgeblich an der Bewahrung des Friedens mitgewirkt. Er hatte auch mit zentralen innenpolitischen Weichenstellungen wichtigen Elementen der Moderne in Deutschland zum Durchbruch verholfen. Für den damaligen Kieler Kultusminister Peter Bendixen und Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann kam es über diese historischen Erwägungen vor allem darauf an, „die Pflege des Bismarck‘schen Erbes nicht weiterhin allein der Familie [zu] überlassen“.

Wahrung des Andenkens

Nach jahrelangen Beratungen, der inzwischen vollzogenen Wiedervereinigung Deutschlands und einem Rückzieher der schleswig-holsteinischen Landesregierung sah der Bund die Lösung des Problems schließlich in der Gründung einer Otto-von-Bismarck-Stiftung. 1994 durch Erlass des Innenministers Manfred Kanther als unselbstständige Institution im Geschäftsbereich seines Hauses aus der Taufe gehoben, wurde sie drei Jahre später per Gesetz des Deutschen Bundestages in eine selbstständige Stiftung des öffentlichen Rechts umgewandelt. Als „Zweck“ definierte das Gesetz die Wahrung des Andenkens an das Wirken des Staatsmannes Otto von Bismarck sowie die Sammlung, Verwaltung und Auswertung seines Nachlasses „für die Interessen der Allgemeinheit in Kultur und Wissenschaft, Bildung und Politik“.


An ihrem im Jahre 2000 bezogenen Sitz im historischen Bahnhofsgebäude von Friedrichsruh erfüllt die Otto-von-Bismarck-Stiftung diese Aufgaben seither als Stätte wissenschaftlicher Forschung wie als Ort historisch-politischer Bildungsarbeit. Im Mittelpunkt ihres wissenschaftlichen Tagesgeschäfts steht die Edition der „Neuen Friedrichsruher Ausgabe“ der „Gesammelten Werke“ Otto von Bismarcks. Darüber hinaus organisiert die Stiftung Symposien und Workshops, mit denen sie bestehende Lücken in der Bismarck-Forschung zu schließen beabsichtigt. Zu ihren wissenschaftlichen Aufgaben gehören ferner die Publikation geschichtswissenschaftlicher Studien, die Vervollständigung der Archivbestände und der sukzessive Ausbau ihrer einzigartigen Bismarck-Bibliothek.


Wie die übrigen vier Politikergedenkstiftungen des Bundes ist die Otto-von-Bismarck-Stiftung aber kein reines Forschungsinstitut; dem Errichtungsgesetz entsprechend, dient sie vielmehr zugleich als Stätte moderner historisch-politischer Bildungsarbeit. Unverzichtbar ist für sie dabei ihre Dauerausstellung, die das Leben und die Zeit des preußisch-deutschen Staatsmannes „begehbar“ macht. Neben Wechselausstellungen, Vortragsveranstaltungen, Kinovorführungen historischer Filme sowie Führungen durch den Erinnerungsort Friedrichsruh bietet die Stiftung überdies ein umfangreiches museumspädagogisches Programm für Schüler, Studenten, politische Multiplikatoren, letztlich alle historisch interessierten Bürger.


Die Leistungen der Jahrhundertgestalt Bismarck zu würdigen, ohne die Grenzen und Defizite seines Handelns zu ignorieren, die vielschichtigen Probleme der von ihm nachhaltig mitgestalteten Ära auch in ihrer europäischen, ja globalen Dimension aufzuzeigen und dabei stets den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart zu verdeutlichen, darin sieht die Otto-von-Bismarck-Stiftung ihre zentralen Aufgabe.

Kontinuierliche Erweiterung

Seit der Gründung hat sie ihre Tätigkeitsfelder kontinuierlich ausgebaut und mittlerweile um zwei Standorte erweitert. 2007 schloss die Stiftung mit dem Land Sachsen-Anhalt, dem Landkreis Stendal und Bismarcks Geburtsort Schönhausen an der Elbe einen Kooperationsvertrag über die gemeinsame Förderung des Schönhauser Bismarck-Museums. Zusammen mit dem von der Stiftung aufgestellten Bildungsprogramm regt das Ensemble der mit Bismarck in Schönhausen verbundenen historischen Stätten zur Auseinandersetzung mit der europäischen Geschichte an und leistet einen wichtigen Beitrag zur Demokratieerziehung. Seit 2009 betreut die Otto-von-Bismarck-Stiftung außerdem das ihr als Dauerleihgabe anvertraute private Bismarck-Museum in Friedrichsruh mit nationalen Kulturgütern ersten Ranges.


Auch 200 Jahre nach Bismarcks Geburt ist die Auseinandersetzung mit seiner faszinierenden, komplizierten, von Widersprüchen nicht freien Persönlichkeit und mit seiner Zeit aktuell und wichtig. Dank der Vernetzung von Wissenschaft und historischer Bildung, von Museen, Archiv, dem „virtuellen Friedrichsruh“ des Stiftung-Portals und dem Bismarck-Mausoleum gibt es in der Bundesrepublik keine anderen Erinnerungs- und Lernorte, an denen man seine Kenntnisse über die für Europa so wesentliche Epoche des „langen“ 19. Jahrhunderts und über einer seiner Schlüsselfiguren besser vertiefen kann als in der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh und Schönhausen.