Standpunkt
Rotary in der Zeitenwende
Eine „unpolitische Gemeinschaft“ war Rotary nie und sollte es auch nicht sein. Politisches Handeln zielt auf die Gestaltung des Zusammenlebens – und hier sind wir gefragt
Die friedlichste Zeit der Menschheit ist vorbei, auch in Europa. Die aktuellen Kriege und Konflikte zeigen, dass etwas ins Wanken geraten ist. Wir erleben die Ablösung von einer regelbasierten Weltordnung auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen zu einer machtbasierten durch Autokratien, auch unter Anwendung brutalster Gewalt. Rotary lebt und agiert in dieser sich verändernden Welt. Es ist höchste Zeit, dass wir daraus die notwendigen Konsequenzen für unser Denken und Handeln ziehen, bei Rotary International und bei uns in Deutschland. Was meine ich damit?
Wir verstehen uns immer noch als eine „unpolitische humanitäre Gemeinschaft“, so gerade wieder von „höchster Stelle“ publiziert und in den Clubs nachgesprochen. Das sind wir nicht, und das waren wir nie. Politisches Handeln zielt auf die Gestaltung des Zusammenlebens. Und wir bei Rotary greifen in diese Gestaltungsprozesse ein, wenn wir einen Baum in Afrika pflanzen gegen den Klimawandel oder eine Notunterkunft für ausgebombte Bürger in der Ukraine errichten, nicht wertfrei und nicht neutral. Die Menschenwürde und ein friedliches Zusammenleben der Völker bilden dabei den Kern unseres rotarischen Wertekanons. Wenn dies in einer krisenbehafteten Welt missachtet wird, dann haben wir es klar zu benennen und den betroffenen Menschen Hilfe und Unterstützung zu leisten. So habe ich Freund Holger Knaack als RI-Präsidenten im Jahre 2020 verstanden: „But when things obviously go wrong, we cannot look away. Rotarians must not be speechless. We stand by our values and our four-way test. We are measured not only by our results, but also by our attitude.“ Wenn ich dies zum Maßstab nehme, dann sind wir dem mit den offiziellen Verlautbarungen sowohl bei der russischen Aggression in der Ukraine als auch bei dem Terrorangriff der Hamas auf Israel nicht gerecht geworden. Das unauffällige Beschweigen und das unterkühlte Relativieren helfen niemandem, auch uns selbst nicht, wenn wir global wirkmächtig bleiben wollen. Und wir deutschen Rotarier sollten uns fragen, ob wir die Lehren aus unserer Geschichte von 1928 bis 1937 gelernt haben. So weit zu unserer Haltung, über die es nachzudenken und die es auszusprechen gilt.
Aber was ist jetzt zu tun? In dieser veränderten Weltlage sehe ich drei Schwerpunkte für unser zukünftiges Handeln.
Erstens: Rotary muss den Menschen Hilfe leisten, die von den schrecklichen Kriegen und Konflikten betroffen sind. Das ist jetzt „unsere Friedensarbeit“. Wir können diesen Menschen nicht den Frieden bringen, wir sind auch keine Soforthilfeorganisation. Aber wir können mit unseren Möglichkeiten und Mitteln das unermessliche Leid in den Kriegsgebieten oder bei den geflohenen Schutzsuchenden mildern, ihr Weiterleben in Würde ermöglichen. Die Initiative „Krieg in Europa – Rotary hilft“ ist hierzu ein großartiges Beispiel. Jetzt, nach zwei Kriegsjahren wird unser Durchhaltevermögen auf eine Bewährungsprobe gestellt. Die Akkumulation von Kriegen, Terror und Krisen wird sich fortsetzen. Wir sollten uns besser darauf vorbereiten, bei Rotary International, der Foundation und in den Distrikten und Clubs.
Zweitens: Auch im Kontext von Krieg und Frieden und weit darüber hinausreichend, ist die Bekämpfung des Klimawandels eine gewaltige Menschheitsaufgabe. Die kritischen Kipppunkte sind hier noch nicht erreicht. Der ökonomisch-ökologische Umbau muss schleunigst gestaltet werden, um die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zu erhalten. Auch wir Rotarier müssen unser Umweltverhalten ändern, sollten hier Vorbilder sein. Wir können mit kleinen und großen Projekten vor Ort und global viel leisten. Es zählt jedes Wasserprojekt und jedes Pflanzen eines Baumes. Rotary muss den Umweltschutz noch viel stärker als bisher als prioritäre Aufgabe annehmen.
Drittens: Unsere Gemeinwesen sind weltweit, auch hier bei uns, von zunehmender Polarisierung und Radikalisierung gekennzeichnet. Dadurch entsteht Misstrauen und Angst vor der Zukunft, Vertrauen und Zuversicht gehen verloren. Zugleich hat sich mehr Ungleichheit entwickelt, mehr Ungerechtigkeit wird empfunden. Hier sind wir jetzt als Rotarier gefordert, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Jeder Rotarier kann dazu beitragen: durch das Eintreten für die Würde jedes einzelnen Menschen jeder Herkunft und Hautfarbe, durch den Beistand für die Schwächsten und die Menschen in Not, in unmittelbarer Umgebung oder global. Bildungsarbeit gebührt dabei besondere Aufmerksamkeit. Dieses dritte Handlungsfeld ist Teil unserer DNA. Rotary und Zeitenwende sind in Einklang zu bringen, durch das Eintreten für unsere Werte und ein strategisch ausgerichtetes Handeln auf die Erfordernisse einer sich fundamental verändernden Welt.
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Armin Staigis, RC Chemnitz-Schlossberg, Past-Governor 2022/23 Distrikt 1880, Gesamtkoordinator DGR Task-Force „Ukraine-Hilfe“