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Standpunkt

Über den Umgang mit Menschen – auch bei Rotary

Standpunkt - Über den Umgang mit Menschen – auch bei Rotary
Henrich Wilckens © privat

Rotarische Werte in Theorie und Praxis

Henrich Wilckens01.08.2022

Adolf Knigge hat vor 234 Jahren geschrieben: „Der, welchen nicht die Natur schon mit dieser glücklichen Anlage hat geboren werden lassen, erwerbe sich Studium der Menschen, eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung, Gewalt über heftige Leidenschaften, Wachsamkeit auf sich selber und Heiterkeit des immer gleich gestimmten Gemüts; und er wird sich jene Kunst zu eigen machen.“

Wenn ein rotarisches Mitglied, geprägt durch berufliche Erfolge und persönliche Anerkennung, sich zunächst im Club mit den Themen von Rotary vertraut macht, im nächsten Schritt sich für Ämter im Club, Distrikt und national/international bereit erklärt, betritt er oder sie neues Terrain: Es beginnt eine ehrenamtliche Tätigkeit, die anderen Regeln unterliegt als das berufliche Umfeld. Martin Gutsche, Past-Gov. D1850 hat es so formuliert: „Die ehrenamtliche Führung ist die Königsdisziplin der Führung.“ Das Mitglied trifft nun auf etwas sehr Ungewohntes: seinesgleichen, mit allen Persönlichkeitsmerkmalen, die im Beruf selbstverständlich sind, landläufig Alphatiere genannt.

Ein Kenner der Materie analysiert: „Wie überall, so gibt es auch bei uns drei Kategorien an Menschen: Macher, Mitmacher und Machenlasser. Die ersten beiden sind der rotarischen Idee meist zuträglich, denn sie sind im besten rotarischen Sinn ‚People of Action‘. Interessant ist, dass es bei den Machenlassern auch eine kleine Anzahl an Menschen gibt, die offensichtlich ebenso viel Freude daran empfinden, etwas zu verhindern, wie die Macher es beim Machen erleben. Trotzdem ist diese Beobachtung zum Glück die Ausnahme. Was mich stets befremdet und nicht selten sogar abstößt, sind elitäre Rotarier, die ganz offensichtlich aus ihrem Beruf eine Sonderbehandlung gewohnt sind und diese Erwartungshaltung bei Rotary nicht ablegen können.“ Und weiter: „Die Lösung kann nur sein, sich wirklich ehrlich und uneitel in den Dienst der Sache zu stellen und das Motto, Gutes zu tun, über das eigene Selbst zu stellen, ernst zu nehmen. Und die Vier-Fragen-Probe als das zu verstehen, was sie ist: ein Selbsttest.“

Beispiele gefällig? Mitglieder, die bei anderen Mitgliedern nicht persönlich, sondern nur über ihr Sekretariat anrufen. Und dann womöglich gar nicht an den Hörer kommen, weil schon wieder im nächsten Gespräch. Oder: E-Mails mit langer CC-Liste, aber ohne Ansprache und in forderndem Ton verfasst, häufig in der Nacht geschrieben. Wenn einem rotarischen Mitglied ein Fehler unterläuft, wird postwendend böse Absicht unterstellt. Bei offiziellen Reden werden insbesondere Rotaracterinnen unangemessen angesprochen („Ich freue mich, unter so vielen hübschen Damen zu sein“). Auch unschön: Rotaract Clubs als kostenlose Dienstleister bei Meetings und Events herablassend in Anspruch zu nehmen („Sie müssen ja noch viel von uns lernen“) oder bei Zoom-Meetings im Chat Parallel-Diskussionen zum Vortrag anzuzetteln und die Referenten zu attackieren: „Fliegt der Typ via Autopilot?“ Viele rotarische Freundinnen und Freunde trifft die teilweise aggressive Stimmung unvorbereitet. Die entstehende negative Energie bremst die eigene Motivation und damit das rotarische Engagement. Weder die Vier-Fragen-Probe noch die Ziele von Rotary können eingeklagt werden.

Bitte keine Machtkämpfe per E-Mail austragen

Das Thema ist keineswegs Rotary-spezifisch, hat eine allgemeingesellschaftliche Komponente. Und doch: Gerade Rotary als eine Serviceorganisation mit höchsten Ansprüchen an sich selbst und ihre Mitglieder sollte wachsam sein und sich darauf verständigen, bestimmte Grundregeln des guten Miteinanders zu wahren, auch wenn das in der Hitze einer Diskussion unter Gleichberechtigten schwerfällt: Dazu zählt, keine Machtkämpfe mit E-Mails auszutragen, sondern das persönliche Gespräch zu suchen. Weder ein Präsident noch ein Governor sollten der Versuchung erliegen, einsame Entscheidungen zu treffen, sondern den Rat und den Erfahrungsschatz der Gremien einholen und danach zu verfahren. Noch so eindrucksvolle Ideen lassen sich nur dann realisieren, wenn sie genügend Unterstützung erfahren und tatkräftige Freundinnen und Freunde sie umsetzen wollen. Und ebenso wichtig: Wenn das der Fall ist, sollten sich nicht andere Mitglieder bemüßigt fühlen, dagegen anzugehen, Mehrheiten zusammenzutelefonieren und eine Machtprobe auszurufen.

Zum Schluss soll nochmals Adolf Knigge zu Wort kommen: „Rühme aber auch nicht zu laut Deine glückliche Lage! Krame nicht zu glänzend Deine Pracht, Deinen Reichtum, Deine Talente aus! Die Menschen vertragen selten ein solches Übergewicht ohne Murren und Neid.“ Modern formuliert: Der Empfängerhorizont ist wichtiger als der Drang zur Selbstdarstellung.

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