Titelthema
Uneinholbar
Das US-Privatunternehmen SpaceX von Elon Musk ist in der Entwicklung weit voraus – passend zur aktuellen Nasa-Strategie.
Wenn es um Raumfahrt geht, denken viele Menschen an die Mondlandung oder an das Space Shuttle und möglicherweise die Internationale Raumstation, kurz ISS. Die meisten wissen, dass das Global Positioning System (GPS), eine Konstellation von 31 Satelliten, dafür verantwortlich ist, dass unsere Handys wissen, wo sie sind, und dass das Wetterbild in der Fernsehvorhersage aus dem Weltall kommt. All das sind Regierungsprogramme, denn die Kosten für diese Programme sind, wenn nicht unendlich, so doch oft astronomisch. Wo ist da noch Platz für eine kommerzielle Raumfahrt?
Launch-Sektor kommerziell geprägt
Blicken wir auf kommerzielle Bereiche in der Raumfahrt, ist an erster Stelle der Launch-Sektor zu nennen. Er ist der kommerziellste Bereich der Raumfahrt, da es mehrere Anbieter gibt und Kunden damit eine Auswahl an verschiedenen Trägerraketen haben. Diese bringen dann Nutzlasten wie Satelliten, Raumsonden oder bemannte Raumschiffe in die Erdumlaufbahn oder weiter ins All. Sowohl kommerzielle Kunden als auch Regierungen nutzen solche Launch-Services. Im Falle von staatlichen Kunden wie etwa der Nasa oder der US Space Force sind zusätzliche Dokumentationen und Zertifizierungen notwendig, die den Service verteuern. Dieser ist grundsätzlich mit dem Service einer Spedition vergleichbar. Ein Beispiel für eine kommerzielle Raumfahrtfirma ist SpaceX – Elon Musks Firma in Los Angeles. SpaceX wurde 2002 gegründet und ist vor allem durch seine Raketen Falcon 9, Falcon Heavy und Starship bekannt geworden.
Hören Sie hier den Artikel als Audio!
Einfach anklicken, auswählen und anhören!
Satelliten senden das Fernsehprogramm
Eine klassische kommerzielle Anwendung der Raumfahrt ist das Satellitenfernsehen. Ein Satellit im geostationären Orbit sendet Fernsehprogramme, die von einer Satellitenschüssel auf dem Dach oder Balkon empfangen werden. Gegen eine monatliche Gebühr bekommt man dann mehr Fernsehkanäle, als man jemals braucht. Satellitenfernsehen war und ist in vielen Gegenden eine erfolgreiche Anwendung der kommerziellen Raumfahrt. Der Trend bei den Fernsehzuschauern geht allerdings vom herkömmlichen BroadcastModell hin zum Streaming-Modell.
Streaming bedeutet, dass Millionen Zuschauer ihre Sendungen individuell einschalten (streamen), so wie bei Netflix oder Mediatheken. Streaming benötigt eine Internet-Verbindung. Die geostationären Satelliten sind jedoch nicht für diesen Internetservice geeignet, da sie mit 36.000 Kilometern Entfernung – hoch oben im geostationären Orbit – zu weit weg sind. Die technisch bessere Lösung für Internet aus dem All sind niedrigere Satelliten, die in einer Satellitenkonstellation fliegen. Diese schweben im sogenannten Low-Earth-Orbit (LEO) zwischen 500 und 1500 Kilometern hoch und damit näher an den Kunden. Für einen kontinuierlichen Service sind viele Satelliten notwendig, und die Antennen am Boden müssen die Satelliten im LEO verfolgen.
Die ersten Konstellationen entstanden in den 1980er und 1990er Jahren und waren Telefon- und Datendienste. Iridium (82 Satelliten, 781 km hoch), Globalstar (40 Satelliten, 1400 km) und Orbcomm (nur Daten, 31 Satelliten, 750 km) waren die ersten Konstellationen, und sie sind heute noch im Dienst. Alle drei Konstellationen haben während oder nach der Aufbauphase aufgrund der hohen Kosten Insolvenz angemeldet.
Seit 2019 gibt es eine neue Konstellation: Starlink. Diese wurde von SpaceX entwickelt. Starlink hat bisher über 7000 Satelliten gestartet und hat mittlerweile über vier Millionen Kunden weltweit. Die Aufbauphase ist noch nicht abgeschlossen. Starlink liefert nur Internetservice, diesen theoretisch weltweit, in der Praxis überall, wo eine Funkgenehmigung vorliegt. Für Gegenden, die bisher keine Internetverbindungen hatten, ist Starlink ein echter Gamechanger.
Einige neue Konstellationen versuchen den Vorsprung von Starlink einzuholen, zum Beispiel Oneweb (648 Satelliten, 1200 km), die Internetverbindungen für Unternehmen und Regierungen verkaufen. Kuiper, die Konstellation des Amazon-Konzerns und seines Besitzers Jeff Bezos, plant, 3236 Satelliten zu starten. Rivada Space Networks plant 600, Telesat 300 und Iris2 170 Satelliten. Wie bereits erwähnt, ist der Start solcher Konstellationen von langen Entwicklungszeiten und hohen Kosten geprägt. Darüber hinaus sind die Funklizenzen beschränkt, und der Raum im All ist dann doch nicht unendlich. Tote Satelliten, somit Weltraumschrott, aber auch andere Satelliten sind ein Kollisionsrisiko für Konstellationen. Es bedarf dringend der Beantwortung folgender Fragen: Wie viele Konstellationen sind wirklich notwendig, und wie viele haben Platz im LEO? Das Wettrennen um den Raum im Weltraum ist im Gange, und der Vorsprung von Starlink ist offensichtlich.
Zwei Anbieter für Shuttle-Service
Das zweite Wettrennen findet im Bereich der astronautischen Raumfahrt statt. Als das Space Shuttle in den Ruhestand versetzt wurde, förderte die Nasa die kommerzielle Raumfahrt mit Ausschreibungen zur Versorgung der ISS. Dabei war es wichtig für die Nasa, zwei Anbieter zu haben. Damit, so der Grundgedanke, ist die Versorgung der Raumstation auch gewährleistet, falls einer der beiden Anbieter technische Probleme hat. Das ist auch schon vorgekommen. Am 28. Oktober 2014 versagte die Antares-Rakete von Northrop Grumman, und am 28. Juni 2015 versagte die Falcon-9-Rakete von SpaceX. Beide Teams starteten wieder erfolgreich im Dezember 2015.
Nach diesem erfolgreichen Cargo-Programm begann die Nasa mit zwei Astronauten im Crew-Dragon-Raumschiff von SpaceX am 30. Mai 2020 das kommerzielle Crew-Programm. Der zweite Anbieter, Boeing, startete mit dem Raumschiff Starliner zum ersten Mal mit Astronauten vier Jahre später zur ISS, im Mai 2024. Technische Probleme hatten das Starliner-Programm verzögert, und technische Probleme sorgten auch dafür, dass die Nasa die beiden Astronauten nicht auf Starliner zurückfliegen ließ. So warten die beiden Astronauten jetzt auf ihren Rückflug mit der Dragon-Kapsel im Februar 2025.
Crew Dragon und der Nachfolger Dragon-2 haben mittlerweile neun Astronauten-Crews zur ISS geflogen und dabei auch einige Missionen übernommen, die ursprünglich Boeing zugeteilt waren. Bemerkenswert ist auch, dass Dragon-2 mittlerweile fünf Missionen mit privaten Astronauten geflogen ist, drei davon zur Raumstation und zwei mit Dragon zum Low-Earth-Orbit. Und das bringt uns dann zum nächsten Schritt in der kommerziellen Raumfahrt: kommerzielle Raumstationen. Diese Entwicklungen und die vorausgegangenen Entscheidungen der Nasa legen eine klare Strategie offen: Die Nasa überlässt der Industrie den erdnahen Raum und konzentriert sich auf Mond, Mars und die äußeren Planeten.
Größtes Problem fast gelöst
SpaceX hat bei vielen Wettrennen einen Vorsprung, der zurzeit uneinholbar erscheint. Entstanden ist dieser Vorsprung, weil SpaceX das größte Problem der Raumfahrt, nämlich die Kosten, fast gelöst hat. Fast, weil die zweite Stufe von Falcon 9 nicht wiederverwendbar ist. Die erste Stufe und das Fairing, die Hülle um die Nutzlast herum, sind wiederverwendbar. Der Rekord für die erste Stufe, den Booster, liegt derzeit bei 23 Flügen. Starship, die neueste Raketenentwicklung von SpaceX, ist sowohl komplett wiederverwendbar als auch die größte Rakete, die je geflogen ist. Sie hat mehr als doppelt so viel Schub wie Saturn V, die US-Mondrakete der 1960er Jahre. Mit bisher sechs Testflügen lässt sich absehen, dass diese Rakete bald operationell ist und die Startkosten noch weiter senken wird.
Raumfahrt fängt mit dem Launcher, der Rakete, an. Die entscheidende Verbesserung der letzten zehn Jahre, die Wiederverwendbarkeit, ist nur bei SpaceX zu finden. Alle anderen Startanbieter müssen diese Technologie noch lernen und umsetzen. Der Wettbewerb findet hierbei zwischen den USA und China statt – der Rest der Welt sieht anscheinend keine Dringlichkeit, wiederverwendbare Raketen zu entwickeln und so die Startkosten effektiv zu senken. Eine der wenigen lobenswerten Ausnahmen sind dabei ein paar neue Firmen, Start-ups, die mit knappen Ressourcen kommerzielle Launcher entwickeln. Zu nennen ist hierbei zum Beispiel Rocket Factory aus Augsburg. Ohne Beschleunigung dieser Entwicklungen wird die Raumfahrt außerhalb der USA und China jedoch bleiben, wie sie vor 20 Jahren war: teuer und langsam. Das ist schade, denn wir wissen eigentlich, was zu tun ist.
Hans Königsmann ist im Aufsichtsrat beim Bremer Raumfahrtunternehmen OHB SE und berät die Start-up-Unternehmen Stoke Space, Vast Space und AstroForge. Er war der vierte Angestellte von SpaceX und baute die Abteilungen Avionics und später Flight und Build Reliability auf und wurde Vizepräsident für Mission Assurance. Königsmann studierte Luft- und Raumfahrt an der TU Berlin und promovierte an der Uni Bremen.