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„Die Kreuzigung Jesu Christi“ – Lithographie von Nathaniel Currier (ca. 1849) © mauritius images / archive images / alamy

Wie Ostern die Erinnerung an Jesus färbt – und der Gekreuzigte trotz vieler Anzweifelungen zur Feier der Auferstehung einlädt

01.04.2019

In diesem Frühjahr sorgt ein Buch des Mittelalterhistorikers Johannes Fried für Aufregung, in dem dieser die Auferstehung Jesu anzweifelt – und damit ein zentrales Ereignis der christlichen Überlieferung infragestellt. In „Kein Tod auf Golgatha“ stellt Fried die These auf, dass Jesus die Kreuzigung überlebt hat und anschließend – geschützt von wenigen eingeweihten Mitwissern – nach Osten geflohen sei. Die Geschichte von der Auferstehung wäre demnach nur eine Tarnung gewesen, um die Flucht des angeblichen Märtyrers zu ermöglichen.

Inzwischen hat Fried für seine Thesen einigen Widerspruch geerntet; als „luftige Konstruktion, die keiner wissenschaftlichen Prüfung standhält“, wurde das Buch des zweifellos renommierten Mediävisten u.a. bezeichnet. Sowohl die biblischen Quellen als auch andere antike Berichte gehen vom Tod des jüdischen Rabbis aus. Fried, so ein grundlegender Vorwurf, würde zahlreiche Quellen ausblenden, um dann eine spektakuläre Indizienkette aufstellen zu können. Wirklich neu sind Frieds Zweifel an der Überlieferung der Auferstehung ohnehin nicht. Schon die Evangelisten berichten über Gerüchte, der Leichnam Jesu sei aus dem Grab gestohlen worden. Moderne Kritiker bezweifeln hingegen, dass Jesus überhaupt gelebt habe. Andere glauben, dass die Geschichte Jesu mit dem Kreuzestod endete und der Auferstehungsglaube nur die Enttäuschung über das ausgebliebene Wunder überdecken sollte.

Der Kern des Christentums
Doch warum fällt es vielen Menschen so schwer, den Tod Jesu zu akzeptieren? Zweierlei ist klar: Wenn Jesus nicht auf die Welt gekommen wäre, hätte das Christentum in der Welt nichts verloren. Und wenn es den Glauben an seine Auferstehung von den Toten nicht gegeben hätte, wäre die Erinnerung an Jesus auf das Andenken eines Weisen, eines Propheten, eines Märtyrers geschrumpft. Aber keineswegs klar ist, wie gut diese Bedingungen begründet und auf welche Weise diese Zusammenhänge entstanden sind. Eine kritische Prüfung der Quellen ist angezeigt, weil mit dem Leben, mit dem Tod und der Auferstehung Jesu sehr viel auf dem Spiel steht: nicht nur die Geschichte des Christentums und die Existenz der Kirchen, sondern auch eine tiefe Prägung der Kultur in vielen Teilen dieser Erde und eine hohe Wertschätzung, die Jesus bei zahlreichen gläubigen Menschen genießt, aber auch bei gar nicht so wenigen, die religiös unmusikalisch sind.

Die Prüfung der Quellen ist nicht nur Sache der Theologie, sondern ebenso der Judaistik, der Philologie, der Geschichtsund der Religionswissenschaft. Die Ergebnisse gehen gar nicht weit auseinander – auch wenn die persönlichen Zugänge und Konsequenzen sehr unterschiedlich sind. Regelmäßig werden in der Öffentlichkeit Sensationen inszeniert, die sich regelmäßig schnell in Luft auflösen. Nüchternheit ist angebracht. Die Originale sind ohnedies am interessantesten.

Historischer Grund
An der Tatsache, dass es Jesus wirklich gegeben hat, gibt es keinen ernsthaften Zweifel. Wenige Personen des Altertums sind besser bezeugt als er. Gleich vier Evangelien, die das Neue Testament prägen, legen im Abstand von ein paar Jahrzehnten Gedächtnisspuren. In den Paulusbriefen, noch früher verfasst, kommt Jesus zur Sprache – nicht oft, aber markant. Der jüdische Historiker Flavius Josephus kennt ihn und erinnert an seinen Tod – freilich in einem Passus, der christlich stark redigiert worden ist. Auch bei den römischen Historikern Tacitus und Sueton ist „Christus“ bezeugt. Neben den neutestamentlichen gibt es zahlreiche „apokryphe“ Evangelien, meist deutlich jünger und legendär ausgeformt, aber im gar nicht so seltenen Ausnahmefall mit wichtigen Erinnerungssplittern.

Zwar lässt sich weder der genau Geburtstag Jesu feststellen noch der exakte Geburtsort (Bethlehem oder Nazareth); aber irritierend daran ist nur, dass ein Kind kleiner Leute überhaupt so viel Aufmerksamkeit gefunden hat, dass zweimal von seiner Geburt erzählt wird – und dann vielmals in den Apokryphen. Sein Tod am Kreuz, den Pontius Pilatus hat vollstrecken lassen, lässt sich – mit der Unsicherheit von zwei Tagen und allenfalls drei Jahren – auf den 14. Nisan (den 7. April) des Jahres 30 n. Chr. datieren; sensationell genau für einen jüdischen Propheten und verurteilten Schwerverbrecher.

In diesem Rahmen finden sich zwar zwischen den Evangelien zahlreiche Widersprüche, aber auch viele Gemeinsamkeiten: Galiläa und Jerusalem sind die Hauptwirkungsstätten Jesu. Er hat Gleichnisse erzählt und sich mit Pharisäern, den interessantesten Köpfen seiner Zeit, über theologische Grundsatz- und Alltagsfragen gestritten. Er hat Menschen geheilt, die krank und besessen waren: wie, verrät das Neue Testament nicht, sondern verweist auf seine charismatische Spiritualität. Vor allem hat Jesus das Reich Gottes verkündet und damit die größte Hoffnung, die das Judentum kennt, mit seiner eigenen Person verbunden und für weite Horizonte geöffnet.

Spiritueller Sinn
Die Evangelien, auf die mehr als 90 Prozent der Jesustradition zurückgehen, sind alles andere als neutral. Sie sind im Glauben an Jesus geschrieben – und zwar in der Überzeugung, Jesus selbst habe einen solchen Glauben gewollt und geweckt. Tatsächlich war Jesus nach allem, was wir wissen, nicht neutral: sondern auf der Seite Gottes und deshalb auf der Seite der Armen, der Fremden, der Kinder, der Witwen – ja, auch der Sünder, von denen Gott sich anscheinend mit Grausen abwenden müsste, denen er sich aber Jesus zufolge mit Liebe zuwendet. Deshalb hat er das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt.

Durch die historisch-kritische Forschung kommt genau diese Glaubensperspektive der Evangelien zum Vorschein. Es macht keinen Sinn, sie aus dem Gedächtnis zu streichen: Jesus selbst hat die Gottesfrage ins Zentrum gerückt. Er hat Gott nicht als einen Faktor neben anderen innerhalb der Ursache-Wirkungs-Ketten gesehen, die den Lauf der Welt bestimmen, auch nicht als Mechaniker, der ab und an einen kleinen Schaden am Getriebe der Welt repariert, sondern als den Schöpfer und Erlöser, der mitten in den Dingen dieser Welt, in den Erfahrungen von Menschen, in geschichtlichen Ereignissen gegenwärtig ist – und verborgen zugleich. Ob diese Gottesmystik eine Wahrheit erkennt oder pure Illusion ist, lässt sich weder historisch noch philologisch oder philosophisch entscheiden. Historisch, philologisch und philosophisch lässt sich aber erkennen, dass diese Frage als Glaubensfrage gestellt wird und dass der Glaube weder irrational noch amoralisch ist, sondern verantwortlich und sinnvoll.

Kreativer Glaube
Die Psychologie und die Soziologie wissen, wie kreativ die Erinnerung von Menschen ist, die sich für einen anderen Menschen interessieren und ihm ein Denkmal setzen, sei es aus Stein oder sei es aus Buchstaben. Das Gedächtnis filtert aus, was stört, und verstärkt, was wichtig scheint. Es kann vergiftet sein, aber es kann auch eine Entgiftungskur durchmachen. Es kann verklären und aufklären. Die künstlerische oder literarische Gestaltung dieses Gedenkens sagt immer wenigstens so viel über diejenigen aus, die sich erinnern, wie über diejenigen, die in Erinnerung gehalten werden.

Die Evangelien pflegen das Gedächtnis Jesu, weil sie in ihm nicht nur eine Figur der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart und der Zukunft sehen: Sie erkennen in Jesus den Menschensohn, der sein Leben hingegeben hat, aber von Gott von den Toten erweckt und zu seiner Rechten erhöht worden ist, um dereinst wiederzukommen. Dann, steht zu hoffen, wird er seine Sendung vollenden und durch das Gericht vollendetes Heil schaffen, ewiges Leben.

Die Auferstehung und Erhöhung Jesu, zu denen Gläubige sich bekennen, stehen nicht als historische Fakten auf einer Ebene mit der Taufe im Jordan und dem Tod auf Golgatha. Glauben soll man nur, was man nur glauben kann: Die Durchbrechung der Grenzen von Raum und Zeit, die Ostern gefeiert wird, gehört dazu. Niemand wird zu diesem Glauben gezwungen, aber alle sind eingeladen, ihn zu teilen. Weil die Auferstehung nur im Glauben erkannt werden kann, ist sie nicht unwirklich; sie hat ja geschichtliche Folgen: den Glauben an sie, der, so heißt es im Neuen Testament, auf einer Offenbarung beruhe.et.

Reale Hoffnung
Wer der Einladung zum österlichen Glauben folgt, verliert nicht das Interesse an der Geschichte Jesu, sondern gewinnt es. Denn der Auferstandene – sagt der Glaube – ist ja kein anderer als Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte. Durch Ostern wird die Passion nicht als böser Traum erkannt, aus dem man endlich erwacht, sondern als definitive Konsequenz des gesamten Wirkens Jesu – unter lauter zufälligen Rahmenbedingungen, aber in der Zuwendung der starken Liebe Gottes zu den Menschen, die das ganze Leben Jesu kennzeichnet.

Von Jesus selbst wird erzählt, dass er sich mit den Sadduzäern, der Partei der Hohepriester, über die Auferstehung der Toten gestritten habe: Wenn es Gott gibt und er sich als Gott der Menschen offenbart hat, kann er nicht die Welt in ein Schwarzes Loch rasen lassen, sondern muss ihr – die Bilder sind uralt und ewig jung – ein neues Paradies eröffnen, aus dem niemand mehr vertrieben wird. Jesus argumentiert in diesem Streit ähnlich wie die Pharisäer, die häufig als die gefährlichen Gegenspieler Jesu dargestellt werden, aber viele Reformideen mit Jesus gemeinsam hatten.

Von Jesus wird auch erzählt, dass er in ganz schlichten Worten beim Letzten Abendmahl seine persönliche Auferstehungshoffnung zum Ausdruck gebracht hat: Er werde vom Gewächs des Weinstocks erst wieder im Reich Gottes trinken. Es macht keinen Sinn, in Jesus einen Propheten des Reiches Gottes zu sehen, der nicht darauf gesetzt hätte, dass die Liebe stärker ist als der Tod.

Ob es dann wirklich so gekommen ist, ist wieder Glaubensfrage auf. Die Evangelien geben denen das Wort, die von der Auferstehung Jesu überzeugt sind. Sie sind voller Freude, weil der Alptraum eines endgültigen Scheiterns Jesu nicht wahr geworden ist. Aber der Gestus von Ostern ist nicht triumphal. Die Evangelien erzählen vielmehr, wie schwer es den Jüngern – Männern und Frauen – gefallen ist, zu glauben, was sie gesehen haben: den auferstandenen Jesus. Am leeren Grab verschlägt es den „Leichensalbfrauen“ (Peter Handke) die Sprache. Die Apostel, auch Petrus, glauben den Frauen nicht, die ihnen verkünden, das Grab sei leer gewesen. Auf dem Weg nach Emmaus erkennen zwei Jünger Jesus nicht, obgleich er Meile um Meile mit ihnen wandert. Maria Magdalena hält Jesus für den Gärtner, der den Leichnam beiseitegeschafft habe. Thomas erklärt, nicht glauben zu können, wenn er nicht sehen und berühren kann: die empfindlichsten Körperteile, die Wundmale Jesu.

Von den Zweifeln und Ängsten der ersten Zeuginnen und Zeugen wird nicht erzählt, um das große Aufatmen zu trainieren, dass nach einer Anfangsschwäche die Glaubensprobleme der Jünger endlich gelöst worden seien, sondern um herauszuarbeiten, wie unglaublich gut die Auferstehungsbotschaft ist. Sie überfordert alle, zuerst die Apostel – und überholt jeden Zweifel, zuerst den der Apostel. Als Auferstandener überwindet Jesus die Widerstände genau so, wie er es als Irdischer getan hat: Er spricht Menschen an, er wendet sich ihnen zu, er zeigt seine Wunden, er vertraut ihnen sein Wort an, er berührt sie und haucht sie an und sendet sie aus. Was sie zu sagen haben, ist im wesentlichen, was Jesus gesagt hat. Die Evangelien gießen es in eine Form, die neue Erkundungen und Zeugnisse möglich macht. So kann, wer will, Ostern feiern.

Thomas Söding


Umstritten
Johannes Fried Kein Tod auf Golgatha. Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus 189 Seiten, 19,95 Euro, chbeck.de