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Vision für weniger Effizienz, aber mehr Resilienz

Außenseiter und Verlierer der Globalisierung revoltieren gegen das Establishment, die Eliten haben aus der sozialen eine asoziale Marktwirtschaft gemacht. Die Strukturen der Politik sollten völlig neu gedacht werden

Michael Breisky01.08.2017

Brexit, Trumps Wahlsieg und der populistische Zulauf deuten auf ein wachsendes Anti-Establishment-Gefühl hin, verbunden mit Abstiegs- und Überfremdungsängsten –alles Zeichen eines tiefen Umbruchs. Hatte Kurt Tucholsky recht, als er meinte: „Das Volk denkt oft falsch, fühlt aber immer richtig“? Zumindest der zweite Teil dieses Satzes stimmt, denn mit Effizienz und Resilienz gibt es ein Begriffspaar, das aus dem Gleichgewicht gefallen ist und die Entstehung dieses Gefühls gut erklären kann: Effizienz – also das Streben nach einem „immer besseren“ Verhältnis zwischen Input und Output – verbindet Materialismus mit linearem Vernunftdenken und hat sich zum umfassenden Leitprinzip der westlichen Gesellschaft entwickelt. Resilienz hingegen drückt nachhaltig robuste Widerstandskraft aus und erfordert vor allem ganzheitliches Denken. Kurz: Ohne Effizienz werden wir verhungern, ohne Resilienz fahren wir bald an die Wand. Der Nachhaltigkeit ist am besten gedient, so der Resilienz-Forscher Bernard Litaer, wenn der Aufwand für Resilienz größer ist als der für Effizienz – was heute eindeutig nicht der Fall ist.

Ganzheitliche Überschaubarkeit
Damit wird klar: Wenn das Modell „Industrie 4.0“ nun unwidersprochen damit rechnet, dass Digitalisierung und Globalisierung schon bald jeden zweiten Arbeitsplatz überflüssig machen, und wenn der Politik und ihren Thinktanks beharrlich nichts einfallen will, das den „freigesetzten“ Menschen ein sinnerfülltes Leben in Aussicht stellt, dann fährt Effizienz bald wirklich gegen die Wand.

Was ist der wahre Hintergrund dieser Situation? Im Kleinen ist für gewöhnlich ganzheitliche Überschaubarkeit gegeben: sei es durch die biologisch uralte „Verdrahtung“ unseres Gehirns, das Sinneswahrnehmungen unbewusst zu einem ganzheitlichen Bild verdichtet, oder sei es durch die Dichte sozialer Kontakte in unserem unmittelbaren – „dörflichen“ – Umfeld, die dieses Bild ergänzen: In der Regel wird dort alles „Bemerkenswerte“ unserem Bewusstsein ungefragt und in durchaus praktikablen Zeiträumen zugetragen. Wo Ideen, Prinzipien und ähnliche Abstraktionen aber über den überschaubaren Raum hinaus projiziert werden, brechen diese automatischen Warnungen rasch ab. Was vorher im Kleinen ohne Einwand geblieben ist und zu Recht „weg-abstrahiert“ werden konnte, wird bei den darüber hinausgehenden Projektionen oft wieder schlagend. Nun aber fehlt der ganzheitliche Flankenschutz – vor allem über Nebenwirkungen nimmt das Übel seinen Lauf.

Schwächen der Menschennatur
Die Außenseiter und Verlierer der Globalisierung revoltieren also gegen das Establishment, weil sie Opfer der ins Unmaß projizierten Ideen sind. Tatsächlich hat das Establishment dort, wo es sich auf große Ideen beruft, Entscheidendes übersehen: Ideen können sich nicht aus sich selbst heraus begrenzen; sie zielen so lange ins Unendliche, bis sie „etwas Anderem“ begegnen. So sind arbeitsteilige Produktion und Freihandel sicher gute Prinzipien, aber wie soll ein um seinen Job zitternder Werkmeister verstehen, dass die offenkundige Entindustrialisierung Europas  eine „ganz normale“ Folge der Globalisierung ist? Auch das Leistungsprinzip und die betriebliche Alterspension sind gute Ideen, aber wie erklärt man einem Harz-IV-Empfänger die gängigen Manager-Boni? Und Toleranz gegenüber fremden Kulturen ist ein heiliges Prinzip, aber  muss gleich ins rechtsradikale Eck gestellt werden, wer sich angesichts von Massenimmigration Sorgen um die Identität seiner Kultur macht?

Ja, die Welt ist kompliziert geworden. Was die Exzesse guter Ideen angerichtet haben, zeigt Gabor Steingart in seinem Buch „Weltbeben“: Die Eliten aus Politik und Hochfinanz haben mit klarer Billigung der Mainstream-Medien aus der sozialen eine asoziale Marktwirtschaft gemacht und sind auf dem besten Wege von der repräsentativen zur repressiven Demokratie. Um nicht missverstanden zu werden: Die großen Ideen der Aufklärung wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit müssen weiter gelten; aber der Resilienz dient nur ihre nachhaltige Umsetzung mit demokratischen Mitteln; und als Tribut an den Lernstoff des 20. Jahrhunderts ist auch der Respekt vor der Menschennatur mit ihren Schwächen, ihren spirituellen Seiten und anderen Vernunftwidrigkeiten gefordert. Die Volksferne der Eliten ist daher Anlass, die Strukturen der Politik völlig neu zu denken.

Nachhaltig die Umweltpolitik zu gestalten erfordert Ehrlichkeit und Konsequenz in der Klima-, Sozial-  und Wachstumspolitik. Demokratie erfordert Augenhöhe zwischen dem Staat als Garanten und der Zivilgesellschaft als Motor gesellschaftlicher Entwicklung. Die Menschennatur ist nur im Kollektiv einigermaßen berechenbar; der konkrete Mensch ist immer für Überraschungen gut, was auch seine Würde ausmacht. Alle drei Bedingungen werden am besten in einem überschaubaren Umfeld erfüllt – sei es, weil dort die Irrtumsanfälligkeit am geringsten ist; oder sei es, dass man nur in überschaubaren Situationen von Verantwortung reden sollte. Noch wichtiger: wo man, wie erwähnt, alles Bemerkenswerte ungefragt mitbekommt und Überschaubarkeit damit zu einer ganzheitlichen Kategorie wird.

Das sollte schließlich die Politik dazu bringen, das Subsidiaritätsprinzip radikal anzuwenden. Also nicht „unten“ machen lassen, was „oben“ nicht interessiert, sondern nur das „oben“ lassen, was „unten“ nicht kann. Dieses Prinzip ist es ja auch, das Demokraten von Populisten unterscheidet. Mit diesen Vorgaben lässt sich eine Vision für eine resiliente Gesellschaft entwickeln: In der Politik liefert die Schweiz wohl das beste Beispiel für die Umsetzung von Überschaubarkeit. Dem folgend sollten gefühlte 70 bis 80 Prozent der Kompetenzen bei Gemeinden und Kantonen liegen, darunter auch die zu ihrer Finanzierung notwendige Steuerhoheit. Hier können auch direkte Demokratie und Zivilgesellschaft eine größere Rolle spielen als auf nationaler oder europäischer Ebene. In der Wirtschaft gibt es für Marktwirtschaft und Kapitalismus wegen ihrer hohen Koordinationsfähigkeit keine allgemeingültige Alternative. Allerdings ist dort, wo sich Menschen oft wiederbegegnen – wie in überschaubaren Regionen – Kooperation deutlich effizienter als Wettbewerb (Kooperation ist auch, wo auch nichtmonetäre Werte wie nachbarschaftliche Solidarität die Preise beeinflussen).
Im Schritt für Schritt anzustrebenden Idealfall würde die Versorgung mit allen menschlichen Grundbedürfnissen „unten“ bei den Gemeinden und Regionen liegen und vorwiegend mit kooperativen Mitteln erreicht werden – also alles von der Ernährung über Behausung bis zur Schulbildung, zu all dem auch die notwendige Energie. Der darüber hinausgehende „Luxus“  – und das sollte sehr viel sein – sowie das meiste an notwendiger Hardware wäre wie bisher marktwirtschaftlich zu besorgen, was also bei der staatlichen oder internationalen Ebene bliebe.

Lokale Selbstversorgung
Einige Anmerkungen zu dieser Regionalisierung: Ökologische, arbeits- und sicherheitspolitische Gründe fordern ein neues Verständnis der Landwirtschaft; das heißt, die (durch Maschinen- und Chemikalieneinsatz) kapitalintensive Bewirtschaftung muss durch arbeitsintensive Bewirtschaftung abgelöst werden. Das ist bei gleichem Hektarertrag zwar möglich, erfordert aber viel höhere Lebensmittelpreise. Dem offiziellen Geld muss man ein regionales „Mascherl“ umhängen, um regionale Wirtschaftskreisläufe zu beschleunigen. Aber wie soll diese Vision Wirklichkeit werden? Müssen wir auf Anstoß durch Cybercrime, Terror oder technologische Überlastungen warten? Denn längere großflächige Stromausfälle und System-Katastrophen werden immer wahrscheinlicher, je effizienter – und damit auch verletzlicher – unsere Technologie wird. Möglichst lokale Selbstversorgung ist hingegen die höchste Form resilienter Vorkehrung!
Es liegt an der Zivilgesellschaft,  Politik und Medien, rechtzeitig in Richtung
Resilienz zu treiben; Rotary kann dabei eine große Rolle spielen.

Michael Breisky
Dr. Michael Breisky wurde 1940 geboren. Der Botschafter a. D. beschäftigt sich seit seiner Pensionierung in 2005 verstärkt mit wissenschaftlichen Arbeiten im Umfeld der Politik. 2010 erschien sein Buch "Groß ist ungeschickt. Leopold Kohr im Zeitalter der Post-Globalisierung" (Passagen Verlag),  2018 veröffentlichte er sein E-Book "Menschliches Maß gegen Gier und Hass – small-is-beautiful im 21. Jahrhundert" (Epubli, Selbstverlag).

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