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» Aussichten nicht überschätzen «

Die individualisierte Medizin verzeichnet große Fortschritte. Einen Durchbruch in der Krebstherapie wird sie in naher Zukunft jedoch nicht bringen. Ein Gespräch mit dem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach.

01.08.2015

Herr Lauterbach, die personalisierte Medizin gilt als die neue heiße Geschichte in der pharmakologischen Forschung. Sind die Hoffnungen berechtigt?
Lauterbach: Langfristig ja. Wir sehen im Augenblick enorme Fortschritte im Grundlagenwissen, das wird die Therapie schwerer Erkrankungen fundamental verbessern. Auf kurze Sicht aber sind die Hoffnungen verfehlt. Bisher gelingt es uns mit innovativen Medikamenten nur, einzelne Signalketten anzusteuern. Krebszellen aber stellen sich schnell darauf ein, sie nehmen schon nach kurzer Zeit andere Signalketten ins Visier. Deshalb wirken die Therapien heute nur kurze Zeit. Es ist wie mit Zügen, die auf bestimmten Strecken zum Bahnhof fahren. Ist eine Strecke gestört, wird der Verkehr umgeleitet. Es muss gelingen, die Schlüsselbahnhöfe zu blockieren. Erst dann werden wir von echten Durchbrüchen sprechen können.

Wann wird das sein?
Nach meiner Einschätzung wird es noch 20 bis 30 Jahre dauern, bis wir die Erkrankung wirklich kontrollieren können.

Und wenn man einfach das Genprofil eines Erkrankten analysiert und schaut, was bei Anderen mit ähnlichem Genprofil gewirkt hat?
Das ist riskant. Krebserkrankungen können viele Ursachen haben, auf die Therapien sehr unterschiedlich wirken. Oft wissen wir nicht einmal, welcher Gendefekt oder welche Kombination von Gendefekten eine Erkrankung auslösen. Bisher gibt es keine Studien, in denen nachgewiesen werden konnte, dass das wirklich hilft.

Werden die Krankenkassen die neuen Therapien bezahlen?
Sie werden es müssen, wenn es wirkliche Verbesserungen gibt. Therapien, die das Leben nur um ein paar Wochen verlängern, werden sie wahrscheinlich nicht bezahlen können.

Welche Unternehmen werden am Ende vorn sein?
Firmen, die eng mit der Grundlagenforschung zusammenarbeiten. Wir erleben zur Zeit eine Explosion im Grundlagenwissen. Unternehmen, die eine klare wissenschaftliche Linie haben, haben die besten Chancen. Wir wissen allerdings nicht, welches Medikament am Ende erfolgreich sein wird. Insofern ist es zur Zeit sehr leicht und sehr modern, die Aussichten eines einzelnen Medikaments zu überschätzen.