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Das Herz entstressen

Forum - Das Herz entstressen
Durch Yoga und Qigong, durch Atmung und Konzentration, lässt sich der Körper gezielt in den Zustand der Entspannung versetzen. © Plainpicture/ableimages/Jutta Klee

Stents werden in Deutschland oft und früh gesetzt. Dabei verfügt der Körper über ausgeklügelte Mechanismen, sich selbst zu helfen – man muss ihn nur lassen.

Gustav Dobos01.10.2019

Was es Neues gibt zum Herzen? Sehr viel. Obwohl die Wurzeln der jüngsten Erkenntnisse weit zurückreichen – bis zu den Anfängen der Medizin. Damals nämlich, in den Tempeln des antiken Griechenlands, wurde die Basis für das gelegt, was gerade die moderne Kardiologie erobert – die Lebensstilmedizin. Nach Jahrzehnten der Technikbegeisterung entdeckt die Herzmedizin den „inneren Arzt“, von dem schon Hippokrates sprach. Und stellt fest, dass Deutschland zwar eine der besten Intensivmedizinen der Welt hat, die bei Herzinfarkten wahre Wunder leistet. Doch vorher und nachher, bei der Prävention wie bei der Behandlung Herzkranker, bleibt die Herzmedizin seltsam folgenlos. Denn noch immer sind Herz-Kreislauf-Leiden die Todesursache Nummer eins.

Meistens hausgemacht
Was ist also neu? Ohne den Patienten oder die Patientin geht es nicht, und wenn wir noch so viel Hochleistungsmedizin einsetzen. Denn 90 Prozent – und das ist eine wissenschaftlich belegte Zahl – der Herzinfarkte sind hausgemacht und ließen sich durch einen gesünderen Lebensstil vermeiden. Das gilt auch für 80 Prozent aller Schlaganfälle. Wir wissen heute auch, dass zum Beispiel die Arterienverkalkung eine schleichende chronische Krankheit ist und bereits in früher Jugend einsetzt. Schon bei Teenagern, die sich mit Fast Food ernähren, lassen sich Fettschlieren an den Gefäßwänden finden. Diese verdichten sich und verhärten sich über die folgenden Jahrzehnte, reichern sich an mit Bindegewebe und Kalk, bis sie dann irgendwann aufbrechen und die Arterien blockieren. Dann helfen nur noch das Glück, dass schnelle Hilfe parat ist, und ein Stent, der das lädierte Gefäß abstützt.

Vorbeugend – also bei verengten Gefäßen – sind die beliebten Gefäßprothesen allerdings keine Hilfe. Im Vergleich zu den Niederlanden, die vergleichbar in Altersstruktur, Lebensstil, Bruttosozialprodukt und dem Gesundheitssystem sind, werden in Deutschland rund viermal häufiger Adern per Katheter und Stents geweitet, und trotzdem sterben im Verhältnis mehr als doppelt so viele Menschen an einer ischämischen Herzkrankheit. Die betroffenen Patienten fühlen sich zwar zunächst besser – dabei hilft sicher auch die Vorstellung, dass man den eigenen Körper einer Art Check-up unterzogen und mechanische Mängel beseitigt hat. Aber länger leben tun diese Patienten nicht. Solche Dilatationen (Aufdehnungen) sind also nur dann sinnvoll, wenn sie unmittelbar nach einem Herzinfarkt gemacht werden, um den Blutfluss zum Herzen so rasch wie möglich wieder herzustellen.

Herzkatheter haben – abgesehen von ihren diagnostischen Qualitäten – häufig keinen therapeutischen Wert – außer einem Placebo-Effekt. Eine im renommierten Wissenschaftsjournal Lancet veröffentlichte Studie zeigte im Vergleich mit einer Gruppe, die nur eine Scheintherapie erhielt, dass sich die reale Leistungsfähigkeit des Herzens nicht verbessert hatte. Bei genauer Betrachtung verwundert das auch nicht, denn: Zwischen den Arterien, die das Herz umgeben, gibt es „Verbindungsstraßen“, die häufig nur ganz fein angelegt, manchmal auch noch gar nicht vorhanden sind. Verengt sich eine der Arterien, beginnen diese „Kollateralen“ zu sprießen und das Blut umzulenken. Das funktioniert ganz gut und kann, abhängig vom Ort des Geschehens, unter Umständen sogar einen Arterienverschluss so kompensieren, dass kein Herzinfarkt entsteht. Wird die Arterie aber mittels eines Eingriffs geweitet, so bleibt die Ausbildung der „Nebenstraßen“ aus, und das Blut wird weiter durch eine Arterie gepumpt, die vielleicht nicht nur an dieser Stelle brüchig ist und andernorts neue Probleme machen kann.

Was also sind die Alternativen? Wäre es nicht wunderbar, wenn wir lernen könnten, den inneren Arzt, von dem ‚schon Hippokrates sprach, wieder in uns zu wecken? Dean Ornish, einem Star in der Riege der US-amerikanischen Kardiologen, ist das gelungen. Der Arzt, von dem der herzkranke Ex-Präsident Bill Clinton sagt, er verdanke diesem sein Leben, hat es durch eine strikte Kombination von veganer Ernährung, Bewegung und Entspannung geschafft, dass sich verengte Herzkranzgefäße wieder geweitet haben – ohne weiteren Kathetereingriff und Bypass.

Den inneren Arzt wecken
Es war schon ein strenges Regime, das Ornish Bill Clinton wie auch vielen anderen Patienten über Monate auferlegte: vegane Ernährung, so gut wie ohne jedes Fett, täglich mindestens eine halbe Stunde meditieren und eine Stunde lang einen Spaziergang oder eine andere Form moderater Bewegung, außerdem psychosoziale Gruppenunterstützung und anfangs auch Rückzug vom Alltagsstress. Dieser Aufwand mag vielen als nicht leistbar erscheinen. Aber Ornish zeigte bereits 1990 – und zum ersten Mal wurde damit auch der wissenschaftliche Nachweis erbracht –, was wir mit unseren eigenen Kräften erreichen können, wenn wir die Motivation dazu haben: Bei 82 Prozent seiner Probanden hatte sich die Engstelle der Arterie nach einem Jahr geweitet – die Verkalkung bildete sich also durch einen anderen Lebensstil zurück.

Das ist auch der Kern der Ordnungstherapie, des Kerns der modernen Naturheilkunde, die in den USA zur „Mind-Body-Medizin“ erweitert wurde und nun die Zusammenhänge zwischen Psyche, Einstellungen und körperlichen Reaktionen untersucht. Hier gehen Erkenntnisse der Stress- und Hirnforschung ein. Interessant ist, dass einer der Pioniere, Herbert Benson vom Massachusetts General Hospital in Boston, ebenfalls Kardiologe ist. Aus der Motivation heraus, etwas gegen den gesundheitsschädlichen Stress zu tun, entwickelte er Programme, die den Körper gezielt in einen Zustand der Entspannung versetzen können – durch Atmung und Konzentration. Die Mind-Body-Medizin beschäftigt sich also auch mit der Frage, wie wir es schaffen, nachhaltig gesünder zu leben – denn dass wir es sollten, wissen wir alle.

Die Kraft der Entspannung
Die moderne Naturheilkunde und die Mind-Body-Medizin sind also die Basis einer neuen Lebensstilmedizin, die dem Patienten Verantwortung zurückgibt. Wichtig dabei ist, das Bewusstsein für den eigenen Körper wieder zu wecken – zum Beispiel durch Bewegungslehren wie Qigong oder Yoga. Bei herzfreundlicher Körperarbeit geht es nämlich um mehr als nur darum, den richtigen Trainingspuls zu halten. Bei der Ernährung reicht es nicht, auf bestimmte Fette zu achten, die das Herz bedrohen, sondern auch tierische Eiweiße sollten reduziert werden. Sie erzeugen über Stunden einen leichten Entzündungszustand, eine Art Immunreaktion, die auch das Herz belastet. Ganz zentral aber, zeigen viele neue Studien, sind eine stabile Partnerschaft und gutes seelisches Gleichgewicht. Negative Erwartungen und Ängste verstärken das Risiko für das Herz. Es gibt aber viele Möglichkeiten, darauf positiv einzuwirken – angefangen von der Progressiven Muskelrelaxation bis zur Meditation. Jeder und jede können ihre individuelle Methode finden. Übrigens: Ein Waldspaziergang beruhigt das vegetative Nervensystem mehr als ein Cardio-Training im Fitnessstudio.


Buchtipp
Gustav Dobos: Das gestresste Herz. Mit Naturheilkunde für ein längeres Leben – Neueste Forschung zu Lebensstil und Herzgesundheit – Das 8-Wochen-Programm Scorpio Verlag, 272 Seiten, 20 Euro , scorpio-verlag.de

Gustav Dobos
Prof. Dr. med. Gustav Dobos, RC Essen-Ruhr, ist Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte sowie Lehrstuhlinhaber der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungsprofessur für Naturheilkunde an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. kem-med.com