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Hoffmeisters Fundstücke

Auf in die Opernsaison

Hoffmeisters Fundstücke - Auf in die Opernsaison
© Jessine Hein/Illustratoren

Zum Einstieg vier Empfehlungen, die Lust auf einen Besuch im Musiktheater machen.

Martin Hoffmeister01.10.2022

Fachmagazine bilden seit je das substanzielle Rückgrat des internationalen Printjournalismus. Zukünftig erfolgsentscheidend dürften nach wie vor zum einen Interesse und Bindung der Kunden an das verhandelte Sujet sein, zum anderen Form, Stil und Layout der offerierten Expertise, nicht zuletzt der inhaltliche Mehrwert gegenüber einschlägigen Online-Portalen. Im Segment Musiktheater spricht vieles für das Londoner Magazin Opera. Dessen globale und fraglos gebildete Leserschaft darf sich allmonatlich von führenden Autoren zuverlässig, sprachlich versiert und kritisch informiert schätzen über aktuelle Trends, News, wichtige Neuproduktionen aus aller Welt, einschlägige CD- und DVD/Blu-Ray-Veröffentlichungen und Buchpublikationen ebenso wie über Protagonisten und Nachwuchs der opulenten Szene. Solitär zudem der detaillierte globale Spielplan-Kalender. Sophistication im handlichen DIN-A5-Format gerahmt von sinnstiftender Bildsprache: ein publizistischer Glücksfall.

Richard Wagners Ring des Nibelungen, das monumentalste Bühnenwerk der Opernhistorie, inszeniert als Hörspiel? Dessen Finale, die Götterdämmerung, entschlackt und verdichtet auf EINE Stunde Spieldauer? Vorliegende Bearbeitung von Regine Ahrem überzeugt auf ganzer Linie, indem sie Wagners Kunstsprache ins zeitgemäße Idiom „übersetzt“, die Handlung strafft und nach allen Regeln der Hörspielkunst Versatzstücke von Wagners Musik amalgamiert mit atmosphärischen Geräusche-Tableaus, Erzählsträngen und szenischen Einlassungen. Suggestiv wie markiert weiß Regisseurin Ahrem den Showdown des Rings, das Ende des Götterreiches Walhall und das Glück der Rheintöchter über den begehrten Schatz zu arrangieren. Weltuntergang und Erlösung eingefangen in 3-D-Technik mit führenden Sprecherinnen und Sprechern aus Theater und Film.

Andere Szenerie: ein mährisches Dorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die unverheiratete Jenufa erwartet ein Kind von ihrem Geliebten Steva. Auch dessen Stiefbruder Laca macht der Protagonistin Avancen. Ohne Hochzeit droht Jenufa gesellschaftliche Ächtung. Steva erweist sich als unwürdiger Anwärter. Ihre Ziehmutter ertränkt das geborene Kind. Am Ende heiratet Jenufa den aufrichtig antichambrierenden Laca. Leoš Janáčeks populärstes Werk verhandelt das ganze Spektrum menschlicher Emotionen. Entlang vielfältiger stilistischer Mittel, insbesondere der Integration folkloristischer Idiome zeichnet der Komponist allzu menschliche Tableaus zwischen Hyperemotion, Schuld, Sühne, Eifersucht, Zwängen, Übergriffigkeit, Drama und fiebriger Irrungen. Für die Bühne des Londoner Royal Opera House meißelt Claus Guth in Elend und Verzweiflung gefangene Charaktere. Existenziell versehrt, von expressiv-minimalistischer Gestik getragen, bewegen sich die Protagonisten eher zurückgenommen im schlicht gehaltenen Bühnenraum. Asmik Grigorian in der Titelpartie gestaltet ihr Covent-Garden-Debüt unbedingt zwingend und beweglich. Selten in diesen Tagen vernimmt man vergleichbare vokale Intensität und Schattierungsreichtum.

Opernaffine wissen es: Entlang der Gattung wird nicht weniger als die Welt verhandelt. Wer sich auf das Sujet einlässt, wandelt entsprechend auf schwankendem Grund. Denn 400 Jahre einschlägige Geschichte konsistent, den heterogenen Ausformungen gerecht werdend, zumal objektiv abbilden zu wollen, gleicht einer Herkulesaufgabe. Um überschaubar zu bleiben, fokussiert das britischamerikanische Autorenpaar Abbate/Parker im vorliegenden Band auf Komponisten und Werke. Im Zentrum der weitgehend chronologischen Einlassungen stehen die kompositorischen Wegmarken der Historie. Eher im Erzählduktus als in Manier wissenschaftlicher Abhandlung falten die Autoren die Grundlagen der Operngeschichte auf und ergänzen diese um Seitenreflexionen und humorgesättigte Volten. Idealtypisch kurzweilige und unterhaltsame Wissensvermittlung nicht nur für vorgebildete Leserkreise.


  1. Opera, Editor: John Allison, opera.co.uk, Magazin
  2. Wagner, Der Ring des Nibelungen – Götterdämmerung, Hörspiel mit Dimitrij Schaad, Regina Lemnitz, Fabian Hinrichs und anderen, Der Audio Verlag, 16 Euro, Hörbuch
  3. Janáček, Jenufa, Stage Director: Claus Guth; Asmik Grigorian, Karita Mattila, Nicky Spence und andere, Orchestra of the Royal Opera House, Royal Opera Chorus, Henrik Nánási, Opus Arte, DVD
  4. Carolyn Abbate/Roger Parker, Eine Geschichte der Oper. Die letzten 400 Jahre, C. H. Beck, 735 Seiten, 50 Abb., 28 Euro, Buch

 

 

 

Martin Hoffmeister

Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.

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