Hoffmeisters Empfehlungen
(Charakter-)Köpfe
Außergewöhnliches gegen den langweiligen Mainstream
Selbst die Vermassungs- und Nivellierungstendenzen dieser Tage vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es Einzelne sind, die die Welt bewegen. Mögen profilfreie Zeitgeistapologeten und gesellschaftlich sanktionierte Opportunisten auch gegen Leistung und Potenziale des selbstverantwortlich handelnden Individuums stehen und jedes Mittel nutzen, verbliebene Verstandes- und Kreativressourcen zu desavouieren, so bleibt am Ende doch der Triumph der wenigen, gegen fahlen Mainstream das Außergewöhnliche gesetzt zu haben.
Der britische Dirigent Simon Rattle zählte nie zu den nach metaphysischen Dimensionen oder Transzendenz strebenden Maestros der Szene. Seine Annäherungen an die exem– plarischen Werke der Sinfonik standen eher in Zeichen struktureller Deutlichkeit und Ausdrucksnuancen. Für sein Abschiedskonzert mit den Berliner Philharmonikern im Juni 2018 programmierte Rattle Gustav Mahlers 6. Sinfonie, mit der er über 30 Jahre zuvor bereits seinen Einstand in der Philharmonie gegeben hatte. Auch Rattles Mahler-Exegesen zeichnen sich durch klare Linienführung und höchsten Durchformungswillen aus. Die unlängst erschienene Box integriert neben den beiden Konzertmitschnitten der Mahler-Sinfonie ein Konzert-Video und eine Dokumentation der Ära Rattle (2002–2018).
Zu den wesentlichen Sujets des umfangreichen wie vielgesichtigen Werkes des Schriftstellers Thomas Bernhard gehörten Musik, seine Heimat Österreich und der Tod. Der große Einzelgänger der österreichischen Literatur kämpfte mit seinem Schreiben an gegen alles und (fast) jeden, im Besonderen gegen Politiker, den Kunst- und Literaturbetrieb, Verlogenheit, Dummheit und, nicht zuletzt, die eigenen körperlichen Gebrechen. Neben den einschlägigen Romanen, Erzählungen und Theaterstücken markiert insbesondere die fünfteilige Autobiografie Grundlage und Zentrum von Bernhards Schaffen. Dass der Salzburger Residenz Verlag die Schriften jetzt in einem Band vorlegt, ist nicht nur dem 30. Todestag des Autors, sondern ebenso dem Engagement des österreichischen Künstlers und Bernhard-Bewunderers Erwin Wurm geschuldet, der zu dem apart gestalteten Band eine Reihe feinsinnig-empathischer Aquarell-Porträts beisteuerte.
Selten einmal wurde das Schaffen eines international renommierten Klavierduos vergleichbar umfassend dokumentiert: Die vorliegende 7-CD und 6-DVD- beziehungsweise Blu-ray-Box präsentiert zahllose künstlerische Wegmarken des breit spektrierten Schaffens der türkischen Zwillingsschwestern Güher und Süher Pekinel. Die ausdrucksstarke, variable und technisch makellose Spielkultur des Duos besticht durch vielfältige Farbschattierungen, ausgeprägten Sinn für Bögen und Form wie delikate Rubati und agogisches Raffinement. Getragen von singulärer Organik und subtilem Interplay zelebrierten die Schwestern über die vergangenen vier Jahrzehnte eine enorme Repertoire-Palette zwischen Bach und Bernstein, Mozart und Messiaen und Schubert und Gershwin. Exegesen von olympionikischem Format.
Der 200. Geburtstag Theodor Fontanes im Dezember wirft seine Schatten voraus. So hob der Audio Verlag für seine 12-CD-Edition aus deutschen Rundfunkarchiven acht Hörspielfassungen bedeutender Fontane-Romane.
Exemplarische Dicht- und Radiokunst stehen hierbei für Kurzweil und Erkenntnis.
- Thomas Bernhard, Autobiograph. Schriften in einem Band, Einmalige Ausgabe, mit Aquarellen von Erwin Wurm, Residenz Verlag, 640 S., 60 Euro
- Theodor Fontane, Die große Hörspiel-Edition, mit Klaus Maria Brandauer, Gert Westphal, Hans Paetsch u. a., Der Audio Verlag, 13:53 Std., 29,99 Euro
- Gustav Mahler, Symphony Nr. 6, Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle, 2 CDs, 1 Blu-ray, Berliner Philharmoniker Recordings
- Güher & Süher Pekinel, Treasures, The most valuable Recordings, 7 CDs, 4 DVDs, 2 Blu-rays + Hardcoverbook 108 S., Arthaus Musik 109366
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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