Hoffmeisters Empfehlungen
Das Geschenk als Botschaft
Bachs Weihnachtsoratorium, ein packender Bildband und zwei weitere Präsentideen
Das angemessene Geschenk spiegelt ebenso Empathie und Stil des Schenkenden, wie es zielgenaue und wissende Botschaften an den Empfänger sendet. Es spielt mit der Fantasie des Beschenkten, zeitigt Respekt, offeriert Nähe wie es die Korrespondenz von Zugewandtheit und Distanz reflektiert. Das geglückte Geschenk erkennt sich fragiler Geste näher als materialisiertem Statement. Das Weihnachtsfest erinnert daran.
Der Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach vermochte wie wenige die Niederungen alltäglicher Verrichtung mit den Herausforderungen transzendierender Klangkunst zu vereinen. So oszilliert sein Schaffen zwischen pragmatischem Zugriff, genialischer Einlassung, entgrenzender Himmelsschau und tiefer Gläubigkeit. Exemplarisch dafür steht mit dem „Weihnachtsoratorium“ eine Sammlung von sechs Kantaten, die an den Sonn- und Feiertagen während der Festzeit in den Leipziger Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai aufgeführt wurden. Rund 20 interpretatorisch konsistente, handwerklich profilierte Einspielungen verzeichnet der Katalog, darunter sämtliche Spielarten historisch-informierter oder romantisierender Lesart. Vorliegender Live-Mitschnitt aus der Thomaskirche mit Gotthold Schwarz, Thomanerchor und Gewandhausorchester zelebriert die klangliche Mitte. Schwarz’ Exegese sucht weniger aufgeraute oder kontrastierende Tableaus als die kontemplative und introspektive Seite des Materials. Ein Plädoyer für künstlerische Balance.
Mit dem US-amerikanischen Maler, Fotografen und Objektkünstler Cy Twombly verlor die internationale Kunstszene 2011 einen ihrer avanciertesten Vertreter. Sowohl sein vielgesichtiges Werk als auch seine zahlreichen Häuser und Ateliers weisen Twombly als einen Künstler aus, der der Antike und dem „Alten Europa“ eher zugetan war als aufgeregten Gegenwartsszenarien. Der vorliegende opulente Bildband mit begleitenden Essays von Nicola Del Roscio und Florian Illies bietet einen tief greifenden Einblick in die „Orte“ des scheuen Künstlers, fokussiert auf Räume, Gegenstände, Mobiliar und Sammlungsobjekte, Gemälde und Skulpturen, und präsentiert überdies Porträts des Protagonisten. In den Bildern bedeutender Fotografen erstehen sechs Jahrzehnte konzentrierter Kunst- und Lebensgeschichte.
Die Französin George Sand (1804–1876) war vieles: Schriftstellerin, Journalistin, Adlige, Feministin, politische Aktivistin, Mutter, Liebende und Freundin prominenter Zeitgenossen wie Balzac, Dumas oder Liszt. Doch Sands umtriebiges, unangepasstes, von intellektueller Hoffart und emotionalen Grenzgängen gezeichnetes Leben polarisierte, ihre Romane inszenierten den Skandal. Beate Rygiert nimmt die von poetischer Leidenschaft, Eros und mentaler Verdichtung gezeichnete Vita einer strahlend-dynamischen Persönlichkeit sprachmächtig und differenziert in den Blick. Die Hörbuchfassung wird getragen von sprecherisch-theatraler Exzellenz (Tessa Mittelstaedt), die auch Distanz zum Sujet zulässt.
Das Beethoven-Jahr 2020 wirft seinen Schatten voraus. In begrenzter Stückzahl (1000) publizierte die Otto Klemperer Film Foundation eine Preziose des 1973 gestorbenen Maestros: Die zyklische Aufnahme der neun Sinfonien des Bonner Komponisten. Klemperers letzte Aufführung ging 1970 in der Londoner Royal Festival Hall an der Seite des New Philharmonia Orchestra über die Bühne. Ein Dokument eminenter künstlerischer Durchdringung, das weniger den Dirigenten in Szene setzt, als die zeitlose Bedeutung des Sinfonien-Kosmos feiert.
- Johann Sebastian Bach Christmas Oratorio, Thomanerchor Leipzig, Gewandhausorchester, Gotthold Schwarz, Accentus Music, ACC 30469, 2 CDs
- Nicola Del Roscio/Florian Illies Cy Twombly – Home & Studios, Schirmer/Mosel, 264 S., 136 Abb., 58 Euro
- Ludwig van Beethoven Symphonies 1-9, Otto Klemperer, New Philharmonia Orchestra, Otto Klemperer Film Foundation 899048, 5 Bluray-Discs
- Beate Rygiert, George Sand und die Sprache der Liebe, Der Audio Verlag, 16,99 Euro
Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.
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