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Titelthema

Die Schönen vom Lande

Titelthema - Die Schönen vom Lande
Dorfkirchen stiften gerade auf dem Lande Identität – und sind dennoch oft (wie hier in Dambeck) in einem beklagenswerten Zustand. © Roland Rossner/Deutsche Stiftung Denkmalschutz

Gerade in kleinen Orten sind sie prägend wie kaum ein anderes Gebäude. Dennoch sind die Dorfkirchen durch den Strukturwandel stark gefährdet.

Ursula Schirmer01.12.2017

Sie gelten als prägend für unsere Kulturlandschaften, sind sprichwörtlich der Orientierungspunkt der Ortsgemeinschaft und gelten vielerorts als die letzten nicht-kommerziellen Räume in ländlichen Gebieten: die Dorfkirchen. Der Strukturwandel im ländlichen Raum hat zu massiven Veränderungen geführt: Aus der Kleinschule wurde das Schulzentrum in der nächsten Kreisstadt, die Post wurde geschlossen, es gibt keine Bank mehr und statt der Tante-Emma-Läden locken Einkaufszentren an den Ausfallstraßen. Selbst die Gaststätten werden vielerorts durch Trinkkioske und Tankstellen ersetzt. Doch wenn auch Kirchengemeinden zusammengelegt werden sollen und die Kirchengebäude als nicht mehr „rentabel“ zur Disposition stehen, mobilisiert ihr drohender Verlust oft ungeahnte Kräfte. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) als größte private Denkmalstiftung in Deutschland kann dieses große Engagement für die Dorfkirchen messen: Die Spendenbereitschaft für die „Schönen vom Lande“ ist immens und ungebrochen.

Ein bundesweites Problem
In Anbetracht der demographischen Entwicklung und der zunehmenden Landflucht ist die Gefährdung der Dorfkirchen keine vorübergehende Erscheinung und ein bundesweites Problem in strukturschwachen Gebieten. In Friesland, der Eifel oder in Nordhessen bedürfen die kleiner werdenden Gemeinden ebenso der Hilfe wie in Vorpommern, im Harz oder in der Lausitz. Für die über viele Jahrzehnte vernachlässigten Dorfkirchen in den östlichen Bundesländern wurden inzwischen eine Vielzahl von Initiativen entwickelt, die bundesweit Vorbildcharakter haben.
Damit die Kirche im Dorf bleibt, haben sich vielerorts Menschen zu Vereinen und Initiativen zusammengefunden. Die Erfahrung zeigt, dass sich anhand der gemeinsamen Arbeit am Kirchenbau auch wieder eine Kirchengemeinde finden kann, wie es im brandenburgischen Plänitz bereits in den 1990er Jahren gelang. Die kleine barocke Kirche von 1709, die die anspruchsvolle Architektur der Zeit im ländlichen Fachwerk nachempfindet, wurde nach der Wende zum Symbolbau für den Neuanfang, auch der Kirchengemeinde. Unterstützt von den Spendern der DSD, von Land, Kirche und vielen engagierten Mit-“Arbeitern“ gelang es dem damaligen Pfarrer, die Kirche schon vor der Wiedereinweihung 2001 zum Mittelpunkt des Ortes und der Gemeinde zu machen. Ausgezeichnet mit dem brandenburgischen Denkmalschutzpreis, ist die Kirche heute ein Schmuckstück in der Prignitz.
Ein ermutigendes Beispiel für die Wiedergewinnung sogar bereits aufgegebener Bauten ist die Kirche des 236-Seelen-Dorfes Strehlow in Mecklenburg-Vorpommern. Die Bürger des Ortes engagierten sich gegen den Abriss und übernahmen die Kirche mutig ins Eigentum. Der Kirchenbau aus dem 13. Jahrhundert mit seinem Turm, dessen Wetterfahne das Datum 1747 zeigt, war bis auf die Außenmauern völlig ruinös. Heute wird die Dorfkirche für Ausstellungen, Konzerte und Aufführungen genutzt, als Ort für Dorf- und Familienfeste – und wieder für kirchliche Feiern. Die Dorfkirche ist eine viel genutzte Außenstelle des Standesamts und quasi die gute Stube des Ortes. Jenseits der Kirchenzugehörigkeit war der Wunsch nach einem gemeinsamen Raum, einem würdigen Rahmen die Antriebsfeder für jahrelangen Einsatz und Werben um Unterstützung. Die Geschichte vom Engagement der Gemeinde begeisterte bundesweit die Förderer der DSD so sehr, dass sie die Arbeiten mit über 60.000 Euro förderten.
Selbst Dorfkirchen ohne Gemeinde, scheinbar überflüssig, können so als umgenutzte oder erweitert genutzte Kirchen einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität und Identität im ländlichen Raum leisten. Neu oder wieder zur Verfügung stehender Raum bietet für die Ortsgemeinschaften neue Chancen. Nur genutzte Denkmale sind Denkmale mit Zukunft.  Doch ab wann sind Kirchen genutzt? Reichen uns monatliche Gottesdienste im Sommer, ein paar Konzerte, eine Ausstellung, Theateraufführungen oder Lesungen, um uns einen Raum der Einkehr dauerhaft zu leisten? Umgekehrt könnte man die Frage stellen, wie viele Büroetagen im Kölner Dom untergebracht werden müssten, damit dieser enorme umbaute Raum in zentraler Lage effizient und wirtschaftlich genutzt sein würde.

Langer Atem und Gottvertrauen
Eine neue Gemeinde fand die ehemalige Jesuitenkirche in Saarlouis: das nach dem Gegenreformator Petrus Canisius so genannte Canisianum. Die bewegte Geschichte des Ortes und die ständige bauliche Veränderung hat hier eine jahrhundertelange Tradition. Der Neuanfang nach jahrelangem Leerstand durch die 2012 hier eingezogene Petrusbruderschaft und der von ihr betreuten Gemeinde ist eine Chance auch für das Denkmal. Im wiederhergestellten Innenraum hat die kleine Gemeinde eine neue Heimat gefunden, auch wenn noch viel zu tun ist.
All diese Beispiele stehen stellvertretend für das bürgerschaftliche Engagement, das Dorfkirchen hervorrufen. Sie sind individuelle und kollektive Erinnerungsorte, hier hat über Generationen Orts- und Familiengeschichte stattgefunden. Sich in einer Verantwortungstradition manchmal bis ins frühe Mittelalter zu finden und das Verbindungsglied in die nächste Generation zu sein, gibt vielen der Mitstreiter Antrieb und Identifikation. Vielleicht ist es gerade die Zweckfreiheit des Ortes in unserer Zeit allgegenwärtiger Effizienz, der die Menschen berührt.
Für einige dieser mit großem Engagement und erheblichen Mitteln geretteten Kirchen in Sachsen-Anhalt hat die von der DSD treuhänderisch betreute Stiftung „Entschlossene Kirchen“ ergänzende und kreative kulturelle Ansätze entwickelt – oder sie sind einfach Orte der Einkehr. Ob als Gesangbuchkirche (Luso), Radfahrerkirche (Steckby), Weihnachtskirche (Polenzko) oder Autobahnkirche (Brumby) – sie fanden neue Freunde und Besucher und damit eine Zukunft.  
Gerade bei den unspektakulären Dorfkirchen gilt: Nach der Restaurierung ist vor der Restaurierung. Kontinuierliche Pflege, kleine Schritte und ein langer Atem sind es, die die Kirchengemeinden und Fördervereine auszeichnen. Genau diese Eigenschaften sind es, die andere begeistern und zur Unterstützung bewegen. Der lange Atem und das nötige Gottvertrauen, das Professor Gottfried Kiesow, langjähriger Vorstand der DSD, den Kirchengemeinden immer wieder anempfohlen hat, prägten die Erfolgsgeschichten.

Die Sanierung der barocken Kirche in Plänitz (Prignitz) ist ein wunderbares
Beispiel
für die segensreiche Arbeit engagierter Denkmalschützer.
Foto: .L. Preiss/Deutsche
Stiftung Denkmalschutz,
Roland Rossner/Deutsche Stiftung Denkmalschutz

 


Herzensangelegenheit Innenraum

Obwohl der romanische Kirchenbau am Ortsrand von Dambeck schon lange zu groß ist für die 50 Gemeindemitglieder, kämpfen sie um ihren historischen Bau. Viele Generationen haben ihre Ergänzungen, Umbauten oder Ausstattungsstücke zum Gesamtkunstwerk beigetragen. Der heutigen Gemeinde gelangen in den letzten Jahren kleine und schrittweise Instandsetzungsarbeiten vom Außenmauerwerk bis zu den Dachflächen. Auch hier wurde sehr behutsam und ideenreich geplant und qualitätvoll ausgeführt. Der Kirchengemeinde liegt nun vor allem das Innere der Dorfkirche am Herzen.
Oft sind es weniger die prächtigen Außenhüllen, als vielmehr die geschichts- und geschichtenträchtigen Innenräume, die die Dorfkirchen für ihre Gemeinden und Fördervereine zur Herzensangelegenheit machen.
So auch im rheinland-pfälzischen Spay. Die eher unscheinbare kleine Kapelle St. Peter und Paul entstand um 1300.
Den Bruchsteinbau schließt im Osten ein Chor ab, auf dem Satteldach sitzt ein verschieferter Dachreiter. Ihre besondere Bedeutung erhält die Kapelle durch die figürlichen Wandfresken aus der Erbauungszeit. Mit den Szenen vom Jüngsten Gericht, Passion und Auferstehung, der Heilige Martin und Christophorus, der Darstellung der Anbetung der Könige sowie der Apostel gehören die Wandmalereien in ihrer kunsthistorischen Bedeutung zu den schönsten und wichtigsten mittelalterlichen Ausmalungen in Rheinland-Pfalz. Die Gefährdung der in den 1930er Jahren freigelegten Malerei war seit langem bekannt. Ihre Restaurierung seit 1999 begleitet und trägt ein enthusiastischer Förderverein – der voller Stolz dieses außergewöhnliche Denkmal so oft wie möglich nutzt und der Öffentlichkeit zugänglich macht.
„Sakralbauten sind Stätten der Andacht und der Begegnung mit Gott. Zugleich sind Gotteshäuser aber immer auch Häuser für Menschen. In früheren Jahrhunderten waren die Kirchen oft der einzige Ort, an dem die Kunst im Alltagsleben der einfachen Menschen präsent war, wo sie Schönheit und Erhabenheit erfahren konnten“ – so formulierte es der damalige Bundespräsident Horst Köhler als Schirmherr der Deutschen Stiftung Denkmalschutz 2007. Diese Worte fassen eindringlich zusammen, welche Bedeutung den Kirchen auch heute noch in unserem Leben zukommt. Es sind die Kirchen, die unsere landschaftlichen und urbanen Silhouetten prägen, die ein Gefühl von Heimat und Identität vermitteln.
Wie kaum ein anderer Bautyp verkörpern die Dorfkirchen Tradition und Werte. Diese Verbindung von Geschichte, Kultur und Glaube, die sich an diesem Bauwerk erfahren, erkennen und verstehen lässt, bewegt die Menschen vielerorts zu ihrer Rettung. Wo Gemeinden, Fördervereine und Denkmalpfleger sich gemeinsam für die Erhaltung engagieren, steht die Deutsche Stiftung Denkmalschutz als überregionale private Einrichtungen als Partner bereit.


 

Deutsche Stiftung Denkmalschutz

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) ist die größte private Initiative für Denkmalpflege in Deutschland. Sie setzt sich seit 1985 kreativ, fachlich fundiert und unabhängig für den Erhalt bedrohter Baudenkmale ein. Ihr ganzheitlicher Ansatz ist einzigartig und reicht von der Notfallrettung gefährdeter Denkmale, pädagogischen Schul- und Jugendprogrammen bis hin zur bundesweiten Aktion „Tag des offenen Denkmals“. Insgesamt konnte die DSD vor allem dank der aktiven Mithilfe und Spenden von über 200.000 Förderern bereits über 5000 Projekte mit mehr als einer halben Milliarde Euro in ganz Deutschland unterstützen – darunter allein 1168 Dorfkirchen. Doch immer noch sind zahlreiche einzigartige Baudenkmale in Deutschland akut bedroht.
www.denkmalschutz.de


 

Stiftung KiBa

Im Jahre 1997 gründete die EKD die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (STIFTUNG KIBA). Die KIBA unterstützt Kirchengemeinden finanziell bei der Erhaltung ihrer oft denkmalgeschützten Kirchen. Zwischen 90 und 110 Förderzusagen gibt die STIFTUNG KIBA pro Jahr.