Die Regeln der Waidgerechtigkeit und das Ringen um neue Jagdgesetze
Nachhaltig aus Tradition
Obwohl die Jagd die älteste Art der Nahrungsbeschaffung des Menschen ist, steht sie in jüngster Zeit unter massivem Druck. Die Beiträge des Titelthemas im Oktober setzen sich mit der Kritik der Tierschützer auseinander. Sie erläutern, warum Jagd notwendig ist, und hinterfragen zugleich, was sich an der traditionellen Art des Jagens ändern muss, damit das Waidwerk eine Zukunft hat.
Jagd ist die älteste Form menschlicher Nahrungsbeschaffung. Älter als der Ackerbau und sogar älter als die Entdeckung des Feuermachens. Bis heute hat sich unsere Spezies die Anlagen des Fleischfressers erhalten. Vom Gebiss bis zum Jagdinstinkt, der noch in vielen Menschen schlummert, mehr oder weniger ausgeprägt.
Jagdinstinkt treibt letztendlich sogar den Tierschützer. Dem liegt das ihm schutzbefohlene Wild am Herzen wie dem Jäger, der weiß, dass Jagd auf sorgsamen Umgang mit der Beute angewiesen ist, wenn sie nachhaltig sein soll. Ein Wissen, das dem Zeitgeist des Heutigen zunehmend abhanden kommt. Auch deshalb, weil die aktuellen Debatten nur wenig Raum lassen für die Sicht des Jägers.
Die Geschichte der Jagd und der Jagdgesetzgebung in unserem Kulturkreis ist seit Jahrhunderten maßgeblich vom Streben nach Naturschutz geprägt. Die Regeln der Waidgerechtigkeit haben Wurzeln bis ins frühe Mittelalter. Sie sind wohl nicht selbstlos entstanden, dienen aber doch auch dem Überleben von Fauna und Flora. Tiere, die der Mensch ins Aussterben verdrängt hat, kann der Jäger nicht erbeuten, lautet die Einsicht. Spätestens seit dem neunten Jahrhundert unserer Zeitrechnung gibt es solche Regeln, mit wenigen, schmerzlichen Unterbrechungen. So lange schon ist das Wild nicht mehr vogelfrei (auch so ein Allgemeingut gewordenes Jäger-Wort für die einst Jedermann erlaubte Jagd auf Vögel), und so lange schon wird die Jagdbeute hierzulande als an Grundbesitz gebundenes Eigentum verstanden. Als Wertgegenstand durchaus vergleichbar mit dem Ertrag der Feldfrucht. Und für viele Bauern bis heute eine nicht geringe Einnahmequelle.
Auch der fortwährende Konflikt zwischen neuzeitlicher Landwirtschaft und der Jagd hat eine lange Tradition. Als Grundbesitzern kommt den Bauern heute nicht nur das Jagdrecht zu, sondern auch die meist an Genossenschaften übertragene Pflicht, die Wildbestände so kurz zu halten, dass Kulturlandschaft gedeihen kann und Wildschäden nicht überhand nehmen. In der Wirklichkeit sind es fast ausschließlich die Jäger, die solche Pflicht und Bürde per Pachtvertrag übernehmen und mit ihrem Geldbeutel dafür gerade stehen.
Selbst die so oft belächelte oder gar verteufelte Wertschätzung der Trophäe ist im Kern Ausdruck solchen Strebens nach Nachhaltigkeit. Der waidgerechte Jäger erlegt keine Tiere, die noch Früchte bringen – die weiblichen Stücke im guten Alter nicht und auch nicht den Hirsch in seinen besten Jahren. Verstöße führten und führen zu harscher Kritik, spätestens bei der alljährlichen Trophäenschau, die heute verschämt Hegeschau genannt wird, obwohl es dort doch auch um die Einhaltung bewährter Regeln der Waidgerechtigkeit geht.
Über Jahrhunderte war es guter Jägerbrauch, trächtiges Wild und weibliche Tiere mit Jungen nicht zu erlegen. Und was einst verpönt war, wird noch heute unter Waidgerechten nicht gerne gesehen. Auch aus dieser Haltung entsteht so mancher Konflikt zwischen dem auf möglichst zahlreichen Abschuss gerichteten modischen Denken der Schalenwildreduktion und der oft unsachlich verunglimpften Tradition.
Zur Geschichte der Jagd gehört aber auch der Wandel von der klassenlosen Nahrungsbeschaffung der Frühzeit zur „herrschaftlichen Jagd“, die dem gemeinen Volk verwehrt blieb und nicht selten dem reinen Vergnügen diente. Bis in die beginnende Neuzeit hinein war die „Hohe Jagd“, etwa auf Hirsche oder auch den Auerhahn, dem Adel und wenigen Reichen vorbehalten, mitunter auch dem höheren Klerus. Dem Bauern blieb, wenn überhaupt, das Niederwild.
Relikte solcher Weichenstellung sind bis heute zu spüren. Vor allem auch in vielen Vorbehalten gegen die Jagd. Wenig informierten Zeitgenossen gilt sie immer noch als Privileg einer zahlungskräftigen Minderheit oder (siehe die ehemaligen Ostblockländer) der politisch Mächtigen. In der DDR etwa gehörte das Wild zwar allen Bürgern, aber die Jagdausübung für Normalverbraucher war geprägt durch Beschränkungen und Schikanen. Dafür trieb der Trophäenkult in Repräsentationsrevieren wie der Schorfheide nordöstlich von Berlin Auswüchse zum immensen Schaden von Wald und Flur.
Vorurteile und Mythen
So manche Facette der deutschen Jagdgeschichte stützt also die Annahme, dass feudale Rahmenbedingungen einer naturverträglichen Jagd nicht dienlich sind. Das war nicht erst unter Hitlers „Reichsjägermeister“ Hermann Göring so. Das gab es schon zu Kaisers Zeiten und schon in den Bauernkriegen, die sich auch gegen die Pflicht richteten, der Herrschaft im Frondienst auch noch dabei zu helfen, dem Landvolk den Sonntagsbraten abzujagen. Doch dem gemeinen Volk waren Jagdlust und Hunger nicht auszutreiben, der Mythos des Wilderers gehört zur Jagd wie das Vorurteil, dass diese reine Männersache sei. Auch das ist falsch, so wahr die Jagdgöttinnen Artemis und Diana Frauen sind.
Aber nichts hält sich hartnäckiger als Vorurteile. Auch jenes, dass die Jagd ein vorrangig blutrünstiges Vergnügen und ein Relikt der Feudalzeit sei. Dabei sind die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Jagdrechts unserer Tage seit ihren Ursprüngen geprägt vom Gedanken der Nachhaltigkeit, um den Wildwuchs in den Jahrzehnten nach der Deutschen Revolution von 1848 zu beschränken. Die Zeiten, in denen Jedermann beinahe nach Gutdünken jagte, wurden durch eine geordnete Bewirtschaftung der Ressource Wild abgelöst – durchaus zum Nutzen der Artenvielfalt.
Erst die Moderne beginnt solche Regeln erneut zu hinterfragen. Einerseits von Nützlichkeitsdenken einer zunehmend profitorientierten (Wald)wirtschaft getrieben, andererseits von einer Tierrechte-Diskussion, die das über lange Zeit nützliche Miteinander von Jägern und Wildtieren ebenso leugnen will wie die Instinkte von gut 360.000 deutschen Jägerinnen und Jägern. Ihre Zahl steigt, nebenbei bemerkt, mit stattlichen Zuwachsraten – trotz immer heftiger vorgebrachter Kritik am angeblich überholten Waidwerk.
Das in solchem Disput immer wieder vorgetragene Argument, dass deutsche Waidmänner bis heute nach Hermann Görings Regeln jagen, ist da auch so ein beliebter Irrtum. Als Erfinder des modernen Jagdrechts gilt vielmehr der preußische Ministerpräsident Otto Braun. Ein Sozialdemokrat, der im Jahr 1929 die „Preußische Tier- und Pflanzenschutzverordnung“ auf den Weg brachte. Göring sorgte nur für völkische Redewendungen – und in der Praxis dafür, dass die Bürger- und Bauernjagd wieder zum feudalen Vergnügen wurde. Was zum Glück keine tausend Jahre anhielt.
Nach Kriegsende verhängten die Besatzungsmächte erst einmal ein weitgehendes Jagdverbot und entwaffneten auch die Jäger. Den Wildbeständen und dem Artenschutz hat die dann folgende „wilde“ Jagd fremder Soldaten nicht gut getan. Und die Arbeit an einem neuen Bundesjagdgesetz waren auch ein Zeichen allmählich wiedergewonnener staatlicher Souveränität. 1952 war es dann so weit: Die demokratische Republik verabschiedete das Gesetzeswerk in der Tradition der Frankfurter Nationalversammlung, welche die Jagd gemeinsam mit den Grundrechten reformierte. Und auch in der Tradition des preußischen Sozialdemokraten Braun, den die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung ins Exil vertrieben.
Seit den bundesrepublikanischen Gründerjahren ist das Regelwerk mehrfach und behutsam den veränderten Rahmenbedingungen angepasst worden, zuletzt im vergangenen Jahr. Die (bisher kleinen) Unterschiede zwischen Nord und Süd und Ost und West regeln Landesjagdgesetze. Diese bestimmen auch die so oft aufgeregte Debatte der jüngeren Zeit. In Schleswig-Holstein etwa, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zumal streiten Landtage und Verbände um Novellen, die letztlich nicht allein dem Wohlergehen von Jagd und Wild geschuldet sind, sondern auch dem Zeitgeist und seiner Tierrechtsdebatte. So sind das Waidwerk und seine Regeln zum Zankapfel geworden wie nie zuvor seit Gründung der Republik. Und leider geprägt von Maximalforderungen, die auf das Experiment hinauslaufen, die Jagd ihrer heutigen Form auf ein „Wildtiermanagement“ zu reduzieren, das mehr den Regeln der ökonomischen Nützlichkeit und der Stimmungen folgt als denen der über Jahrhunderte gewachsenen guten Jäger-Praxis.
Noch verpflichten die Jagdgesetze in demokratischer Tradition zur Hege und Pflege. Und zum Interessenausgleich zwischen Natur- und Kulturlandschaft. Ob Menschen wirklich schützen, was ihnen nicht auch Nutzen bringt, muss die Zukunft weisen. Die allermeisten Jäger sind da aus gutem Grund skeptisch. Nicht zuletzt die Energiewende mit ihrem ausufernden Maisanbau, der Bienensterben und Wildschweine in Überzahl gedeihen lässt, bestätigt solche Bedenken. Im Zweifel, so scheint es, ist das Wohlleben wichtiger als Natur und wilde Tiere. Die Debatte um Jagdrechtsnovellen in so manchen Bundesländern lässt da nichts Gutes ahnen. Selbst wenn sie unter der Fahne der Tierrechte ausgetragen wird, befördert sie ein Denken, das die Kreatur als Störfaktor begreift. Als Freiwild sozusagen.
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