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Titelthema: Wald

Bedrohte Nachhaltigkeit

Der Wald ist gleichermaßen ein beliebtes Kultur- und Wirtschaftsgut. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt entwickelt sich in jüngster Zeit ein Streit um seinen wahren Wert – und seine richtige Nutzung.

Michael Lehner01.01.2017

Der Wald ist eines der Deutschen liebsten Kinder. Schauplatz von Sagen, Märchen und Emotionen seit Menschengedenken. Dazu Geburtsstätte des Begriffs der Nachhaltigkeit, schon vor gut 300 Jahren. Und wieder eine sichere Bank für Investoren: Der Holzverbrauch steigt in Riesenschritten, der Holzpreis ebenfalls. Gut so, denn ohne Er­träge wäre der Erholungsraum für Umwelt und Menschen kaum zu finanzieren.

Begehrte Einnahmequelle
Kein anderer Wirtschaftszweig steht derart für den Zwang, Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu bringen. Der Wald ist wichtig für das Klima, im Kleinen wie in globaler Sicht. Holz gewinnt im Zeichen der Energiewende neue Bedeutung als Ener­gie­träger und kommt auch als Bio-Baumate­rial wieder groß in Mode. Die Holzproduktion in Deutschland deckt kaum noch mehr als die Hälfte des heimischen Verbrauchs.

Rund 1,1 Millionen Deutschen gibt die Holzwirtschaft Brot und Arbeit. Mittlerweile steht in jedem zweiten Haushalt zumindest ein Holzofen. Der Brennholzpreis hat sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt. Biologen beklagen, dass nicht einmal mehr genug Holzabfälle im Wald verbleiben, um dort für natürliche Düngung zu sorgen.

Angefangen mit Bayern hat auch die Politik den Staatswald als Einnahme­quelle entdeckt. Aus den einstmals eher beschaulichen Forstämtern werden Profit-Zentren, streng ausgerichtet nach betriebswirtschaftlicher Effizienz. Sogar das Wild wird zum Konkurrenten, weil es dem Ertrag schadet. „Wald vor Wild“ ist zum Schlagwort geworden, nicht nur zum Leidwesen der Jäger.

Weitgehend unbemerkt von der Masse der Bürger entwickelt sich ein Kulturstreit um den wahren Wert der Wälder. So sehr Naturschutzaktivisten um die Vorteile des Rohstoffs Holz wissen, so sehr betrachten sie die industrielle Nutzung des Waldes als Bedrohung. Auf der einen Seite steht der Wunsch nach artenreichen Mischwäldern, auf der anderen der Bedarf an hochproduktiven Holz-Plantagen. Wobei kaum zu bestreiten ist, dass auch Letztere ihren Beitrag zum Schutz des Weltklimas leisten.

Die zumal in Schweden gebräuchlichen Kahlschläge gelten als Symbol für naturferne Nutzung. „Es gibt nur noch etwa zehn Prozent ursprüngliche oder zumindest naturnah erhaltene Waldgebiete inmitten der endlosen, monotonen Industrieforsten“, klagt die Naturschutzorganisation Robin Wood. Was gern verschwiegen wird: Wie Deutschland gehört Schweden zu den weltweit wenigen Ländern, die nachhaltige Forstwirtschaft früh per Gesetz festgeschrieben haben. Der Einschlag darf den Zuwachs nicht überschreiten. Eine Lehre aus bitterer Erfahrung:  Im beginnenden  Industriezeitalter waren viele europäische Wälder nahezu abgeholzt, vor allem auch in Skandinavien mit dem Holzkohle-­Hunger der Eisenhütten. Massenarmut und Mas­sen­auswanderung nach Amerika gehörten zu den Folgen – und auch das Nachdenken über das „Lebensmittel“ Wald.

Die heute so verpönte Kahlschlag­wirtschaft gehörte zu den Konsequenzen. Durchaus nicht mit nur negativen Folgen: Auf den vermeintlichen Brachen entwickeln sich binnen weniger Jahre neue Le­bens­gemeinschaften, zum Beispiel ideale Biotope für das in Mitteleuropa aussterbende Birk- und Auerwild ebenso wie Äsungsflächen für Reh, Hirsch und Elch.

Der Streit um den Anspruch, dass Wälder möglichst naturnah zu sein hätten, zieht sich durch die Neuzeit, bis heute. Mögen Waldbesitzerverbände noch so oft nachweisen, dass die Artenvielfalt im Nutzwald höher ist als in manchem naturbelassenen Mischwald, dessen Kronen kaum Licht für die bodennahe Vegetation durchlassen. Und trotz der ernüchternden Erfahrung, dass die moderne Freizeitgesellschaft mehrheitlich den „aufgeräumten“ Wald bevorzugt.

„Wunschdenken“ nennt der Waldbauer Heinrich Prinz zu Fürstenberg die Sehnsucht nach sich selbst überlassenen Wäldern: „Diese Sichtweise ist zu banal, da es diesen natürlichen Wald fast gar nicht gibt in Deutschland. Dieser Wunsch-­Naturwald könnte wirklich erst ein Waldökosystem werden, wenn der Mensch ihn mindestens 100 bis 200 Jahre in Ruhe lässt.“

Weltweite Problematik
Zum Disput über den Wald, der den Menschen und der Natur gerecht wird, gehört der globale Klimawandel. Die Erwärmung wird als Ursache der Hitze- und Trockenperioden diskutiert, die dem Wald sehr zusetzen, befördert wohl auch das vermehrte Vorkommen von Forstschädlingen. Eindringlicher lässt sich kaum illustrieren, dass es um eine weltweit vernetzte Problematik geht. Dass der Raubbau am tropischen Regenwald wohl bis in die subarktischen Regionen unserer Erde wirkt.

Da wirkt es gar nicht mehr so lächerlich,  wenn sich südamerikanische Öko-Aktivis­ten über die wachsende Lust auf Avocado-­Früchte beklagen. Der mit der Veggie-­Welle sprunghaft steigende Verbrauch der fettreichen Modefrüchte verdrängt den Wald in durchaus nennenswertem Umfang, klagt die Umweltschutzorganisation Gira in Mexiko: „Pro Jahr werden 1500 bis 4000 Hektar Wald gerodet, um Platz für Avocado-Felder zu schaffen.“
Die ZEIT hat unlängst in einer bemerkenswerten Analyse vorgerechnet, dass in die Produktion von einem Kilogramm Avo­cado rund 1000 Liter Wasser fließen, und in den (Kühl-)Transport zu den Ab­neh­mer­ländern ziemlich ungeheure Mengen Energie. Was die Öko-Bilanz kaum besser aussehen lässt als die von Import-Rindfleisch.

Schizophrene Verbraucher
Das deutsche Spendenaufkommen zur Rettung des Regenwaldes und seiner Menschenaffen geht jährlich in Millionen­höhen, während zugleich die Macher des deutschen Öko-Labels „Holz von hier“ man­gelnde Verbrauchersensibilität für den Klimaschutz-Vorteil kurzer Transport­wege auch beim Rohstoff Holz beklagen. Und der Raubbau längst den eurasischen Kontinent erreicht hat – vor allem in Sibirien und Karelien, und das mit internationalen Umwelt-Zertifikaten.

Wie sehr sich Umweltbewusstsein und echte Ökologie beim Thema Wald in die Quere kommen, belegt der Energiesektor. Längst haben große Mineralölkonzerne den „Biosprit“ als Geschäftsfeld erkannt. Palmöl wird im großen Stil gewonnen und verdrängt die natürliche Vegetation, gera­de in den tropischen Regenwäldern, nicht nur in Indonesien. Und nicht selten als Brennstoff in europäischen Blockheizkraftwerken, die auch im Zeichen der Energiewende Konjunktur haben.

Wenn sich manche Ökologen nach mehr Urwald in Europa sehnen, geht es nicht nur um Artenschutz für seltene Tiere oder Pflan­zen, sondern auch um den Natur­ge­nuss. Er zählt zu den Wertschöpfungsfaktoren des Waldes, für die Waldbesitzer bis­her kei­nen Cent bekommen. Dazu gehört nicht allein der Nutzen als Freizeit- und Erholungsraum, sondern auch die Eigenschaft als Wasserspeicher und Katalysator für das Umweltgift Kohlendioxid. Nicht nur global, sondern durchaus auch regional.

Mit gut elf Millionen Hektar bedeckt der Wald ein Drittel des deutschen Bodens. Ge­rade in den Gebirgsregionen kommt ihm eine überragende Bedeutung als Schutz­­wald zu – gegen Lawinen und Hochwasser­ereig­nis­­se, die mit dem Klimawandel an Bedeu­tung zunehmen. Und mit Problemen, die durch Menschenhand entstehen. Etwa da­­­durch, dass der Siedlungsbau in den Tä­lern Hirsch und Gams in die Bergwälder ver­drängt, in denen das Schalenwild dann not­gedrungen wachsende Schäden anrich­tet.

Der Wandel im Ökosystem Wald bedroht also auch den Artenschutz vor unserer Haustür. So wie der Energiemaisanbau die Schwarzwildbestände explodieren und die Bienen aussterben lässt. Jagd als uralter Nahrungserwerb seit der Steinzeit wird plötzlich zum Störfaktor. Weil Jägerinnen und Jäger um das Überleben ihrer Beutetiere fürchten müssen, wenn der Wald als hergebrachter Lebensraum der Wildtiere zunehmend hinterfragt wird. Im Prinzip nicht wesentlich anders als das Schicksal der Orang-Utan-Affen in den Regenwäldern.

Falsche Akzente
Die vermeintlich aufgeklärte Moderne sorgt sich derweil mehr um seltene Vögel, die in den Rotoren von Windkraftwerken umkommen. Und weniger um die Frage, ob eine Holznutzung Zukunft hat, die einen höchst haltbaren Baustoff als Hackschnitzel oder Pellets durch die Schornsteine jagt. Und auch die Biosprit-Mode mit dem Hinweis rechtfertigt, dass Pflanzenenergie eine neutrale Umweltbilanz vorzuweisen habe.
In der Tat neutralisieren Bäume jene ­Menge Kohlendioxid, die ihre Verbrennung freisetzt. Aber der Wald braucht dazu Generationen. Und die Menschheit ist dabei, ihm dabei nicht mehr die nötige Zeit und den nötigen Platz zu lassen.

Auf dem Spiel steht auch eine Wertschöpfung, die allein in Deutschland jährlich bei 180 Milliarden Euro liegt und damit fast den weltweiten Umsatz des Volkswagen-Konzerns (200 Milliarden Euro) erreicht. Der Naturschutzbund Nabu fordert indes eine Umkehr weg von der industriellen Nutzung des Waldes: „Energie aus Holz zu gewinnen, ist eine der gro­ßen Gefahren für unseren Wald“, sagt der Nabu-Forstexperte Stefan Adler.

Entscheidungsschlachten
Zusammen mit anderen Umweltverbänden fordert der Nabu, zehn Prozent des Staatswalds und fünf Prozent der Privatwälder aus der kommerziellen Nutzung zu nehmen. Solche Urwälder gibt es in Deutschland momentan nur noch in ­wenigen Nationalparkbereichen – und dort nur auf vergleichsweise winzigen Flächen. Um die letzten großen Urwälder Europas zu erleben, müssen Fans in die Karpaten reisen – oder gleich nach Sibirien, wo derzeit die großen Entscheidungsschlachten um die wenigen naturbelassenen Wälder des Kontinents geschlagen werden.
Über den Ausgang entscheiden auch die deutschen Konsumenten. Zum Beispiel an der Kasse beim Möbel-Discounter. Und sogar beim Kauf der Holzkohle für den Garten-Grill. Da kommen gerade mal zwei Prozent aus nachweislich europäischen Wäldern – und damit aus einigermaßen nachhaltigem Anbau.


mahnung

Seit 1989 wird von der „Baum des Jahres – Dr. Silvius Wodarz Stiftung“ (vormals Menschen für Bäume) und durch deren Fachbeirat, das Kuratorium Baum des Jahres (KBJ), für das jeweils darauffolgende Jahr ein Baum gewählt, um den Wert des Waldes in der ­Gesellschaft herauszuheben. Gründer der Initiative ist der frühere Forstdirektor und ­Umweltschützer Silvius ­Wodarz (RC Fichtelgebirge). Für 2017 wurde erstmals die Fichte ­gekürt, die einerseits die häufigste ­Baumart in Deutschland ist, ­andererseits ­jedoch der ­Inbegriff naturferner Mono­kulturen im Wald.
baum-des-jahres.de