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Festspiele 2022

Restart für die Saison

Festspiele 2022 - Restart für die Saison
Die Berliner „CelloFellos“ Bryan Cheng und Leonard Disselhorst spielen gern abseits traditioneller Klassikkonzerte, wie zum Beispiel bei re:start im Rahmen des Heidelberger Frühlings: Hier werden Musikerinnen und Musiker in der ganzen Stadt unterwegs sein, um Menschen über diverse Musikgenres zusammenzubringen. © clara evans/re:start/heidelberger frühling

Der diesjährige Festspielkalender bietet Beliebtes und Bewährtes, aber auch Überraschendes – gerade bei den großen Veranstaltern.

Dorothe Gschnaidner01.04.2022

Die Vielfalt an Musikfestivals im deutschsprachigen Raum gilt als Phänomen, denn neben den allseits gefeierten nationalen wie internationalen Festspielleuchttürmen, die sich fest im Kalender arrivierter Künstler und deren Publikum etabliert haben, funkeln seit der Jahrtausendwende auch viele kleine Sterne am Kunst- und Kulturhimmel. Ob Komet oder Fixstern ließ sich zum Auftakt nur schlecht prognostizieren, wer allerdings seine kulturelle Nische mit der dazugehörigen Portion Mut und Experimentierfreude gefunden hatte, erntet bis heute Lob und Zulauf zwischen Heimatsound in Oberammergau und Ostfriesischem Orgelsommer, Tagen für Alte Musik und Contemporary Dance, zwischen Rock im Park, Ruhrtriennale und Wagner in Bayreuth, mit Picknickkorb oder auf High Heels.

2022 gilt es, Haltung zu zeigen

Dann setzte die Coronapandemie im Frühjahr 2020 eine Zäsur. Plötzlich wurde darüber diskutiert, ob Kunst und Kultur womöglich systemrelevant sein könnten. Neue Herausforderungen machten Nach- und Neudenken nötig, hinterfragten Konzepte, suchten nach Halt im Bewährten, aber auch nach Aufbruch zu bis dato nicht oder kaum wahrgenommenen Ufern einer Festspiellandschaft, die so manchem als längst kartiert gegolten haben mag. Doch damit nicht genug, seit ein paar Wochen fordert auch der Krieg in der Ukraine von Kunst- und Kulturschaffenden eine Stellungnahme, denn: Keine Haltung zu Putins Invasion zu zeigen, reicht nicht aus. Kunst ist ein öffentliches Gut, wird in vielen Fällen mit öffentlichen Mitteln unterstützt und hat immer auch einen Auftrag, vor allem einen gesellschaftspolitischen.

Befragt zur momentanen Situation der Festivallandschaft, sagt der Dramaturg, künstlerische Co-Leiter des Impuls Festivals für Neue Musik und Gründer der Konzertplattform betterconcerts.org Julian Rieken: „In der derzeitigen Krise wird deutlich, wie wenig flexibel der Klassikbetrieb auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren kann. Programme werden oftmals Jahre im Voraus geplant, dabei ist es wichtig, auf die relevanten Themen und drängenden Fragestellungen unserer Zeit zu reagieren. Nicht nur Pandemie und Krieg, sondern auch Nachhaltigkeit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit, Digitalisierung und demografischer Wandel fordern uns dazu auf, neue Konzepte zu entwickeln. Es gilt, unsere gesellschaftliche Vielstimmigkeit auch im Konzertbetrieb strukturell und inhaltlich abzubilden – sei es auf der Bühne, hinter den Kulissen, in den Führungsstrukturen der Kulturbetriebe, in den Programminhalten und nicht zuletzt im Publikum.“

Ansätze, die nach neuen, ungewohnten, aber bespielbaren Räumen indoor wie outdoor fahnden und bei Klamm-Wanderungen mit Trompetensolo oder Waldmusiken um den Nachhaltigkeitsfaktor ringen, die Familienprogramme für zwei oder idealerweise drei Generationen gemeinsam entwerfen und Interaktion zwischen Künstlern und Publikum in den Fokus rücken, haben Konjunktur. Nicht dem Purismus, sondern der interdisziplinären Verknüpfung verschiedener Kunstgattungen gilt derzeit vermehrt die Aufmerksamkeit.

Händel-Festspiele Halle/Saale

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Seit 2018 findet während der HändelFestspiele in Halle mit Poetry-Slam ein „moderner Dichterwettstreit“ statt. Am 2. Juni wird neben anderen der Schwede Skog Ogvann (rechts) im Händel-Haus für eine Performance auf hohem Niveau sorgen. © Thomas Ziegler

Zum Beispiel auch bei Clemens Birnbaum (Rotary Club Halle-Georg-Friedrich-Händel), Direktor und Intendant der Händel-Festspiele in Halle/Saale (27.5.–12.6.), die in diesem Jahr 100. Geburtstag feiern: „Wir sollten aufhören, in starren Kategorien und Schubladen zu denken. Der künstlerische Diskurs zu einem Thema zwischen verschiedenen Kunstformen befördert nicht nur einen kreativen Austausch, sondern ist auch für die Besucherinnen und Besucher äußerst spannend. Nicht zuletzt wendet man sich damit einem anderen Publikum zu, das man ansonsten ausschließt. In Halle schlagen wir deshalb Brücken zum Jazz oder mit Barock-Lounges zur elektronischen Musik beziehungsweise zur Club- und Trash-Szene oder zur Poetry-Slam-Kunst. Ferner sollten wir unseren dialogischen Blick auch auf andere Kulturen weiten, zum Beispiel auf die Musik des arabischen Kulturraums. Musik ist für derartige Grenzerfahrungen und Grenzüberschreitungen die vielleicht geeignetste Kunstgattung.“

Heidelberger Frühling

In das Jahr seines 25-jährigen Bestehens steuert der renommierte Heidelberger Frühling (26.3.–24.4.) unter Federführung seines Gründungsintendanten Thorsten Schmidt (RC Heidelberg). Zum Impulsgeber im Bereich klassische Musik und Festivals herangewachsen, beheimatet das Festival am Neckar Stars der Klassikszene, eine ganzjährige Kammermusikreihe, ein Kurzfestival für die besondere Gattung des Streichquartetts und ein Zentrum, das sich dem Erbe und der Zukunft des Kunstliedes widmet. Als diesjährige Programm-Innovation fügt man quasi ein Festival ins Festival: „re:start – Wenn eine Stadt zur Bühne wird“. Anlässlich des 25. Jubiläums feiert man dort erstmals gemeinsam mit 25 jungen Künstlerinnen und Künstlern, Ensembles, Stadtteilpartnern und Einrichtungen Kultur als Basisfunktion. Ohne Eintrittsbarrieren und ohne Distanz zwischen Publikum und Bühne werden eine Vielzahl von musikalischen Angeboten zugänglich gemacht, die die Stadtgesellschaft verbinden soll. Gleichzeitig agiert re:start als Förderprogramm für junge Künstler, die in der Zeit des kulturellen Lockdowns besonders gelitten haben. Mit dabei sind Familienkonzerte, Mitsingkonzerte, Abendbrotkonzerte, Lunchund Brunchkonzerte, Marktkonzerte, ein Earth-Hour-Konzert, Kneipenkonzerte oder ganztägige Musikfeste sowie interaktive Formate und Workshops. Poetry-Slam-Enthusiasten sollten sich den 20.4. vormerken, um am Workshop „Pimp your Story – Poetry Slam trifft Musik“ teilzunehmen.

Sommerliche Musiktage Hitzacker

Die Verantwortlichen der Sommerlichen Musiktage Hitzacker hingegen bleiben in Zeiten, in denen sich das Kulturleben vielerorts neu aufstellt, entspannt. „Wir sind seit jeher ein Ort des Aufbruchs und der Erfindung“, begründet Intendant Oliver Wille. Dort bleibt man der unerschöpflichen Welt der Kammermusik treu, während man gleichzeitig immer wieder Neues probiert, in diesem Jahr zum Beispiel beim Eröffnungskonzert passend zum Festivalmotto „Zeit.Räume“, wo in einer Uraufführung Wortkunst, Performance und Musik zusammenkommen. Acht Künstlerinnen und Künstler haben sich dafür zusammengefunden, unter anderem die Streicher des Kuss Quartetts, Poetry-Slammer Bas Böttcher, der zu den Mitbegründern der deutschsprachigen „Spoken-Word-Szene“ zählt, sowie Yui Kawaguchi und Ruben Reniers mit Choreografie und Tanz.

Wiener Festwochen und Styriarte

In Österreich präsentieren die Wiener Festwochen (13.5.–18.6.) bereits seit Jahrzehnten genreübergreifende Events mit international wegweisenden Arbeiten aus Theater, Oper, Musik, Tanz und bildender Kunst von sowohl etablierten Namen als auch jungen Talenten. Auf einen Dialog zwischen Musik und Literatur setzt man bei der Styriarte (25.6.–24.7.) in der Steiermark: Hier kreieren der aus Graz stammende Schauspieler und österreichische Poetry-Slam-Meister Christoph Steiner und die Geigerin Maria Bader-Kubizek eine Hommage aus Worten und Tönen an den Kompo nisten Dvořák und dessen Reisen in die neue Welt.

Weitere Veranstaltungsreihen mit genreübergreifendem Programm: die Ludwigsburger Schlossfestspiele (5.5.– 16.7.), das Kunstfest Weimar (24.8.–10.9.), die KunstFestSpiele Herrenhausen (12.– 29.5.) und die Ruhrfestspiele Recklinghausen (1.5.–12.6.).


Weitere Links und Termine:  

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